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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

920–921

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Nach Petrus Sabatier neu gesammelt u. hrsg. v. d. Erzabtei Beuron unter d. Leitung v. R. Gryson.

Titel/Untertitel:

Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel. Bd. 6/2: Esra I. Hrsg. v. B. Gesche. 2. Lfg.: Esra I 2,16–5,7.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Herder 2010. S. 81–160. 31,5 x 24,0 cm. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-451-00302-8.

Rezensent:

Heinrich Holze

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Vetus Latina 2009. 53. Bericht der Stiftung. 42. Forschungsbericht des Instituts. Hrsg. v. d. Gemeinnützigen Stiftung Vetus Latina. Red.: R. Gryson u.B. Steimer. Freiburg i. Br.: Herder 2009. 40 S. 8°.
Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel. Nach Petrus Sabatier neu gesammelt u. hrsg. v. d. Erzabtei Beuron unter d. Leitung v. R. Gryson. Bd. 19: Evangelium Secundum Iohannem. Ed. P. H. Burton, H. A. G. Houghton, R. F. MacLachlan, D. C. Parker, ad. J. Balserak. Fasc.1: Jo 1,1–4,48. Freiburg i. Br.: Herder 2011. IV, 300 S. 24,4 x 16,0 cm. Kart. EUR 198,00. ISBN 978-3-451-00318-9.
Isidorus episcopus Hispalensis: Expositio in Vetus Testamentum: Genesis. Textum ad fidem codicum antiquiorum restituit M. M. Gorman. Fontes operis nun primum detexerunt M. Dulaey et M. M. Gorman. Freiburg/Basel/Wien: Herder 2009. XLIV, 126 S. u. 16 Taf. 24,0 x 16,0 cm = Vetus Latina. Aus der Geschichte der lateinischen Bibel, 38. Kart. EUR 65,00. ISBN 978-3-451-21976-4.


Der auf der Jahrestagung im Mai 2010 vorgetragene Jahresbericht der Stiftung sowie der Forschungsbericht des Instituts zeigen, dass die Editionsarbeiten an der Vetus Latina planmäßig weitergeführt werden konnten. Im Einzelnen gilt dies für die Editionen der Bücher Esra, Tobit und Sirach im Alten Testament und für die Evangelien Markus und Johannes im Neuen Testament. Die Editionen der Apostelgeschichte, des Römerbriefs sowie der Korintherbriefe werden ebenfalls fortgesetzt. Auch die Arbeiten an der Edition des Apokalypsekommentars des Tyconius nehmen einen planmäßigen Fortgang.
Abgeschlossen liegen die beiden ersten Lieferungen des Buches Esra vor (Freiburg 2008/2010). Sie werden herausgegeben und editorisch verantwortet von Bonifatia Gesche. In ihrer kurzen Einführung macht die Herausgeberin auf die schwierige Überlieferungssituation der Esra-Bücher aufmerksam. In der Septuaginta sind zwei Esra-Bücher überliefert, von denen jedoch das eine keine hebräische Vorlage hat. Dieses Buch ist das erste Esra-Buch der Vetus Latina und wird als »Esra I« bezeichnet. Bemerkenswert ist jedoch, dass dieses Buch, da es keine hebräische Vorlage hatte, von Hieronymus nicht beachtet wurde und infolgedessen auch nicht in die Pandekten des frühen Mittelalters und sonstigen Bibelhandschriften der karolingischen Zeit aufgenommen wurde. Erst seit dem 13. Jh. taucht die Übersetzung dieser Fassung des Esra-Buches auf. Hieronymus kennt in seinen Schriften nur ein kanonisches Esra-Buch, das dem zweiten Esra-Buch der Septuaginta entspricht und als »Esra II« bezeichnet wird. So entstand das Problem, dass in zahlreichen Listen, in denen die biblischen Bücher zusammengestellt sind, zwei Esrabücher aufgeführt sind, während für die Vulgata nur das eine Esra-Buch, die Übersetzung des hebräischen Textes, vorlag. Das führte dazu, dass in der Vulgata das Esra-Buch in zwei Teile aufgeteilt wurde, so dass das Buch jetzt den Büchern Esra und Nehemia entspricht. Die Edition bietet neben dem Text der Septuaginta vier Texttypen des lateinischen Textes: die älteste Version der in Europa verbreiteten Übersetzung, eine überarbeitete Version dieser Übersetzung, die davon abhängige jüngste Version des lateinischen Textes sowie einen nicht näher zu bestimmenden afrikanischen Text. Die Edition reicht mit den beiden vorliegenden Lieferungen von Kapitel 1,1 bis 5,7.
Von der Edition des Johannesevangeliums liegt die erste Lieferung vor (Freiburg 2011). Sie wird herausgegeben vom Institut für Textforschung an der Universität Birmingham unter Leitung von P. H. Burton, H. A. G. Houghton, R. F. MacLachlan und D. C. Parker. In der Textdarbietung bildet der in Nestle-Aland erhobene griechische Text mit allen Textvarianten, zu denen sich lateinische Entsprechungen finden, den Ausgangspunkt. Diesem Text wird die lateinische Überlieferung mit ihren insgesamt 49 vorhandenen Manuskripten der altlateinischen Überlieferung zugeordnet. Ein ausführlicher Apparat mit den patristischen Zitationen erschließt den Text. In seiner Einführung verweist der Herausgeber der Vetus Latina, Roger Gryson, auf die Schwierigkeit, dass die indirekten Verweise und Anspielungen aufgrund ihrer Fülle nicht vollständig erfasst werden konnten. Man habe sich deswegen entschieden, nur die expliziten Zitationen im Apparat zu erwähnen. In der vorliegenden Teiledition wird der Text des Johannesevangeliums bis Kapitel 4,48 erschlossen.
Aus der Geschichte der lateinischen Bibel ist die Genesisauslegung des Isidor von Sevilla anzuzeigen. Dabei handelt es sich um einen 1530 erstmals gedruckten Text (bei Johannes Soter in Köln). Weil sein Titel unbekannt war, wird das Werk in den altkirchlichen Literaturlisten nicht erwähnt. Für die vorliegende Ausgabe ist er aus der Praefatio rekonstruiert worden. Die von Michael M. Gorman herausgegebene und von Martine Dulaey mit einer Einführung versehene kritische Ausgabe beruht auf Manuskripten aus karolingischer Zeit, aus denen sich zwei in der Mitte des 7. Jh.s entstandene Urfassungen rekonstruieren lassen. Die Textgeschichte ist freilich, wie der Herausgeber betont, komplex und mit Unsicherheiten behaftet. Inhaltlich bietet Isidor in seinem Kommentar, der vor dem Aufkommen der karolingischen Renaissance weithin rezipiert wurde, danach aber an Bedeutung verlor, eine allegorische Auslegung der Genesis. Er ist damit ein Zeuge für das Interesse der frühmittelalterlichen Genesisauslegung an der Allegorie, die seit der Mitte des 9. Jh.s hinter den literalen Auslegungsentwürfen Augustins und Hieronymus’ zurücktrat. Isidor knüpft in seinem Kommentar an die Breite der exegetischen Tradition der Alten Kirche an.
Zu den Autoren, auf die Isidor in seiner Auslegung verweist und die in einem Quellenregister angeführt werden, gehören neben Am­brosius und Augustinus, die am häufigsten zitiert werden, Hippolyt, Origenes, Victorinus von Poetovio, Johannes Cassian, Hieronymus, Rufin, Paulinus von Nola, Fulgentius von Ruspe, Caesarius von Arles und Gregor der Große. Die Fülle der literarischen Bezüge ist so groß, dass die Frage nach der Originalität von Isidors Genesiskommentar gestellt wurde. Martine Dulaey betont, die Be­sonderheit seiner Exegese zeige sich darin, dass er den Blick besonders auf die Figuren des Alten Testaments lenke und diese in seiner Auslegung heilsgeschichtlich-typologisch, also als Abbildungen Christi und der Kirche, deute. Damit erweise sich Isidor als ein Erbe der frühkirchlichen Taufkatechese und wende sich mit seiner Auslegung nicht nur an Kleriker, sondern auch an ein gebildetes Laienpublikum.