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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

906–907

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kleine, Christoph

Titel/Untertitel:

Der Buddhismus in Japan. Geschichte, Lehre, Praxis.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XIII, 577 S. 23,0 x 15,5 cm. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-150492-1.

Rezensent:

Theo Sundermeier

Einführungen in den Buddhismus erscheinen regelmäßig und treffen auf das Interesse vor allem Zen-begeisterter Abendländer. Der japanische Buddhismus wird dabei meistens zielgerichtet nur in einem Kapitel abgehandelt. Christoph Kleine, Professor für Religionsgeschichte mit dem Schwerpunkt Buddhismus in Leipzig, legt nun eine umfassende Übersicht über Entstehung, Ausbreitung sowie Auf- und Abschwung des Buddhismus in Japan bis zur Moderne vor. K. ist durch und durch Historiker, aber die Lektüre seines umfangreichen Buches ermüdet den Nicht-Japanologen nicht, da er einerseits die historische Zeitfolge streng beachtet, andererseits die Fülle der historischen Informationen jeweils so bündelt, dass er neben der Geschichte die für die jeweilige Zeit zentrale Lehre zusammenfasst. Dass er dabei Historiker bleibt, hat den Vorteil, dass er sich jeglichen Urteils enthält, weder Sympathie noch Antipathie zeigt oder »Fehlentwicklungen« benennt, der Nachteil ist gelegentlich darin zu spüren, dass ihm die systematische Kraft zur stringenten Zusammenfassung fehlt, was besonders deutlich im Kapitel über Nichiren wird, wo er sich auf das Referat der verschiedenen, zugegeben disparaten Schriften Nichirens be­schränkt (436 ff.).
Der Begriff »Synkretismus« wird wertneutral gebraucht, aber negative Obertöne sind dabei wohl kaum zu vermeiden. Zu sehr ist der Begriff in der Religionswissenschaft und der Theologie belastet. Um der Sache willen hätte ich mir jedoch gelegentlich eine genauere Darstellung gewünscht, welche Auswirkungen die Primärreligion auf Gestalt und Lehre der sekundär nach Japan eingedrungenen Religion des Buddhismus hatte, zumal in der Meijizeit diese Frage höchst aktuell wird, als im Zuge des aufkommenden Nationalismus der Shintoismus zum Staatskult erhoben wird (477 ff.).
Der Buddhismus ist eine Importreligion, wird über ein koreanisches Königtum (Paeksche) nach Japan gebracht und ist dort frühzeitig zum Staatskult aufgestiegen, da sich der Staat Vorteile von dieser Religion erhoffte (1–27). Wie die »zwei Flügel eines Vogels« (so ein früherer Aufsatztitel von K., 2001) verhalten sich in Japan Bud­dhismus und Staat. Der Lauf der Geschichte in Japan zeigt, dass der Buddhismus geschwächt wird, wenn der Staat infrage gestellt oder angegriffen wird bzw. der Angriff auf den Buddhismus zu­gleich als ein Angriff auf den Staat angesehen wird. Das bedeutet aber auch, dass der Staat über Ordinationen, Tempelbau etc. be­stimmt – was genug Anlass für Vertreter des ursprünglichen Bud­dhismus ist, die Legitimität der Ordination der Mönche und Priester infrage zu stellen. Da nicht lehrmäßig korrekt durchgeführt, wird auch die Ordination der Nonnen infrage gestellt, so dass es bis heute wie auch in anderen buddhistisch geprägten Ländern keine anerkannten Nonnenorden mehr gibt. Der Staat hat solche Macht über den Buddhismus, dass er noch in der Neuzeit verfügen kann, dass Mönche sich nicht an den Zölibat, an das Verbot des Fleisch- und Alkoholgenusses etc. halten müssen (479). Der Buddhismus hat sich seinerseits in den Kriegen der Neuzeit ganz der Ideologie des Tennoismus angepasst und konnte selbst den Krieg als einen »Schritt hin zur Erleuchtung« bezeichnen (482). Dass es Mönchsarmeen gab (176 ff. u. ö.), hat schon immer den buddhismusgläubigen Westen irritiert. K. scheut sich nicht, dieses Problem zu thematisieren (so auch schon in früheren Aufsätzen aus den Jahren 2002 und 2003).
Wird in der Anfangszeit noch keine Diskriminierung der Frau erkennbar, so dass selbst eine Nonne Kaiserin werden kann (23 ff.) – was zugleich das Ende solcher Karrieren und der Anerkennung der Nonnenorden bedeutet –, bleibt die Diskriminierung bis in die Gegenwart bestehen. K. widmet dem Problem einen informativen Exkurs (469 ff.). Sehr sorgfältig wird dann das Entstehen der »Sechs Nara-Schulen« und ihre für den Abendländer schwer nachzuvollziehenden Lehrdifferenzen dargestellt (28–97).
Ausführlich und in der nüchternen Sprache sehr gut lesbar widmet sich K. dem Amida Buddhismus in der Kamakura-Zeit (1185–1333) (232–328) und dem Entstehen des Zen und seinen verschiedenen Schulen (328–394). Auch wenn man K.s Buch über Hōnen (1996) kennt, so liest man dieses breit angelegte Kapitel mit Gewinn. Die historischen Zusammenhänge, das Auf und Ab der Bewegung werden ebenso präzise dargestellt wie die Herausforderung, die diese Bewegung für den etablierten Buddhismus in der damaligen Zeit bedeutete, da sie aus dem elitären Zirkel herausbrechen und jedem, auch dem einfachen, Menschen den Zugang zum Heil ermöglichen wollte.
Die Bedeutung des Buddhismus in der Kamakura-Zeit wird un­terschiedlich beurteilt. Hatte er der so »diesseitsbejahenden und am Kollektiv orientierten« japanischen Religiosität Entscheidendes entgegenzusetzen (so Bellah)? Oder befriedigte er eher den aufkommenden an der Transzendenz sich orientierenden Individualismus und kam der »allgemeinen Tendenz hin zu einer De­mo­kratisierung, Popularisierung und ›Devotionalisierung‹ des Bud­dhismus« entgegen, der nun lehrte, dass alle unwürdig sind, aber gerettet werden können (439)? Jetzt bediente man sich auch im Kult der japanischen Sprache, charismatische Führer gewannen an Bedeutung, die der offiziellen Priesterschaft ging zurück. Dass der Buddhismus aber gerade darin dem aufkommenden Na­tionalismus und dem daraus seine Kraft ziehenden Shintoismus (die neue »Staatsreligion«, der Shint ō, diente u.a. der Trennung von »Kamis und Buddhas« und wurde als »Nicht-Religion« klassifiziert, 478 f.480) nicht gewachsen war, gehört zu den Besonderheiten japanischer Religionsgeschichte, denen K. überzeugend nachgeht.
Auf den oft leichtfertig und oberflächlich vorgetragenen Vergleich zwischen dem Amida Buddhismus und der Reformation geht er nur beiläufig ein. Dazu hatte M. Repp in seiner Arbeit über »Hōnens religiöses Denken« (2005) Relevantes gesagt.
Auf die sich auf Nichiren und das Lotus-Sutra berufenden neureligiösen Bewegungen (Sōka Gakkai u.a.) geht K. nur kurz ein (433ff.). Sie gehören zur Moderne, die nicht mehr in den intendierten Bereich des Buches fällt. Hierüber wünschte man sich aus der Hand K.s eine ebenso sorgsame Studie wie die vorliegende.
K. hat mit diesem Buch zum Buddhismus in Japan in seiner umfassenden Verarbeitung der Literatur, seinem klaren Aufbau und seiner trotz aller wissenschaftlichen Akribie bemerkenswert gut lesbaren Studie ein Standardwerk geschaffen, das über Jahre, wenn nicht für Jahrzehnte Gültigkeit besitzen wird. Der Schlusssatz scheint mir im Nachhinein der geheime Leitsatz des ganzen Buches zu sein: »In vieler Hinsicht scheint die Situation des traditionellen Buddhismus in Japan der der christlichen Kirchen in Deutschland zu ähneln. Sie vermögen es nicht, auch nur annähernd ein Monopol bei der Erfüllung religiöser Bedürfnisse zu behaupten. Andererseits sind sie fest etabliert und öffentlich gut sichtbar. Sie sind selbstverständlicher Bestandteil einer Kultur … Und sie werden es wohl noch lange bleiben.« (494)