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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

944–946

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Sommer, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Friedrich Veit. Kirchenleitung zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus.

Verlag:

Nürnberg: Verein für bayerische Kirchengeschichte 2011. 318 S. m. Abb. 24,0 x 16,8 cm = Arbeiten zur Kirchengeschichte Bayerns, 90. Geb. EUR 29,80. ISBN 978-3-940803-06-1.

Rezensent:

Auguste Zeiß-Horbach

Zum 150. Geburtstag von D. Friedrich Veit (1861–1948), dem ersten und einzigen Kirchenpräsidenten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, hat Wolfgang Sommer 2011 eine Monographie herausgebracht, mit der er Veits Bedeutung für den bayerischen wie gesamtdeutschen Protestantismus würdigt. Nach seiner Mo­nographie zu Wilhelm von Pechmann (2010) untersucht S. damit ein zweites Mal einen national-konservativ geprägten Lu­theraner, dessen Wirken für die bayerische Landeskirche in der Weimarer Republik prägend wurde, der jedoch über lange Zeit hin in Vergessenheit geraten war, worauf bereits 1988 Friedrich Wilhelm Kantzenbach hinwies. Die Gründe hierfür sind vielfältig, liegen aber nach S. zu einem beträchtlichen Teil in den Vorgängen, die im Frühjahr 1933 zu dem vom Landeskirchenrat nahegelegten Rück­tritt Veits und zur Amtseinführung von Landesbischof Hans Meiser führten. Nun liegt erstmals eine umfangreiche Monographie zu Friedrich Veit vor.
S. vertritt die These, dass die deutsch-nationale Haltung der konservativen Lutheraner Veit und Pechmann deren kritische Beurteilung des Nationalsozialismus gerade nicht verstellt, sondern sogar mit ermöglicht habe. Er weist darauf hin, dass die eindeutig antinationalsozialistische Haltung der bayerischen Kirchenleitung vor 1933 dem Wirken ihres Kirchenpräsidenten Veit zu verdanken ist. Das Buch möchte – so auch das Anliegen von OKR Dr. Hans-Peter Hübner, der zu seinem Entstehen beitrug – eine Rückbesinnung auf das bislang im Vergleich zur Amtszeit Hans Meisers wenig beachtete bzw. verdrängte kirchenleitende Wirken Friedrich Veits bewirken, dessen Weitblick die Kirche vor 1933 vor völkischer und konfessionalistischer Enge bewahrte.
Das Werk hat zwei Hauptteile: Im ersten Teil stellt S. Leben und Wirken von Kirchenpräsident Friedrich Veit dar (11–108), wobei er als wichtige Quelle dessen seit 2006 im Landeskirchlichen Archiv Nürnberg vorliegende Memoiren nutzt.
Als Oberkonsistorialpräsident und Nachfolger Hermann von Bezzels begann Friedrich Veit 1917 noch im Königreich Bayern mit der Kirchenleitung und setzte sie in der Weimarer Republik als Kirchenpräsident bis 1933 fort. Sein Wirken war jedoch nicht nur der bayerischen Landeskirche, sondern auch dem gesamtdeut-schen Protestantismus, dem Weltluthertum und der Ökumene verpflichtet. So wirkte er mit bei der Entstehung des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes und wurde 1922 Präsident des Kirchenbundesrates; er arbeitete bei Kirchentagen, im Lutherischen Weltkonvent und in der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz mit. Seine kirchliche Arbeit in Deutschland hatte zwei Ziele: Einerseits den Zusammenhalt des deutschen Protestantis­mus zur Wahrung gemeinsamer Interessen zu fördern und andererseits die Bildung einer Reichskirche zu verhindern, vor allem um die »bekenntnismäßige Bestimmtheit« der Landeskirchen zu erhalten. So lehnte er 1933 grundlegende Änderungen der kirchlichen Verfassung ab, womit er in Gegensatz zu maßgeblichen kirchlichen Kreisen geriet. Sein Rücktritt am 11. April 1933 stellt eine Zäsur im Verhältnis der Kirchenleitung zum neuen Staat dar.
Der zweite Hauptteil (109–308) enthält biographische Notizen und Dokumente zum kirchenleitenden Wirken von Friedrich Veit, deren Bedeutung im ersten Teil dargelegt ist. Folgende Texte sind enthalten: Ein Auszug aus der für seine Familie bestimmten Autobiographie Veits (»In der Kirchenleitung 1915–1933«), ein weiterer autobiographischer Text über Veits Zeit im Münchner Predigerseminar 1884–1900, Predigten und Reden zu besonderen Anlässen, zwei juristische Dokumente (Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, 1920; Vertrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern mit dem Staat, 1924) sowie zwei Neujahrsbetrachtungen Veits in der Neuen Kirchlichen Zeitschrift (1924; 1926). Es ist ein Verdienst S.s, auf diese wichtige Quelle hingewiesen zu haben. 15 Jahre lang, bis zum Beginn der Diktatur, hat Friedrich Veit jeweils zu Jahresbeginn die kirchliche Lage und die Stellung der Kirche in der Gesellschaft in der Neuen Kirchlichen Zeitschrift reflektiert.
Die Selbstzeugnisse entführen den Leser durch die Veit eigene Art, anschaulich und verweilend zu erzählen, in die vergangene Zeit der protestantischen Kirche im Königreich Bayern, belegen Veits Liebe zur Monarchie, den schwierigen Übergang zur Weimarer Republik, aber auch seine Bereitschaft, sich auf diese neue Zeit einzulassen und sie sinnvoll zu gestalten.
Mit den veröffentlichten Dokumenten verweist S. auf die Schwerpunkte, die Friedrich Veit setzte: Sein Ziel war eine Kirchenleitung, die sich ihrer Unabhängigkeit und Selbständigkeit gegenüber dem demokratisch verfassten Staat bewusst war. Dabei lag ihm daran, das richtige Verhältnis von Zuordnung und Unterscheidung von Staat und Kirche zu finden, wie es in seinen Gedanken zum Thema »Kirche und Schule« (Grundsatzreferat Kirchentag 1921) und in juristischer Form im Staatskirchenvertrag von 1924 deutlich wird, welcher mit einigen Änderungen durch Art. 182 der Bayerischen Verfassung bis heute gültig ist.
S. hat die Vorgänge, die zum Rücktritt Veits von seinem Amt als Kirchenpräsident führten, bereits in einem Artikel in der ZBKG 76 (2007) untersucht und nimmt die Ergebnisse in seiner Monographie auf. Es wäre allerdings wünschenswert, dass dies in größerem Umfang geschehen wäre, um S.s These von der Weitsicht des national-konservativen Lutheraners Veit zu untermauern. Leider kommt im Dokumententeil Veits kritische Auseinandersetzung mit völkischem und nationalsozialistischem Gedankengut zu kurz. Die dargebotenen Dokumente enden mit dem Jahr 1930, die autobiographischen Auszüge, die zeitlich bis 1933 reichen, be­leuchten diese Fragestellung nur kurz. Veits Äußerungen in der Neuen Kirchlichen Zeitschrift (1932; 1933) sowie sein im Evange­lischen Gemeindeblatt Münchens abgedruckter Vortrag vom 8. März 1932 sind nur im ersten Hauptteil in Auszügen zitiert. Sie stellen eine interessante Quelle zur Weiterarbeit dar, zeigen sie Friedrich Veit doch als Gegner einer politischen Theologie, wie sie Emanuel Hirsch oder Wilhelm Stapel vertraten.
Das Buch ist ansprechend gestaltet; es enthält Fotos sowie eine farbige Abbildung des Portraits Friedrich Veits, mit dem er 2009 im Landeskirchenamt München den ihm gebührenden Platz gefunden hat. Ein Abkürzungsverzeichnis, ein Personen- und Ortsregis­ter runden den Band ab. Ein Literaturverzeichnis fehlt. Sehr informativ sind die kommentierenden Fußnoten im Dokumententeil. Das Inhaltsverzeichnis lässt etwas Übersichtlichkeit vermissen.
S. schließt mit seiner Monographie zu Friedrich Veit eine Lücke in der bisherigen Darstellung der bayerischen Kirchengeschichte der ersten Hälfte des 20. Jh.s, die im öffentlichen Bewusstsein, aber auch in der kirchenhistorischen Forschung stark von der Amtszeit Meisers (1933–1955) bestimmt war. Die Weitsicht der national-konservativen Lutheraner Veit und Pechmann lässt danach fragen, warum Teile der Pfarrerschaft in ihrer anfänglichen Begeisterung für den nationalsozialistischen Umbruch andere Wege einschlugen und somit die warnenden Worte Veits kein ausreichendes Gehör fanden.