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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

943–944

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Bearb. v. K.-H. Fix.

Titel/Untertitel:

Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Bd. 8: 1954/55.

Verlag:

Göttingen/ Oakville: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. 686 S. 23,2 x 15,5 cm = Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte. Reihe A: Quellen, 19. Geb. EUR 129,95. ISBN 978-3-525-55769-3.

Rezensent:

Martin Greschat

Mit diesem achten Band der Protokolle des Rates der EKD endet dessen erste reguläre Amtszeit. Dokumentiert werden elf Sitzungen aus dem Zeitraum vom 11. Februar 1954 bis zum 7. März 1955, dazu vier Kirchenkonferenzen. Politisch handelte es sich um eine Periode des Übergangs: Die DDR stabilisierte ihre innenpolitische Position, nicht zuletzt gegenüber der evangelischen Kirche. Doch der Kirchentag in Leipzig im Juli 1954 belegte eindrucksvoll deren Stärke. In der Bundesrepublik bewirkte die Absetzung des EVG-Vertrags von der Tagesordnung des Parlaments in Paris eine Sammlung der politischen, moralischen sowie religiösen Gegner der Politik der Wiederbewaffnung und Westintegration. Heinemann mit seinen Freunden gelang es, breite Kreise für eine große Kundgebung am 29. Januar 1955 in der Frankfurter Paulskirche zu mobilisieren. Knapp einen Monat später ratifizierte der Bundestag trotzdem die Westverträge. Alles das spiegelte sich in den Vorlagen und Entschließungen des Rates der EKD.
Die Edition folgt der aus den vorangegangenen Bänden bekannten und bewährten Gliederung in fünf Rubriken: von der Vorbereitung einer Sitzung über das Protokoll zu Anlagen und Beschlusstexten, den Vorlagen und Anträgen bis hin zu sonstigen Dokumenten. Wichtig sind erneut die Mitschriften einzelner Rats­mitglieder, die stellenweise gute Einblicke in ihre Überlegungen und insbesondere ihre Auseinandersetzungen bieten.
Vorangestellt ist dem Band eine detaillierte, zahlreiche Ein-zelheiten aufgreifende Einleitung (7–42). Die Überschrift lautet »Verwaltung statt Gestaltung«. Diese Charakterisierung erfasst die Eigenart der Verhandlungen des Jahres 1954/55 jedoch nur teilweise. Sicherlich setzten sich die konfessionellen Querelen fort, worin sachliche, theologische sowie persönliche Gegensätze und Animositäten sich gegenseitig hochschaukelten. Dauerhaft betroffen war davon die Arbeit des Kirchlichen Außenamtes. Ebenso dauerte die Distanzierung gegenüber dem römischen Katholizismus an, die Fortsetzung des entschiedenen Eintretens für die Wiedervereinigung sowie die Freilassung politischer Gefangener. Dasselbe gilt für die finanziellen Hilfen für die Kirche in der DDR, auch für die verhaltenen Kontakte zu verschiedenen Kirchen im Ostblock und nicht zuletzt für die betont konservative Einstellung der Ratsmitglieder zur Ehe, zur Ehescheidung sowie zum Elternrecht. Allen Veränderungen im Wandel der Zeit zum Trotz belege »die unvertauschbare Rolle des Mannes bei der Brautwerbung« doch dessen natürliche Vorrangstellung im Sinne der Letztentscheidung in familiären Auseinandersetzungen (383).
Doch lässt sich die Ablehnung der Atombombe als Fortsetzung überkommener Auffassungen deuten? Noch weniger gilt das für das entschiedene Drängen des Rates auf eine zügige und umfassende Realisierung der Wiedergutmachung. Und vollends anderer Natur waren die in diesem Jahr einsetzenden Bemühungen um die Gestaltung der Militärseelsorge. Dass auf diesem Gebiet etwas um­fassend Neues geschaffen werden müsse, war allen Beteiligten klar. Während die Katholiken mit dem Hinweis auf die im Reichskonkordat von 1933 formulierten Bestimmungen an klare Voraussetzungen anknüpfen konnten, mussten die Vertreter der evange­lischen Kirchen mit der Bezugnahme hierauf sowie auf die Erwar tungen des Staates eine eigene Konzeption und Organisation er­arbeiten.
Der Redaktionsschluss des Bandes lag wohl im Frühjahr 2010. Das würde erklären, weshalb meine im Sommer 2010 erschienene Darstellung (Protestantismus im Kalten Krieg. Kirche, Politik und Gesellschaft im geteilten Deutschland 1945–1963, Paderborn 2010) keine Berücksichtigung fand. Lobenswert sind die Register, neben dem chronologischen Dokumentenverzeichnis (540–566) sowie dem Register der Institutionen, Orte und Sachen (669–686) insbesondere wieder das ausführliche Personenregister (587–668). Die Zahl der Druckfehler hält sich in Grenzen; einige wirken sinn­ entstellend, z. B. »vorzuschlagender Ausschuss« anstatt »vorzuschlagen. Der Ausschuss« (337, Mitte). Doch das sind Kleinigkeiten. Insgesamt bietet auch dieser Band der Ratsprotokolle der EKD eine gründliche, kenntnisreiche und materialgesättigte Präsentation der Verhandlungen mitsamt dem historischen Umfeld im Jahre 1954/55.