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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

16 f

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Cancik, H.]

Titel/Untertitel:

Politische Religion, religiöse Politik. Festschrift zum 60. Geburtstag. Hrsg. von R. Faber.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 1997. 349 S. gr.8. Kart. DM 58,-. ISBN 3-8260-1119-8.

Rezensent:

Michael Emmendörffer

Dieser von R. Faber herausgegebene Sammelband, der dem Tübinger Religionshistoriker Hubert Cancik gewidmet ist und sich einer im Sommersemester 1995 an der FU Berlin durchgeführten Ringvorlesung verdankt, vereinigt in sich eine Fülle von einzelnen Aufsätzen, die in unterschiedlichen Zugangsweisen das Thema "Politische Religion, religiöse Politik" behandeln und aufgreifen.

Welche Bandbreite an Themen den Leser erwarten, zeigt die im folgenden gebotene Übersicht des Inhalts:

Einleitung von R. Faber: Politische Theologie oder: Was heißt Theokratie, 19-41 (Eine erweiterte Fassung des Aufsatzes "Politische Theologie zwischen Mythologie und Eschatologie" von 1992). Die folgenden fünf Kapitel gliedern sich wie folgt: I. Charisma, Messianismus und Prophetie: E. Stölting, Charismatische Aspekte des politischen Führertums. Das Beispiel Stalins, 45-74; M. Voigts, Jüdischer und universalistischer Messianismus, 75-91; M. Leutzsch, Prophetie und Politik im Urchristentum, 93-106. II. Absolutismus, Deismus und Säkularisierung: S. Detemple, Voltaire und Bossuet oder: Deistische Moral versus theokratischen Absolutismus 109-118; Th. Schneider, Zwischen Leviathan und Behemoth. Zur Auseinandersetzung mit der politischen Theologie Thomas Hobbes’, 119-140. III. Germanismus und Parachristentum im Vor- und Umfeld des Nationalsozialismus: J. Zernack, Germanische Restauration und Edda-Frömmigkeit, 143-160; J. H. Ulbricht, "Veni creator spiritus" oder: "Wann kehrt Bald[u]r heim?" Deutsche Wiedergeburt als völkisch-religiöses Projekt, 161-172; E. Gajek, Germanenkunde und Nationalsozialismus. Zur Verflechtung von Wissenschaft und Politik am Beispiel Otto Höflers, 173-203; Y. Doosry, Die sakrale Dimension des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg, 205-224 (mit Abbildungen). IV. Christliche Ethik, deutscher Nationalismus und US-amerikanischer Fundamentalismus: H.-D. Kittsteiner, Das deutsche Gewissen im 20. Jahrhundert, 227-242; D. Braun, "Gott mit uns". Zur Frage der Nation als Thema gegenwärtiger theologischer Ethik, 243-266; F. Unger, Christlicher Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten von Amerika, 267-289. V. Griechisch-römische Antike als Kontrast und Exempel: N. Wokart, Zum Einfluß christlicher Ideen auf politische Verhältnisse. Ein Vergleich moderner und antiker Demokratie, 293-308; J. Rüpke; Religion und Krieg. Zur Verhältnisbestimmung religiöser und politischer Systeme einer Gesellschaft, 309-330; ein abschließendes Dossier von R. Faber, "Das ist die Synagoge, in die ich nicht gehe", über politisch-religiöse Witze, 331-349.

An dieser Stelle können nur einige der hier versammelten Arbeiten exemplarisch vorgestellt werden, ohne daß diese Auswahl ein Urteil über die anderen Beiträge miteinschließt. Dem Leser kann nur Appetit auf mehr gemacht werden.

M. Voigt (75-91) skizziert die Entwicklung und die Rezeption des Gedankens des Messianismus von der Antike bis in die Moderne. "Zum Kernbestand religiöser Politik und politischer Religion gehört der Messianismus. Wie immer er sich im Laufe der vergangenen zweitausend Jahre ausgestaltete, immer war er ... verbunden mit dem jüdischen." "Der jüdische Messianismus war immer ein politischer Messianismus." Im weiteren zeigt Voigt auf, welche Verwandlung der Gedanke des Messianismus "im Umbruch zur neueren Geschichte seit der Französischen Revolution" erfahren hat. Voigt streift die Problembereiche des Nationalismus, des nationalsozialistisch pervertierten Messianismus und den der sich messianisch verstehenden Strömungen des Sozialismus und des Kommunismus. "Allen messianischen Strömungen seit der Französischen Revolution ist die Möglichkeit gegeben, unmittelbar politisch wirksam zu sein. Die Dreiteilung der Politik in Mikro-Politik, Machtpolitik und Meta-Politik ist insofern hinfällig, als die Machtpolitik nun auch den messianischen Strömungen zugänglich ist." (90)

M. Leutzsch setzt bei seinem Beitrag mit der Skizze des historischen Kontextes der Prophetie als "Thema, Problem und Instrument von Politik im ersten Jahrhundert des römischen Prinzipats" ein, um daraufhin die Fragestellung für das Urchristentum anhand der Apg und JohApk zu entfalten. Die politische Dimension von Pseudoprophetie, "die Deutung gesellschaftlicher und staatlicher Reaktion auf die Jesusbewegung als Prophetenverfolgung und die Problematik prophetischer Öffentlichkeit im Urchristentum" werden im einzelnen erörtert. Dabei kann festgehalten werden: Direkte "prophetische Einflußnahme auf politische Entscheidungen größerer Reichweite sind im Urchristentum weder zu erwarten noch zu belegen.

Als Adressatin begegnet in erster Linie die zur Gemeinde gehörige oder für die Gemeinde zu gewinnende städtische oder dörfliche Bevölkerung." "Daß von einer Politik urchristlicher Prophetie geredet werden muß, belegen deren Inhalt und lebensweltlicher Kontext ebenso wie die gesellschaftliche und staatliche Reaktion auf das Faktum und die Eigenart urchristlicher Prophetie." (105)

Daß im vorliegenden Sammelband nicht alle Formen "Politischer Religion" bzw. "Religiöser Politik" behandelt werden, sondern eine gewisse Focussierung vorgenommen worden ist, wobei die historischen Voraussetzungen ("aufklärerische, christliche, germanische’, griechische, jüdische und römische" (Vorwort, 11) in den Vordergrund treten, gleichzeitig die soziologischen, philosophischen, theologischen, politologischen Zugangsweisen durch die oben genannten Autoren nicht zu kurz kommen, machen den Reiz und das Gepräge dieses Bandes aus.