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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

927–929

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klein, Thorsten

Titel/Untertitel:

Bewährung in Anfechtung. Der Jakobusbrief und der Erste Petrusbrief als christliche Diaspora-Briefe.

Verlag:

Tübingen/Basel: Francke 2011. X, 497 S. 22,0 x 14,8 cm = Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, 18. Kart. EUR 78,00. ISBN 978-3-7720-8405-8.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Der Erste Petrusbrief und der Jakobusbrief verwenden im Zusam­menhang mit ihren Adressaten das Stichwort »Diaspora« (1Petr 1,1; Jak 1,1). Mehrere neuere Untersuchungen verstehen den Jak und den 1Petr als christliche Adaption von Diasporabriefen. Welche Bedeutung haben die Diasporabriefe für das Gesamtverständnis dieser Briefe? Zu dieser Frage hat Thorsten Klein 2009 in Leipzig seine Doktorarbeit eingereicht, deren Veröffentlichung hier zu besprechen ist. Die Arbeit begleitete J. Herzer als Doktorvater, Zweitgutachter war K.-W. Niebuhr.
K. gliedert sein Werk in sechs Abschnitte: nach einer Einführung (1.) bespricht K. die Interpretationsvoraussetzungen (2.), be­vor er im umfangreichsten dritten Abschnitt den Diasporabrief-Merkmalen im Jak und 1Petr nachgeht. Eine Zusammenfassung (4.) und Anhänge (5./6.) beschließen das Buch.
In einer Einführung zeichnet K. den Forschungsstand nach bis ca. 2007 (1–14). Mit der These D. Nienhuis’ (»Not by Paul Alone«, 2007, vgl. meine Rezension in ThLZ 134 [2009], 71 f.), der den Jak als literarisch eingesetztes Gegengewicht zur paulinischen Überlieferung deutet, setzt sich K. nicht auseinander. Die einschlägige Studie von L. Doering: (»First Peter as Early Christian Diaspora Letter«) hat er in die Druckversion nicht mehr eingearbeitet. Die Studie erschien 2009 in einem Sammelband, den K.-W. Niebuhr mit herausgab (s. die Rezension von J. Schlosser, ThLZ 136 [2011], 405–407).
Unter der Überschrift »Interpretationsvoraussetzungen« geht K. dem Begriff Diaspora nach (2.1), dann stellt er die jüdische Dias­pora (2.2) und Diasporabriefe (2.3) vor.
Zum Begriff »Diaspora« referiert K. die postum 1993 edierte Studie W. van Unniks: Das Selbstverständnis der jüdischen Diaspora in der hellenistisch-römischen Zeit (Rezension N. Walter, ThLZ 118 [1993], 1039–1041). Der Utrechter Gelehrte behauptet, der Begriff werde im Frühjudentum spezifisch für die Strafexistenz Israels außerhalb des geheiligten Landes gebraucht und sei so auch in 1Petr vorauszusetzen. K. korrigiert van Unnik gelegentlich (57.439), in einer einschlägigen Richtung aber zu wenig: Das mit dem No­men »Diaspora« verwandte Verb »zerstreuen« (diaspeiro) bezeichnet nicht immer eine Strafexistenz Israels. Wenn schon die griechische Übersetzung des Ezechiel dieses Verb für die Ägypter benützt (Ez 29,12; 30,23.26; 32,15), warum sollen dann nicht auch Christen diesen Begriff übernehmen, ohne das Konzept eines »Heiligen Landes« zu implizieren?
Der Abschnitt 2.2 behandelt die außerliterarischen Daten zur Diaspora und erwägt das Selbstverständnis der Bewohner in der Diaspora. Ein »verbindlicher Kanon an theologischen Überzeugungen« (70) lässt sich für die Themenfrage »Diaspora« nicht leicht angeben. K. bespricht differenziert alle möglichen Gesichtspunkte zum Thema, wobei ich manchmal den Zuschnitt auf den zweiten Teil der Arbeit vermisse.
Der Diaspora-Begriff impliziert im Judentum meist einen Be­zug zum Heiligen Land bzw. zum Tempel. Nicht nur Jak und 1Petr, sondern alle frühen Christen, soweit wir von ihnen im Neuen Testament etwas erfahren, greifen die Kategorie des Heiligen Landes kaum bzw. nicht auf. Für die Frage nach dem Selbstverständnis in der Diaspora wären m. E. diejenigen jüdischen Gruppen be­sonders interessant, die ebenfalls eine reichlich vage »Bindung an das Heilige Land« (107) haben, auf die K. aber nicht eingeht, etwa die Onias-Leute am Tempel in Leontopolis und die Samaritaner.
Im Abschnitt 2.3 stellt K. Texte vor, die von ihm als Diaspora-Briefe bezeichnet werden: Jer 29 (36LXX), EpJer, 2Makk 1,1–9 und 1,10–2,18; syrApokBar 78–86 = Ep2Bar, ParJer 6,17–23; 7,23–29 und das unsicher überlieferte und daher kaum auswertbare 4QApokrJer C (davon vor allem 4Q389 Frgm 1, ed. Dimant, DJD 30 [2001], 220–223). K. diskutiert kompakt die Einleitungsfragen zu diesen Texten und fragt dann nach Merkmalen von Diaspora-Briefen darin.
K. sammelt diese Texte nach Merkmalen, die er wortreich um­schreibt, ohne sie m. E. klar zu benennen (116 f.). Und viele Merkmale kann er ohnehin nicht angeben. Es verbindet die Texte aus sieben Jahrhunderten nicht etwa eine durchgängige Textstruk-tur, sondern z. B. eine gemeinsame Kommunikationssituation (Mutterland-Diaspora). Doch welches Mutterland nennt Jak oder 1Petr?
Statt der Gattung Diasporabrief findet er »hinsichtlich Thematik und Intention nur gewisse Schnittmengen« (167). Eine gewisse thematische Schnittmenge verbindet auch z. B. den Röm und das Dtn, doch was trägt das aus? K. problematisiert selbst den Begriff der »Diasporabrieftradition« (117.164 u. ö.), ordnet aber die weiteren Auslegungen trotzdem dieser vage umrissenen Sparte unter. Diese Anordnung macht das Werk im dritten Abschnitt (182–437) recht unübersichtlich. K. legt beachtenswerte Exegesen zum Jak und 1Petr vor, die aber nicht einfach den Briefen entlang voranschreiten, sondern gegliedert sind nach folgenden Themen: »Kommunikationsbedingungen« (3.1), »Anfechtung als Kennzeichen der Dias­poraexistenz« (3.2) und »Strategien der Bewältigung der Anfechtungen« (3.3). In allen drei Unterabschnitten spricht K. getrennt erst den Jak, dann 1Petr an. Für beide Briefe meint er, die tatsäch­liche Verfasserfrage sei sekundär (188) bzw. zu vernachlässigen (230). Im Verlauf der weiteren Auslegung sammelt er aber Beobach tungen, die sowohl den Herrenbruder Jakobus wie den Felsen­jünger als reale Verfasser unwahrscheinlich machen, und redet schließlich unumwunden von Pseudepigraphie (z. B. 272). Nebenbei will K. die Pseudepigraphie des 1Petr und des Jak auch dadurch erklären, dass die Verfasser der Briefe die Personenkonstellation aus Apg 15 verarbeiten (179–181, vgl. 205–215.258.270.273.441).
Die Apg lasse Petrus das Evangelium zu Heiden bringen (Apg 10 f.), dies nehme 1Petr auf. Dass Gal 2,7b diesem Ansatz widerspricht, bereitet dem 1Petr offenbar keine Probleme. Ist der 1Petr so nahe an der lukanischen Paulusrezeption, dass auch er noch keine Briefe des Paulus voraussetzt? Nach K. bilde der 1Petr eine Analogie zu dem Apostelschreiben in Apg 15,23b–29 und übernehme dabei auch die in der Apg dazu genannten Akteure Petrus und Silas (Apg 15,22.27). Wenn 1Petr auf Apg 15 aufbaut, warum benennt er dann den »Silas« aus Apg 15 um in »Silvanus«? Die Abhängigkeit des 1Petr und Jak von Apg impliziert eine zeitliche Ansetzung am Ende des 1. Jt.s. K. vermeidet es allerdings, sich zur zeitlichen Ansetzung des Jak und 1Petr zu äußern. Da eine »Transzendierung der Diaspora-Vorstellung« (443) im Judentum erst nach der Tempelzerstörung (70 n .Chr.) einsetzt (belegt in syrApokBar, ParalipJer, 148.156), können 1Petr wie Jak wohl kaum viel früher angesetzt werden, weil sie eine ähnliche individuelle eschatologische Beendigung der Dias­pora-Existenz voraussetzen.
Eine Ergebniszusammenfassung (438–443), Literaturverzeichnis (444–470) und ein Register zu den Bibelstellen – leider ohne Apokryphen oder jüdisch-hellenistische Literatur (471–497) – beschließen die Arbeit. Ein paar Dutzend Druckfehler (zumeist griechische Akzente betreffend) vor allem in den Anmerkungen trüben das sonst gute Erscheinungsbild der auch sprachlich ansprechenden Arbeit.
K. trägt gute Einsichten zu Jak und 1Petr zusammen, aber diese Einsichten sind versteckt in einem Gliederungssystem, das eine vermeintliche Diasporabrieftradition vorgibt. Für diese Tradition sammelt K. fleißig, aber letztlich nur vage Strukturen. Zur Er­schließung von Jak und 1Petr trägt diese »Tradition«, ich möchte fast sagen: Fata Morgana, m. E. sehr wenig bei. Aber die beiden Briefe, der von den Lutheranern gern vernachlässigte Jak ebenso wie der mehr gelobte als wirklich ausgewertete 1Petr verdienen als eigenständige theologische Entwürfe gewürdigt zu werden. Dies leistet die Studie von K. im dritten Teil der Arbeit und verdient daher Beachtung.