Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2012

Spalte:

925–927

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jantsch, Torsten

Titel/Untertitel:

»Gott alles in allem« (1Kor 15,28). Studien zum Gottesverständnis des Paulus im 1. Thessalonicherbrief und in der korinthischen Korrespondenz.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2011. XVI, 446 S. 22,0 x 14,5 cm = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 129. Geb. EUR 69,00. ISBN 978-3-7887-2510-5.

Rezensent:

Ulrich Mell

Die bereits 2009 von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommene, jedoch zur Veröffentlichung umgearbeitete wie erweiterte Paulusstudie von Torsten Jantsch beschäftigt sich mit dem Gottesbild des Apostels. Anstelle einer Gesamtdarstellung des paulinischen Gottesverständnisses – als Desiderat im forschungsgeschichtlichen Eingang angemahnt (vgl. 1.19) – beschäftigt sie sich mit der Auslegung expliziter Aussagen über Gott und impliziter, der paulinischen Ar­gumentation zugrunde liegenden Gottesüberzeugungen wie sie im 1Thess (31–157), 1Kor (159–314) sowie in der »Briefsammlung des ›2. Korintherbriefes‹« (315–395) zutage treten. Diese textliche Be­schränkung wird vor allem damit begründet, dass mit der Studie von J. Flebbe, Solus Deus, BZNW 158, Berlin/New York 2008, eine Analyse zum Röm bereits vorliegt (vgl. 22). Zudem ist anzunehmen, dass es durch die sog. galatische Krise (vgl. 23) – der von Paulus mit Rechtfertigungsterminologie begegneten christlichen Ansicht, die jüdische Thora sei noch für das Christenleben konstitutiv – »zu einer Neuausrichtung seiner (Paulus’) Gottesrede in terminologischer und inhaltlicher Hinsicht« (23) gekommen ist. Die sich damit dem Gottesbild des ›frühen‹ Paulus zuwendende Arbeit setzt wei­terhin voraus, dass aufgrund seiner Berufungserfahrung für diesen »der Horizont seines Redens von Gott nicht die philosophische Spekulation oder die theologische Lehre ist, sondern die Erfahrungen des göttlichen Wirkens im Leben und die gelebte Frömmigkeit« (29, vgl. 411f.).
Aus dem 1Thess stellt J. als explizite Gottesprädikationen die Bezeichnung Gottes als »Vater« (1Thess 1,1; 33–43) und als »Gott des Friedens« (5,23, 44–48) vor. Er geht auf die Themen der göttlichen »Berufung und Erwählung« (81–105), der Kraft Gottes (61–81) und seines Zorns (105–135) ein. Ein Abschnitt ist dem 1,9 f. erwähnten Glauben an den »lebendigen und wahren Gott« gewidmet (48–60). J. kommt zum Ergebnis, dass »im 1. Thessalonicherbrief […] Paulus den Glauben seiner Adressaten explizit theozentrisch« be­stimmt, denn Gott sei Beginn und Ende des christlichen Lebens. Paulus’ Gottesbild liege dabei auf »einer Linie mit dem jüdischen Reden von Gott«, jedoch mit dem Unterschied, »dass Paulus seine Gottesverkündigung an die Geschichte von Jesus Christus bindet« (398).
Im 1Kor untersucht J. zunächst 8,4–6 (161–198), eine Modifizierung des jüdisch-monotheistischen Bekenntnisses (vgl. 161), und mustert sodann Kapitel 1–4 auf paradoxe Aussagen zum Gottesbild (198–260). Bei Kapitel 15 stehen im Mittelpunkt die Aussagen der Verse 23–28, in denen sich Paulus zur Bestimmung des Verhältnisses von Gott und seinem Sohn Jesus Christus äußert (274–293). J. kommt zum Schluss, dass die Gottesvorstellung im 1Kor von »›alttestamentlich‹-frühjüdischer und christlicher Tradition« geprägt ist (302) und Gottes Souveränität und Macht betont (vgl. 303 f.399): Während nach 1,23 f. »Macht und Weisheit Gottes durch das Prisma des Kreuzes merkwürdig gebrochen (erscheinen)« (303), gibt es nach 15,28 »nichts, was sich seiner (sc. Gottes) Macht – die er durch Jesus Christus ausübt – entgegenstellen kann« (304).
Aus der Briefsammlung des 2Kor interpretiert J. zunächst den Abschnitt 4,4–6, der von Christus als dem »Ebenbild Gottes« (V. 4) spricht (317–343). Sodann kommt er auf 5,14–20 zu sprechen (344–374), wo nach J. »die Aussagen über die ›neue Schöpfung‹ und die Versöhnung, die Gott bewirkt, Entscheidendes über das Gottesverständnis des Paulus aussagen« (316). Auch befragt er die triadische Aussage 13,13 auf ein ihr zugrunde liegendes trinitarisches Gottesbild (378–382). Zum 2Kor hält J. fest, dass in der Apologie des Apostolats (2,14–7,4) »die explizite Gottesprädikation ›lebendiger Gott‹ (3,3) die Motivik« beherrscht (401), während im Kampfbrief (Kapitel 10–13) Gott »als Ermöglicher von Sozialbeziehungen in den Blick (kommt), die durch Liebe und Frieden bestimmt sind« (401). Hingegen werde im Versöhnungsbrief (1,1–2,13; 7,5–16) »im Kern das Gottesverständnis des Paulus skizziert: Erbarmen bestimmt Gott, er gibt Trost« (401).
Gemäß seiner Einschätzung, dass »das Denken des Paulus nicht ein Zentrum, sondern eine Reihe von Schwerpunkten […] (kennzeichnet), die je nach Kommunikationszusammenhang […] miteinander kombiniert werden können«, stellt J. in einem systematisch-theologischen Schlussteil acht »Konstanten des Gottesverständnisses des Paulus« (405) zusammen: 1. die »zentrale Bedeutung des Evangeliums« (405), das 2. als Gottes Kraft und Macht auch persönlich »erfahrbar« ist, wobei die Rede von der Kraft Gottes 3. »auf das jüdische Grundbekenntnis« rekurriert (407). »Die Vorstellung vom Monotheismus« steht 4. »dann aber auch im Zusammenhang mit der Vorstellung, dass dieser Gott Schöpfer ist«, so dass »be­sonders die Souveränität Gottes« begründet wird (408). 5. Mit ihr aber ist »eng verbunden« der Aspekt, »dass Gott Gericht hält« wie auch 6. »seine Berufung und Erwählung« von Menschen zum Heil. Zeigt sich Gott darin einerseits »ganz frei« (409), so andererseits, dass er »von Liebe und Erbarmen, von Geduld und Vergebungswillen« bestimmt ist. Schließlich ist 8. »das Ziel des Heilshandelns Gottes […], dass ihm die Ehre dargebracht wird« (410). J. resümiert: »Das jüdische Grundbekenntnis, dass es nur einen Gott gibt, interpretiert Paulus nun wegen des Christusereignisses in einem neuen Licht: Da nur ein Gott ist, ist er es für die ge­samte Menschheit. Hierin gründet die Überzeugung von der Selbigkeit Gottes in der Geschichte der Erzväter und im Handeln Gottes in und durch Jesus Christus« (411).
Lässt sich die von J. hervorgehobene Bedeutung des jüdischen Monotheismus für das paulinische Gottesbild von den vorgestellten Texten 1Thess 1,9 f.; 1Kor 8,6; 15,28 her nur unterstreichen, so endet damit auch schon das Lob über die mit einem pietistischen Vorurteil an die Exegese paulinischer Texte herantretende und in ihren Ergebnissen zum Gottesbild des Paulus sich gleichfalls einer solcherart ›Normaldogmatik‹ verpflichtet zeigenden Studie. Eine unverwechselbare Signatur des kreuzestheologisch geprägten paulinischen Gottesbildes wird von der am Text ›klebenden‹, aber mit Belesenheit und Detailwissen aufwartenden Einzelexegese gerade nicht herausmodelliert.
Verantwortlich dürfte dafür schon eine eingangs der Studie fehlende systematisch-theologische Grundlegung zu den vom transzendenten Gegenstand her gesehen beschränkten, aber nicht un­wichtigen Möglichkeiten einer Rede von Gottes Gottsein sein. Zu­dem ist auch die von J. angewandte kanonische Methodik we­nig geeignet, sich der Frage zu nähern, ob aufgrund der Chris­tus­erfahrung auch eine Diskontinuität der paulinischen zur jüdischen Gottesrede vorhanden sein könnte. Für J. ist und bleibt Paulus ein in Kontinuität zum Alten Testament sich äußernder ›biblischer Theologe‹.
Schaltet J. seiner Textauslegung jeweils eine motivgeschicht­liche Analyse alttestamentlich-jüdischer Sprachverwendung vor, so fokussiert er nicht auf die für eine vergleichende Analyse des hellenistischen Diasporajuden Paulus wichtige zeitgenössische Sprachverwendung. Beispielsweise unterschlägt er, dass der Begriff »neue Schöpfung« frühjüdisch eingeführt ist (vgl. Jub 1,29; 4,26; 11QT 29,9, s. 351), behauptet zu 2Kor 5,14–17 aber anachronis­tisch, dass die paulinische Auffassung sich mit der gleichermaßen das Neue betonenden Geschichtstheologie von Deuterojesaja decke, der den endzeitlich-eschatologischen Begriff einer ›neuen Schöpfung‹ jedoch gar nicht gebraucht (vgl. 357 f.).
Hat sich J. mit dem Gottesverständnis des Paulus ein anspruchsvolles Thema vorgenommen und bilden die ausgewählten Texte eine gute Basis, so bringt seine Studie mit dem auf 1Kor 15,28 an­spielenden Titel zwar die Theozentrik der paulinischen Argumentation (vgl. 16.18.150.397 f.410), nicht aber die für Paulus von der Gotteserkenntnis ausgehende Dynamik der ›Liebeserkenntnis‹ zum Tragen (vgl. 8,2 f.): So fehlen Ausführungen zur historischen Konkretheit der paulinischen Gottesrede auf die angeschriebenen Gemeinden und es bleibt auch die von J. aufgestellte Behauptung ohne Beachtung, es gebe einen ›frühen‹ Paulus, der sich vom ›späten‹ hinsichtlich seines Gottesverständnisses (sic!) unterscheide. Aber vielleicht verlangt diese Besprechung auch zu viel von einer Paulusstudie, die sich ja nicht nur »kritische und aufmerksame«, sondern in erster Linie »geneigte« Leser wünscht (VIII).