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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

888–900

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Knut Backhaus

Titel/Untertitel:

Die Apostelgeschichte im Kontext der hellenistisch-römischen Literatur
Interdisziplinäre Annäherungen

Die Apostelgeschichte sprengt Grenzen: geographisch, religiös, so­zial, kulturell und literarisch. Ihr Plot ist nicht zuletzt deshalb als stete Reise der Aktanten angelegt, weil auf solche Weise Grenzüberschreitung erzählbar wird. Die reichsrömische Welt zieht leichtfüßig am Leser vorbei: apostolische ἰδιῶται und Stoiker, der Jerusalemer Tempel und der Areopag Athens, lykaonisches Hinterland und römische Metropole, äthiopischer Hofeunuch und phi-lippische Wahrsagesklavin, eine Himmelfahrt und 14 Gerichtsprozesse, derber Dämonenschwank und Rede im genus grande. Es ist, als ob das Evangelium alle nur denkbaren Lebensorte der Antike berührt, damit ersichtlich wird, dass dieser Weite auch Tiefe eignet.

Die Apostelgeschichte sprengt somit auch Fachgrenzen. Von allen frühchristlichen Schriften besitzt diese narrative Synthese das stärkste Potenzial, fächerübergreifend Forschung zu inspirieren. Tatsächlich erweist sich die Apg zunehmend als interdisziplinäres Pionierfeld von Exegese, Klassischer Philologie und Alter Geschichte. So soll das buntscheckige Buch als Paradigma für Chancen und Risiken fachlicher Synergien in der Quellenarbeit dienen.

Unter interdisziplinärem Gesichtspunkt lassen sich drei Phasen der Acta-Forschung unterscheiden: 1. Das selbstverständliche (und selbstverständlich schwierige) Miteinander von Klassischer Philologie/Alter Geschichte und Neutestamentlicher Exegese bis in die20er- Jahre des vorigen Jh.s. 2. Die lange Zeit von Distanz und peinlicher Nähe unter den Vorgaben von Form- und Redaktionsgeschichte, dialektischer und kerygmatischer Theologie. 3. Die pragmatische Vernetzung in der Forschungsgegenwart seit den 90er-Jahren.

Während das weithin unfruchtbare Intermezzo der zweiten Phase nur der Musterung bedarf, widmen wir uns der ersten Phase eingehender. Dabei leitet uns weniger das fachgeschichtliche In­teresse als die gegenwartsrelevante Einsicht, dass die interdisziplinäre Forschung, erfahren und verwandelt, in vieler Hinsicht dort anknüpft, wo sie vor fast 100 Jahren aufgehört hat.

1. Forschungsgeschichte als Forschungsgegenwart


1.1 Althistorie


Die meist lebensgeschichtlich bedingte Nähe zwischen humanistischer Bildung und theologischem Quelleninteresse führte am Beginn der modernen Acta-Forschung wie von selbst zu Querlektüren. Anders als die Altphilologie im späten 19. und frühen 20. Jh. hielten sich die Althistoriker hinsichtlich der Schwellenphase des Christentums jedoch zurück. Neben religiös-weltanschaulichen Gründen spielte dabei die unübersichtliche Quellenlage, nicht zu­letzt die Unsicherheit gegenüber der Apg als Referenzbasis, eine Rolle. Theodor Mommsen kosteten die knappen rechtsgeschichtlichen Beiträge zur Acta-Forschung,1 die er in Abstimmung mit Adolf Harnack schrieb, spürbar Überwindung: Er wolle »nicht gern in die Verhandlungen über die Apostelgeschichte hineinreden«, zumal die Theologen seine »Lucubrationen« ohnehin nicht läsen.2 »Alle Fragen, die sich auf die Entstehung des Christentums beziehen, sind so schwierig, daß wir uns freuen, ihnen aus dem Wege gehn zu dürfen«3, notierte Otto Seeck.

Das epochale Werk »Ursprung und Anfänge des Christentums«4 des Berliner Althistorikers Eduard Meyer (1855–1930) bildet – wie vor ihm Leopold von Rankes »Weltgeschichte«5 – die Ausnahme zur Regel. Beide enzyklopädisch interessierten Historiker stehen unter dem Einfluss der liberalen Theologie kulturprotestantischer Prägung; Meyer lehnt sich eng an Harnack an.6 Nicht zuletzt daraus erklärt sich, dass sie einerseits den dokumentarischen Status der Apg optimistisch beurteilen, andererseits den jüdischen Verstehenshorizont unterschätzen.

Meyer betont mit Verve den historiographischen Charakter der Apg und setzt sich damit von der aretalogischen Engführung durch Wilamowitz ab, der es als »unverzeihlich« empfand, in der Apg ein historisches Werk oder gar eine neue Textsorte zu sehen.7 Zugleich wendet Meyer sich gegen die Verwechslung von Textsorten mit eindeutigen Zuschreibungskategorien – ein Fehler, den die Gattungskritik der Apg bis heute nicht recht überwunden hat. Auch andere Leitthemen gegenwärtiger Forschung finden sich im Ansatz bereits bei ihm: die harsche Kritik an dem kanonisch bedingten Auseinanderreißen des Doppelwerks,8 der sensible Titelvorschlag Acta Jesu Christi und die damit ver­-bundene sublime Leserlenkung, die man heute als absentee christology be­zeichnet,9 die Resistenz gegen ein romantisch verklärtes oder dogmatisch normiertes »historisches« Paulusbild,10 die Verortung der Apg im Wirkungs- und Echoraum des Paulus,11 diffus das Denkmodell der intentionalen Ge­schichtsschreibung. Auch die lange Zeit (außerhalb Tübingens) tabuisierte Möglichkeit, die Wir-Berichte hypomnematisch zu lesen, stößt heute – entfernt davon, gesichert zu sein – nur noch selten auf das Zensurschwert exegetischer Traditionshüter.

Zu Meyers Zeit hatte die Exegese bereits in ersten Anfängen eine religions- und formgeschichtliche Sichtweise entwickelt, die seine positivistische Unbefangenheit gegenüber der lukanischen Darstellung schwerlich nachvollziehen lässt. Dass das Urteil der neutestamentlichen Fachwelt über sein Opus magnum nahezu ausnahmslos ablehnend, mitunter barsch, ausfiel,12 verwundert daher nicht. Es wurde als anachronistisch betrachtet und stieß, trotz des hohen Ansehens seines Verfassers, im deutschsprachigen Raum kaum auf fachliche Resonanz. Umso erstaunlicher wirkt es, dass die jüngste Exegese, wie wir sahen, Meyer sachlich wie methodisch durchaus nahesteht. In der Tat knüpft sie dort an, wo man in den Anfängen der Formkritik aufgehört hatte.

Auf das Ganze betrachtet, scheint mir dies nicht nur ein Rück­schritt zu sein. Die Entdeckung des kerygmatischen Charakters der urchristlichen »Volks- und Kleinliteratur« seit den 20er-Jahren verführte dazu, diese aus ihrem historischen, sozialen und litera­rischen Umfeld zu lösen, so dass das christliche Kerygma zum generischen Sondermerkmal wurde. Die Selbstaffirmation des Christlichen durch dessen dialektische Engführung verstärkte diese Dynamik. Die Apg wurde zu einer »Gattung sui generis«, die von Lk erfunden worden war, wie Mk die Gattung »Evangelium« erfunden hatte. Ungeachtet mancher differenzierenden Stellungnahme, allen voran der von Martin Dibelius, tendierte die Exegese dazu, die Apg nicht als Historiographie zu würdigen – so, wie die Evangelien keine Biographie Jesu bieten. Merkwürdigerweise schrieb man anderen Ge­schichtsdarstellungen, etwa Josephus oder den senatorischen Autoren, mehr oder weniger ausdrücklich, na­hezu tendenzfreien Dokumentationsstatus zu; dies wirkt weit bis in die heutige Alltagsexegese und den Religionsunterricht nach. Zweifellos war Lk kein Thukydides oder auch »nur« ein Xenophon, 13 aber mit dieser Negation ist seine literarische Individualität nicht hinreichend erfasst. Zu fragen ist vielmehr, was er im Vergleich mit ihnen – eher noch: mit den meist übersehenen »un­klassischen« Historiographen seiner Zeit14 – (nicht) ist. Eine »Gattung sui generis« ist ein Selbstwiderspruch. Literarische Individualität schließt Vergleichbarkeit nicht aus, sondern fordert sie. Insgesamt verkörperte die Apg in der form- und redaktionsgeschichtlichen Phase ein historisch kontextloses Kerygma: Sie be­antwortete Fragen, die in der reichsrömischen Umwelt keiner stellte, es sei denn, er gehörte zur »lukanischen Gemeinde«. Die lukanische Gemeinde war jene sozial wie historisch kaum situierbare Adressatenschaft, die man erhielt, wenn man das Kerygma mittels mirror-reading in ein ur­christliches Sondermilieu reprojizierte: Sie litt unter Parusieverzögerung, brauchte ein Erbauungsbuch15 und war ansonsten frühkatholisch. So betrachtet ist die heutige Rück­kehr zu mancher Prämisse, die sich bei Meyer findet, keineswegs ein Rückfall in den Vor-Konstruktivismus. Vielmehr nimmt die Acta-Forschung zur Kenntnis, dass »Kerygma« als konstruktive Sinnstiftung die Apg nicht aus ihrer historischen Welt entlässt. Sie greift ein Postulat Meyers16 auf, indem sie die Apg wie alle antike Literatur lege artis behandelt.

Mit der Auflösung des modernen Konsenses in der Acta-Forschung treten auch die Gegenpole wieder stärker hervor, mit denen bereits Meyer sich auseinanderzusetzen hatte: Die Einheit des »Doppelwerks« wird relativiert oder be­stritten;17 die literarische Abhängigkeit der Apg von Josephus gewinnt an Plausibilität;18 die Romanliteratur wird wieder zum gattungsgeschichtlichen Bezugsfeld; die Datierung ins 2. Jh. erntet erneut Zuspruch. Charakteristisch für diese Anknüpfung an die Apg-Exegese des 19. und frühen 20. Jh.s, wenn auch mit betontem Innovationsanspruch, ist das umfassende Werk von Richard Pervo, das jetzt in seinem Hermeneia-Kommentar19 eine beeindru-ckende Summa gewonnen hat.

1.2 Altphilologie


Frei von der den Althistorikern eigenen Zurückhaltung, waren es die Klassischen Philologen, die sich dem δεύτερος λόγος des Lk als opus proprium zuwandten.20 Der bis heute maßgebende Bahnbrecher Henry Joel Cadbury (1883–1974) lehrte in Harvard zwar Neues Testament, war aber (als Quäker mit agnostischer Neigung) Altphilologe nach Ausbildung, Selbstverständnis und Methode. Der Beitrag des Göttinger Altphilologen Paul Wendland zur literarischen Gestalt der Apg21 ist von Ernst Haenchen zum vielleicht Bes­ten erklärt worden, »was vor dem Ersten Weltkrieg über die Apg geschrieben worden ist«22. Be- und Vergegnung der Fachkulturen lassen sich am locus classicus Apg 17,16–34 lehrreich studieren. Als »the dramatic climax of his whole book« zielt die Areopagrede des Lk nach Werner Jaegers sympathisch-humanistischem Fehlurteil auf »Christianity’s final target, the classical Greek world«23. Eduard Norden (1868–1941), entschlossen, sich zu Athen als Philologe nicht den »theologischen Mitgriechen« zu unterwerfen,24 widmete ih­nen den Hauptteil seines interdisziplinären Standardwerks »Agnostos Theos«. Das Buch erzielte bis in die Tagespresse hinein lebhafte Resonanz. Seine bahnbrechende Bedeutung lag, wie betont wurde, »auf dem Mute […], womit der Verfasser die trotz aller Grenzarbeit noch immer turmhohen Schranken zwischen theologischer und philologischer Wissenschaft und Methode beiseite schiebt«, um sich in die Arbeit an den theologischen Quellen zu stürzen. 25 Richard Reitzenstein unterstrich: Der Theologe werde an diesem Buch ersehen, wie unentbehrlich ihm das Rüstzeug der Altphilologie sei; der Philologe aber nehme am Transformationsprozess zwischen Osten und Westen des römischen Reiches teil, der sich im Modus der Religion vollzogen habe. So biete das Opus die Hoffnung, »die hochmütige Geringschätzung solcher Arbeit, die lange Zeit weniger bei den Meistern als bei den Kleinmeistern unserer Wissenschaft be­stand, zu verringern« und »uns dem Ziele einer gemeinsamen Arbeit der Theologen und Philologen immer näher zu führen« 26. Das Gegenteil trat ein. Doch der Streit zwischen den Fakultäten – dem alsbald »typische Geltung« zugeschrieben wurde27 – ist für uns heutige Kleinmeister fruchtbarer, als die stän­-digen – mitunter köstlichen – Grenzscharmützel der wilhelminischen Großordinarien vermuten lassen.

Nach Norden setzt die Areopagrede eine Philostrat vorgegebene biographische Quelle zu Apollonios von Tyana voraus (vgl. Philostrat, Vita Apoll. 6,3 [ed. V. Mumprecht]). Dieser habe einen in Athen den unbekannten Gottheiten ge­weihten Altar zum Anlass genommen, eine vom stoischen Gottesbild geprägte Dialexis über die Bedürfnislosigkeit des Göttlichen zu halten, und sich auf Sokrates bezogen. Der Redaktor der Apg habe diese Rede in der ersten Hälfte des 2. Jh.s Paulus in den Mund gelegt, die Sokrates-Mimesis übernommen und die Widmungsinschrift in den Singular verwandelt. Norden ging dabei von der unter Philologen gängigen Teilung der Apg in zwei Schichten aus: eine unter Benutzung von Memoiren im 1. Jh. erstellte Grundschrift und die Endredaktion im 2. Jh. Nicht nur die Spätdatierung, sondern auch die rigide Ab­wertung der Areopagrede als unselbständiges Elaborat eines mittelmäßigen Epigonen 28 reizte die Theologen zu Widerspruch. Deren Protagonist Adolf Harnack verteidigte seine Position:29 Die Rede sei nach Stil und Sache integraler Bestandteil der Gesamterzählung und gehe, wenn nicht in Grundzügen auf Paulus, so in ihrer jetzigen Gestalt auf deren Verfasser zurück, also (für Harnack) den Arzt und Paulus-Begleiter Lukas. Harnack schloss seine Ausführungen mit schulmeisterlichem Rat: »Make no comparison!« Prompt replizierte der zum Vergleich stets geneigte Richard Reitzenstein, verwahrte sich gegen jedweden Verdacht von Standesdünkel, erklärte, nicht ohne solchen, diese »für die ganze ältere Kirchengeschichte entscheidende Frage« zum Musterfall der verschiedenen Methoden von Philologie und Theologie, auch wenn hier »ausnahmsweise der Philologe, ja eigentlich er allein, zu urteilen berufen ist« 30. Dialektisch gewandt, sei Harnacks Versuch doch typische Apologetik, Nordens These indes, wie Reitzenstein in der Einzelanalyse zu bekräftigen suchte, gesichertes Resultat. Zunftgenossen pflichteten ihm nicht im gereizten Tonfall, wohl aber in der Sache bei. Otto Weinreich deklarierte, »daß der Streit zum mindesten für jeden Philologen erledigt sein dürfte«31. Diese Rechnung war allerdings ohne den Wirt erstellt, denn dieser – Eduard Norden, zehn Jahre später im Vorwort zum Nachdruck seines Werkes – erklärte sie unter dem Druck der Gegenargumente von Eduard Meyer für vollkommen widerlegt.32 Nichts ist lehrsamer für die heutige Forschung als die Halbwertszeit gestriger Gewissheiten.

Die über den Tag hinausreichende Bedeutung dieses Streits liegt in den methodischen Grundentscheidungen (und Kategorienfehlern). Auf der altphilologischen Seite neigte man zu einer religionsgeschichtlich kaum haltbaren Unterscheidung zwischen (orien­talischem) Judentum und (apollinisch-klarem) Griechentum, zu einer literatursoziologisch unbelasteten Genie-Ästhetik33, zurMiss­achtung von marginalen Oralitätskulturen, zur Verwechslung von Motivanalogie mit literarischer Dependenz, zur »Parallelitis« wie zu intuitiver Dekomposition und ungezügelter diachroner Spekulationsfreude. Auf der theologischen Seite neigte man dazu, die wissenssoziale Sonderstellung und günstige Überlieferungslage der urchristlichen Literatur mit religionsgeschichtlicher Analogielosigkeit zu verwechseln, sich auf die urchristliche Konkordanzarbeit zu beschränken und so das Vergleichsverbot letztlich als Im­munisierungsstrategie einzusetzen. Nicht selten erlag man der Urversuchung theologischer Textarbeit: nicht die Texte, sondern mittels der Texte den eigenen systematischen Geltungsapparat sprechen zu lassen. Pointiert: Für Harnack war der »Arzt Lukas« der erste Kulturprotestant und die Areopagrede sein theologisches Programm. Sie dokumentierte jene Abkehr vom Judentum, die Harnack kaum früh genug ansetzen konnte, da sie für ihn das Wesen des Christentums freilegte: »Die neue Religion, fast noch in ihren Anfängen, erhielt so bereits eine Geschichte, und sie erhielt sie nicht von einem Judenchristen und Palästinenser, sondern von einem Hellenen. Das war von unermeßlicher Bedeutung! Der Grieche, kaum gewonnen, schenkt ihr eine Geschichte«34. Dogmatische Vor­eingenommenheiten dieser Art werden erklärlicher, nicht aber stim­miger, wo man – unter dem Eindruck der Traumata des 20. Jh.s– die Vorzeichen zwischen Judentum und Heidentum vertauscht, nunmehr die pagane Antike verzeichnet und eine »rein« jüdische Herleitung, weil theologisch wünschbar, für historisch alternativlos hält. Die Versuchung bleibt: Weil die Apg die Stiftungsmemoria der Kirche bereitstellt, reizt sie den Exegeten dazu, sein eigenes Programm im lukanischen »wiederzufinden«. Nicht als Fenster dient die Quelle, sondern als Spiegel.

Auf beiden Seiten neigte man zur Komplexitätsreduktion: Wer die Areopagrede dem Paulus der Briefe zuzutrauen imstande sei – entschied Wilamowitz –, mit dem sei nicht zu reden.35 Harnack indes fragte sich (sein »No comparison!« beherzigend), was an der Areopagrede so unpaulinisch sei.36 Eine kontextualisierte Auslegung wird heute die – seit dem Methodenkapitel des Thukydides selbstverständliche – Eigenart der Aktantenrede würdigen: Sie dient dem Schriftsteller als Deutungsinstrument.37 Nicht was Paulus gesagt hat, dokumentiert sie, sondern welche geschicht­-liche Rolle und theologische Bedeutung Lk ihm beimisst. Gleichwohl gelangt man auf solche Weise durchaus zur Erinnerung an den »Paulus der Briefe«. Diese Erinnerung dient lukanischer Ge­schichtskonstruktion, doch re-konstruiert sie auch jenen Völkermissionar, der den Übergang in die griechische Welt geebnet, die Inkulturation des Evangeliums vorangetrieben und sich bemüht hat, »den Heiden ein Heide« zu werden (vgl. 1Kor 9,19–23). Dass solche Erinnerung in extratextualer Geschichte verankert ist und auf sie verweist, lässt sich schwerlich bestreiten. 38 Theologie tritt nicht neben die Historiographie, sondern tritt in Gestalt von Historiographie und als deren spezifische Deutungslinie auf. Auch hier also legt die innere Entwicklung der verschiedenen Disziplinen die wechselseitige Korrektur und Ergänzung nahe.

2. Interdisziplinäre Forschungsflaute:


Kronzeugen und Klassiker


2.1 Althistorie


Auf den ersten Blick, so sahen wir, lässt sich behaupten, dass die Acta-Forschung derzeit dort steht, wo sie am Anfang des vorigen Jh.s gestanden hat. Doch steht sie nicht unverändert dort. Gegen­-über der durch Meyer repräsentierten ersten Naivität im Umgang mit dem urchristlichen Quellengut hat die formgeschichtliche Schule eine wesentliche Einsicht erzielt. Martin Dibelius hat sie prägnant beschrieben: Im Unterschied zur älteren Betrachtungsweise habe die Forschung, bevor sie nach dem Erzählten frage, die »Art der Erzählung« zu betrachten. Sie gehe »nicht von vornherein mit Sachkritik, mit Fragen nach Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Vorgangs, an den Text« heran, sondern begebe sich gewissermaßen in den Text hinein, indem sie dessen Absicht und Darstellungsmittel untersuche. 39 Hinter diese Einsicht kann die kritische Exegese nicht mehr zurück.

Die Rolle, die dem Althistoriker nun in Diskursen über Glaube und Geschichte zuwuchs, war indes die des schulmeisterlichen Kronzeugen der Gegenkritik.40 Er musste dafür herhalten (und tat es vereinzelt mit grimmiger Lust)41, den Acta-Auslegern vorzuführen, wie sie eigentlich mit ihrer Quelle umzugehen hätten. Würden Althistoriker den Referenzanspruch ihrer Texte ähnlich relativieren wie Exegeten, so hieß es, stünde das Bild der Antike auf dem Spiel, wäre jede historische Gewissheit verloren. Ironischerweise steigerte sich vor diesem Hintergrund die Autorität des Agnostikers Eduard Meyer in evangelikalen Augen ins schier Unermess­liche.42 Wo im Einzelfall ein Altertumswissenschaftler die Kronzeugenrolle nur mangelhaft ausfüllte, so W. J. McCoy in seinem nüchternen Aufsatz »In the Shadow of Thucydides«, ließ es sich der theologische Anwalt nicht nehmen, in einem »editor’s addendum« zu ergänzen, was der Zeuge eigentlich hätte sagen sollen: »that Luke intends to be seen as a serious Hellenistic historian of contemporary events, rather like a Polybius or a Thucydides«43. Wie sich aus den sozialen und kognitiven Voraussetzungen urkirchlicher Selbstvergewisserung ausgerechnet ein Interesse an kritisch-pragmatischer Geschichtsschreibung (mit ihrem Schwerpunkt auf militärischer Politikberatung) erklären sollte, wird nicht einmal gefragt.44

Die hermeneutische Situation hat sich seit einiger Zeit verändert – nicht nur weil die Althistoriker mit evangelikaler Biographie spärlicher werden. Der Geschichtsbezug selbst hat sich gewandelt: Die althistorische Forschung entdeckt seit Hayden White verstärkt die kreative Tendenz der Gedächtnisarbeit. Sie bringt dem Doku-mentationsstatus ihrer Texte, etwa denen der standespolitischen Geschichtsschreibung, nunmehr ebenjene methodische Skepsis entgegen, die in der Exegese angesichts des konfessorischen Charakters ihrer Quellen seit Langem zum Handwerk gehört.45 Der senatorische Berichterstatter Tacitus ist nicht »unverdächtiger« als der Urchrist »Lukas«; nur seine Konstruktionsinteressen sind andere. Nicht die Exegese hat sich den Plausibilitäten der Althistorie anverwandelt; der Prozess verlief umgekehrt. Das Kerygma ist kein Alleinstellungsmerkmal urchristlichen Quellenguts, sondern die ihm eigentümliche Gestalt konstruktiver Tendenz. Auch in der Apg hat die Bibel nicht »doch Recht«, aber das verliert an Dramatik: Klio hat niemals »doch Recht«. Sie wandelt sich, schminkt sich, dichtet, tanzt, und manchmal setzt sie Masken auf. 46 Der Umweg über das Kerygma hat die Acta-Forschung also nicht nur gehemmt, sondern mehr noch beschleunigt. Die Wege, die die Nachbardisziplinen poststrukturalistisch gehen, hat sie bereits in den 20er-Jahren an­getreten. So schließt sich der Kreis. Man bewegt sich wieder auf benachbarten Pfaden, und dies auf gleicher Augenhöhe. Die Prämissen für die Annäherung sind daher günstig.

2.2 Altphilologie


Auch die Beziehungen der Acta-Forschung zur Altphilologie zeigten sich in der Windstille dieser 70 Jahre unbewegt. Selbstverständlich wurde, etwa im ThWNT, das griechische, teilweise auch das lateinische Quellengut in die Betrachtung einbezogen, aber es stand blockartig neben dem frühchristlichen. Zu Synthesen kam es selten. Die pagan-antike Literatur wurde in den einschlägigen Apg-Kommentaren angeführt, aber eher in Form fragmentierter Referenztexte aufgezählt als durchdrungen, nicht selten mittels eingeklammerter Parallele von Kommentar zu Kommentar durchgereicht, aber zur Verortung der Apg nicht wirklich genutzt. Auf der altphilologischen Seite war die nachklassische Literatur im Allgemeinen und im Besonderen die urchristliche Literatur als literarisch viertrangiges Schrifttum einer marginalen Gesellschaftsschicht allenfalls Appendix. Der »Nesselrath« als repräsentativer Wissensspeicher des Fachs charakterisiert die Apg als Fortsetzung des Lk und widmet ihr drei Worte: »neben die Apostelgeschichte …«47. Präzisierungen scheinen denkbar. Es gab Ausnahmen. Die Arbeiten von George A. Kennedy haben, direkt oder indirekt, die Acta-Forschung inspiriert.48 Die außergewöhnlich hilfreichen Beiträge des Lundenser Gräzisten Albert Wifstrand (1901–1964), in Schwedisch veröffentlicht, werden derzeit durch Übersetzung ins Englische der breiteren Fachwelt zugänglich gemacht.49

Auch hier wandeln sich etwa seit den letzten 20 Jahren allmählich die Prämissen. Der Altphilologe, der auf seinen Klassikern als einer Art Religionsersatz beharrt, ist mittlerweile emeritiert. Die Reitzensteinschen »Kleinmeister« gibt es immer noch, für die die griechische Kultur mit Homer beginnt und spätestens bei Demosthenes aufhört. Aber sie besitzen auch in der eigenen Zunft allenfalls den wilhelminischen Charme der Feuerzangenbowle. Der Hauptstrom hat in postmoderner Weitung den Hellenismus als eigenständiges Forschungsprojekt akzeptiert, literarische Genie-Ästhetik wissenssoziologisch gesprengt, sozialgeschichtliches In­teresse an kognitiven Minderheiten, sozialen Randschichten und subversiven Literaturen gewonnen und die rezeptionsgeschicht­liche Dimension von antiker Literatur als deren immanentes Lektürepotenzial entdeckt. Wenn die Acta sonst nichts zur Forschung beitragen könnte, so zumindest 2000 Jahre intensiver Rezeption und zwei Milliarden Leser (oder wenigstens: Bezieher) in über 1000 Sprachen. Die interdisziplinäre Erforschung der Apg geht daher den gleichen Weg wie die Literaturwissenschaft insgesamt: Die Zeit der Deutungsmonopole ist vorbei; die textzentrierte Kooperation prägt das Tagewerk.

3. Die aktuelle Situation: Heuristik und Pragmatik


3.1 Die Normalisierung der komparativen Arbeit


Unter solchen Prämissen gewinnt das Schnittfeld zwischen den Altertumswissenschaften und der Exegese Reiz und Relevanz. Dem Exegeten hilft das Gespräch, seine Quellen stringent zu kontextualisieren und damit zu erden und in ihrer Antwortstruktur wahrzunehmen. Der Althistoriker oder -philologe entdeckt literarische Welten, soziale Schichten, alternative Sinnentwürfe, die ihm bislang marginal schienen, obschon sie die gesellschaftliche Wirk-lichkeit der Antike zweifellos stärker abbilden als der neuzeitliche Bildungskanon mit seiner Elite- und Retainer-Literatur.50 Die Rück­wirkungen dieses Gesprächs auf das Selbstverständnis der beteiligten Disziplinen sind kaum zu überschätzen und reichen bis in das Wissenschaftsmanagement. So wird die Arbeit an den antiken Quellen heute über die Fakultätsgrenzen hinweg transversal verknüpft, die Interdisziplinarität auch fach- und forschungspolitisch verstetigt und anfanghaft bereits didaktisiert.51 Von solcher Synergie profitiert die Acta-Exegese sowie die Entstehungs- und Anfangsgeschichte des Christentums naturgemäß in besonderer Weise.52

Die Vergleichsarbeit steht freilich erst am Anfang und bedarf einer kriteriell kontrollierten Methodenanlage auf möglichst breiter Basis. Mitunter wird Vergleichsmaterial gesammelt, ohne dass deutlich wird, wie es zu einem Verstehensfortschritt hinsichtlich der Apg führen mag.53 Namentlich in den USA liebt die Acta-Forschung den Vergleich als solchen mehr als die dazu zweckmäßigen heuristischen Parameter. Sie droht gar bereits mit der Geburt einer »neuen religionsgeschichtlichen Schule«, als deren Kennmal hochgemut »a strong tendency to move rapidly into the Greco-Roman world« genannt wird.54 In der Tat rapide zeigt sich die Apg abhängig von Homer55 oder Vergil56. Die Lykaonier in Kapitel 14 verwandeln sich gleichsam in Wölfe wie einst der Arkadier Lykaon57. Der Kontinuität zwischen Nero und Otho bei Plutarch entspricht die Kontinuität des Paulus mit sich selbst, und ist man einmal so weit, richtet sich der Blick vom Schiffbruch des Paulus wie von selbst auf Galbas Sturz aus seiner Sänfte.58 Die Beispiele ließen sich vermehren, die Kooperation mit der Altphilologie gewinnt hier nahezu fachtherapeutische Funktion.

In materialer Hinsicht stehen derzeit vor allem Fragen nach der Gattung, wissenssozialen Funktion, Institutionengeschichte, me­mo­rialen Konstruktivität und Wahrheitsfiguration im Blick­punkt.59 Neben dem Vergleich mit der Historiographie, bei dem Diodorus Siculus und Dionysius Halicarnasseus heuristisch be­deutsamer werden, treten auch die Epik, die Romanliteratur und die Progymnasmata stärker hervor, allerdings nicht unter dem Ge­sichtspunkt literarischer Dependenz, sondern unter dem der sozialen Herkunftserinnerung und der Reimagination von Anfangs- und Sinnbehauptungen.

3.2 Die Aufhebung von perspektivischen Grenzen


Kennzeichnend für die Arbeit an antikem Textgut ist derzeit die Entschränkung von Wahrnehmungsgepflogenheiten. Buchtitel wie »The Limits of Historiography« oder »The Limits of Ancient Biography« stehen für den Trend. In diesem Rahmen findet die Apg – literarisch, historisch und sozial ein Grenzwerk – ihren natür­-li­chen Platz. Auf solche Weise entschränken sich freilich auch die Sehkonventionen der Apg-Exegese selbst. Die Apg wandert vor neue Verstehenshorizonte. Die theologische Kanongrenze verliert ebenso wie das als besonders »urchristlich« assoziierte 1. Jh. an Be­deutung. Noch nicht überwunden scheint mir die Grenze zur paganen Theologie. 60 Auch unter historisch arbeitenden Exegeten herrscht eine– weithin nicht einmal als Problem durchschaute – Verzeichnung oder virulente Abwertung paganer Religiosität, Kultfrömmigkeit, »Magie«61, die noch verstärkt wird durch die Konfrontation mit einem eher normativ als empirisch gefassten Begriff vom Judentum (genauer: den frühreichsrömischen Judentümern).

3.3 Die Scheidung von Historiographie und Theologie


Addiert man zwei Halbwahrheiten, wird daraus nicht die ganze Wahrheit, sondern bestenfalls ein Viertel davon. Die Vermischung von historisch zentrierter Lektüre mit aktuellen religiösen Sinnanliegen behindert das Textverständnis und trägt zum christlichen Selbstverständnis nur mithilfe unchristlicher Gewalt gegen »Lu­kas« bei. Fragen wie die nach Frühkatholizismus, Ämterlehre, Heilsgeschichte, Rechtfertigungsbotschaft oder (moderner) Judentumstheologie treten zurück und geben damit den Blick auf den Text frei, wie ihn die Fachgenossen der Althistorie und -philologie teilen. Die normativ-theologische Applikation ist damit dem Exe­-geten, sofern er Theologe ist, nicht erlassen, aber sie erfolgt nicht während der Textauslegung, sondern geht aus ihr hervor (oder setzt sich mit ihr auseinander). Auf anderer Ebene liegt die Theologie als Moment des lukanischen Textes selbst. Auch hier ist Pervos Hermeneia-Kommentar wohl ein Zeichen der Zeit, wenn es ihm ge­lingt, 28 Kapitel auf 800 Seiten auszulegen, ohne einen einzigen theologischen oder ethischen Grundgedanken zu profilieren. Indes bemüht sich die jüngere Forschung um die Überwindung der unter dem Schlagwort der bifurcation diskutierten Interpretation, die zwischen »Lukas als Historiker« und »Lukas als Theologen« scheidet und/oder den einen dem anderen perspektivisch nachordnet.

In dieser Fragerichtung tun sich zwei Dissertationen – die eine rhetorikkritisch, die andere erzählanalytisch – hervor: Clare K. Rothschild62 arbeitet die englischsprachige Diskussion um die rhetorische Gestaltgebung und Sinnstiftung von hellenistisch-römischer Historiographie auf, erarbeitet ein luzides Binnenbild von deren Geschichtsmodellen und verortet die Apg triftig in deren agonistischem Kontext. Indem sie den religiösen Deutungsanspruch der Apg deutlich der rhetorischen Konventionalität nachordnet, löst sie freilich das Problem der bifurcation dadurch, dass sie den theologischen Gabelzinken niederbiegt. Stichhaltiger ist der Ansatz von Scott Shauf,63 der an dem bunt-bewegten Kapitel 19 konzeptionell vorführt, wie Theologie nicht neben die Historiographie tritt, sondern sich als deren Intentionalität im Modus des Erzählens niederschlägt.64 Die lukanische Theologie schwebt nicht als Gedankenwelt über dem Text oder liegt ihm als Gemeindekerygma voraus, sondern markiert dessen Erzählsequenz: »The proof is in the pudding«.

Shauf setzt – das ist für interdisziplinäre Arbeit unverzichtbar – einen erweiterten, also nicht spezifisch christlichen Theologie-Be­griff voraus. Dies ermöglicht es, die Apg unter dem Gesichtspunkt eines identitätsstiftenden Erzählens, das religiöse wie historiographische Sinnrichtung zusammenführt, in den Kontext reichsrö­mischer Religiosität zurückzuversetzen, ohne ihre Eigenart aus dem Blick zu verlieren. Für das aussichtsreichste Denkmodell, das hier heuristisch weiterführen mag, halte ich das der intentionalen Historiographie des Freiburger Althistorikers Hans-Joachim Gehrke. 65

Insgesamt steht die Acta-Forschung noch in der Phase der Annäherung der Disziplinen, aber sie steht dort an einem Ort, der methodisch, fachpolitisch und atmosphärisch günstiger gelegen ist als je zuvor. So könnte die Laudatio, die die ZNW 1904 der Ausnahmegestalt von Hermann Usener gewidmet hat, in absehbarer Zukunft den exegetischen Alltag beschreiben: »Er hat sich mit dem eigentlichen Handwerkszeug des Philologen bei uns einge­fun­den…; aber er hat uns noch größeres gelehrt: religiöse Erscheinungen in der Geschichte auch wirklich religiös zu verstehen durch den λόγος, dem zu dienen Philologie und Theologie in gleicher Weise verpflichtet sind.«66

Summary


Recent research on Acts finds itself at a point where vigorous discussion between exegetes, historians, and classicists ceased with the rise of form criticism almost a century ago. Problems of historical reference as well as the religio-historical framework of the book are reconsidered under the premises of New Historicism and Post-structuralism. The exegetical, the historical, and the philological sides counterbalance their conventional shortcomings: »kerygma« is no unique feature of early Christian tradition but its significant form of constructive tendency. In contrast, recent research on ancient sources gives more weight to the intentionality and perspectival nature of texts and develops broader interest in narrative self-conceptualization and subversive counter-definitions of marginal strata within Greco-Roman societies. As a cross-cultural narrative, the Book of Acts may itself inspire cross-cultural research.

Fussnoten:

1) Zu Apg 28,16, in: SPAW (1895), 491–503 (mit A. Harnack); Die Rechtsverhältnisse des Apostels Paulus, in: ZNW 2 (1901), 81–96. Vgl. Briefwechsel nn. 55–68, in: St. Rebenich, Theodor Mommsen und Adolf Harnack. Wissenschaft und Politik im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Berlin 1997, 676–690.
2) Brief n. 58 (an Harnack, 8.5.1895), in: Rebenich, Mommsen (s. Anm. 1), 679 f.: 680.
3) Geschichte des Untergangs der antiken Welt, 6 Bde., Stuttgart (1909) 21921, III, 175; dazu E. Plümacher, Eduard Meyers »Ursprung und Anfänge des Chris­tentums«. Verhältnis zu Fachwissenschaft und Zeitgeist, in: W. M. Calder/A. De­mandt (Hrsg.), Eduard Meyer. Leben und Leistung eines Universalhistorikers, Mn.S 112, Leiden 1990, 344–367: 344 f.
4) 3 Bde. (Stuttgart 1921–1923), Nachdruck: Darmstadt (4/51924; 4/51925; 1–31923) 1962. Die Apg wird im dritten Band behandelt; vgl. bes. 3–36.
5) III/1, Leipzig 1883, 170–193.
6) Zum Verhältnis Meyers zu Harnack eingehend J. Jantsch, Die Entstehung des Christentums bei Adolf von Harnack und Eduard Meyer, Bonn 1990; zur Apg ebd., 124–127.203–205.
7) Vgl. U. von Wilamowitz-Moellendorff, Die griechische Literatur des Altertums (1905), Nachdruck: Stuttgart (31912) 1995, 262. Wundererzählungen gehören durchaus zur »mimetischen« Historiographie, wie sie auch auf das Interesse sozial inferiorer Schichten stieß; dies zeigt detailliert E. Plümacher, Τερατεία. Fiktion und Wunder in der hellenistisch-römischen Geschichtsschreibung und in der Apostelgeschichte (1998), in: Ders., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten. Hrsg. v. J. Schröter/R. Brucker, WUNT 170, Tübingen 2004, 33–83.
8) Meyer fordert »eine einheitliche Bearbeitung und Kommentierung des Gesamtwerks« (III, 5), wie sie mittlerweile durch R. C. Tannehill, The Narrative Unity of Luke-Acts. A Literary Interpretation, 2 Bde., Philadelphia, Pa./Minneapolis, Minn. (1986/1990) 1991/1994, vorgelegt und in der Alltagsexegese perspektivisch selbstverständlich geworden ist.
9) Mit eigenem Ansatz F. Avemarie, Acta Jesu Christi. Zum christologischen Sinn der Wundermotive in der Apostelgeschichte, in: J. Frey/C. K. Rothschild/J. Schröter (Hrsg.), Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, BZNW 162, Berlin 2009, 539–562. Der von Avemarie elaborierte Begriff der absentee christology geht auf C. F. D. Moule zurück.
10) Man liest das romantisierende Ursprünglichkeitspathos in Wilamowitzens Eloge auf Paulus (Literatur [s. Anm. 7], 232 f.) heute nicht unvergnügt. Gegenüber so viel originaler Lebenskraft wirkt die Apg freilich blass, doch beruht sie immerhin auf dem »schlichten Bericht eines bescheidenen Jüngers«; »die philologische Kunst, lesen zu können«, weiß ihn zu eruieren (262). Umso moderner wirkt Meyers Skepsis auch gegenüber den autobiographischen Teilen paulinischer Selbstdarstellung (III, 28); zur aktuellen Diskussion L. Bormann, Autobiographische Fiktionalität bei Paulus, in: E.-M. Becker/P. Pilhofer (Hrsg.), Biographie und Persönlichkeit des Paulus, WUNT 187, Tübingen 2005, 106–124; I. Broer, Autobiographie und Historiographie bei Paulus, in: Th. Schmeller (Hrsg.), Historiographie und Biographie im Neuen Testament und seiner Umwelt, NTOA/StUNT 69, Göttingen 2009, 155–178.
11) Dies ist die deutliche Tendenz des aktuell wichtigsten Sammelbands zum Verhältnis zwischen »Paulinismus« und Apg, der nahezu programmatisch die klassische Position von Philipp Vielhauer und Ernst Haenchen verlässt bzw. umkehrt: D. Marguerat (Hrsg.), Reception of Paulinism in Acts – Réception du Paulinisme dans les Actes des Apôtres, BEThL 229, Löwen 2009.
12) Es reagierten J. Behm, R. Bultmann, M. Dibelius, A. Jülicher, J. Kögel, J. Leipoldt, K. L. Schmidt und H. von Soden; eine Ausnahme stellt die positive Besprechung durch H. Lietzmann dar. Die leidenschaftliche Diskussion, die Züge eines Glaubensstreits zwischen Historikern in der Tradition des 19. Jh.s und den jüngeren Formgeschichtlern trägt, ist skizziert bei Plümacher, Ursprung (s. Anm. 3), 345 f.366 f. (Lit.!).
13) Vgl. E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen (101956) 161977, 114.
14) Dazu erhellend M. Hose, »Exzentrische« Formen der Historiographie im Hellenismus, in: Frey/Rothschild/Schröter (Hrsg.), Apostelgeschichte (s. Anm. 9), 182–213. Auf der Seite kultureller Minderheiten, zumal des Judentums, sind die »apologetischen Historiographen« zu ergänzen; dazu umfassend G. E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-Acts, and Apologetic His­-toriography, NT.S 64, Nachdruck: Atlanta, Ga. (1992) 2005.
15) Haenchen, Apg, 114: Das »Erbauungsbuch« ist »in die Sprache anschaulicher, dramatischer Szenen« übersetzt. Ebendies kennzeichnet den dramatischen Episodenstil der zeitgenössischen Historiographie; vgl. E. Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte, StUNT 9, Göttingen 1972, 80–111.
16) III, 4 f.7.
17) Zur aktuellen Diskussion A. F. Gregory/C. K. Rowe (Hrsg.), Rethinking the Unity and Reception of Luke and Acts, Columbia, S. C. 2010.
18) So etwa (abwägend) bei St. Mason, Josephus and the New Testament, Peabody, Mass. 22003, 251–293.
19) R. I. Pervo, Acts, Hermeneia, Minneapolis, Minn. 2009. Vgl. Ders., Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles, Philadelphia, Pa. 1987; Israel’s Heritage and Claims upon the Genre(s) of Luke and Acts. The Prob­lem of a History, in: D. P. Moessner (Hrsg.), Jesus and the Heritage of Israel, Harrisburg, Pa. 2000, 127–143; Dating Acts. Between the Evangelists and the Apologists, Santa Rosa, Calif. 2006; M. C. Parsons/R. I. Pervo, Rethinking the Unity of Luke and Acts, Minneapolis, Minn. (1993) 2007.
20) Zur Textgeschichte der Apg trug wesentlich Friedrich Blass bei. Eine natürliche Begegnungsstätte von neutestamentlicher und philologischer Forschung war die ZNW, in deren frühen Bänden sich Namen wie Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, mit breiter Perspektive: Eduard Schwartz, Hermann Usener, aus dessen Schülerkreis Albrecht Dieterich und Paul Wendland, sowie Friedrich Pfister finden.
21) Die urchristlichen Literaturformen, HNT 1/3, Tübingen 1912, Abschnitt XII (314–342): Apostelgeschichten.
22) Apg, 46. Ich gestehe, dass mir das Urteil allenfalls insofern nachvollziehbar wird, als Wendland die ebenso ermüdenden wie ergebnislosen Dekompo­-­si­tionsversuche hinter sich lässt, die die Acta-Forschung bis dahin geprägt hatten.
23) Early Christianity and Greek Paideia, Cambridge, Mass. 1961, 111 f.
24) So im Vorwort zur ersten Auflage: Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Darmstadt (1913) 41956, VII; vgl. die einschlägigen Darlegungen ebd., 1–140.
25) W. Jaeger, Rezension (GGA 1915), in: Ders., Scripta Minora I, SeL 80, Rom 1960, 115–161: 115. Zu den Einzelheiten der Diskussion vgl. näher E. Koskenniemi, Apollonios von Tyana in der neutestamentlichen Exegese, WUNT II/61, Tübingen 1994, 18–27.
26) So in der ausführlichen Anzeige: NJKA 16 (1913), 146–155: 155.
27) »In dem Streit, der sich hier erhoben hat, liegt ein charakteristischer Einzelfall vor. Aber ihm kommt typische Geltung zu«, nämlich hinsichtlich der unterschiedlichen Handhabung der Methoden literarischer Kritik durch Philologen und Theologen – so O. Weinreich, Agnostos Theos, in: DLZ 34 (1913), Nr. 47, 2949–2964: 2950.
28) Vgl. Norden, Theos (s. Anm. 24), 125–129.
29) Ist die Rede des Paulus in Athen ein ursprünglicher Bestandteil der Apostelgeschichte?, in: TU 39/1 (1913), 1–46.
30) Die Areopagrede des Paulus, in: NJKA 16 (1913), 393–422: 393.
31) Weinreich, Theos (s. Anm. 27), 2949 f.
32) Vorbemerkung zum Nachdruck 1923, XI; Norden verweist auf E. Meyer, Apollonius von Tyana und die Biographie des Philostratos, in: Hermes 52 (1917), 371–424, vgl. bes. 399–401. Der Aufsatz hat die von Norden und seinen Fachgenossen unbesehen vorausgesetzte Quellenschrift des »Damis« gründlich destruiert und damit die Textgrundlage vom 1. ins 3. Jh. versetzt. Auch W. Jaeger, der eine energisch beifällige Rezension zu Nordens Buch verfasst hatte (s. o. Anm. 25), stellte später lapidar fest: »I no longer believe in Norden’s brilliant thesis« (Christianity [s. Anm. 23], 112).
33) »Auch bei uns [scil. den Philologen] werden ja ab und an die Kleinen [wie Lk] auf Kosten der Großen [wie Paulus] herausgeputzt, der Verfasser des Bellum Africum auf Kosten Cäsars oder der Ciris-Dichter auf Kosten Vergils. Bestand hat das nicht; das wahrhaft Große zwingt« (Reitzenstein, Areopagrede [s. Anm. 30], 405, Anm. 1).
34) Die Apostelgeschichte, Leipzig 1908, 3; vgl. auch ebd., 211–217; dazu Jantsch, Entstehung (s. Anm. 6), 104–108.
35) Rezension »E. Schwartz, Charakterköpfe aus der antiken Literatur, Leipzig 1910«, in: DLZ 31 (1910), Nr. 5, 285–288: 285.
36) Rede (s. Anm. 29), 4 Anm. 1.
37) Selbstverständlich bedarf es hier diachron wie synchron genauerer Differenzierungen, aber die Bestreitung der Deutungsfunktion von Reden in der Apg durch W. W. Gasque, A History of the Interpretation of the Acts of the Apostles, Peabody, Mass. (1975) 1989, bes. 224–228, ist – gerade mit dem Verweis auf Thukydides, Polybius und Lukians Quomodo historia conscribenda sit –, um das Mindeste zu sagen, unpräzise.
38) Zum Ungenügen der Alternative »Historischer Paulus vs. Paulus der Apg« sowie zur Areopagrede als verdichtete Deutung des Geschichtsakteurs Paulus vgl. J. Schröter, Konstruktion von Geschichte und die Anfänge des Christentums: Reflexionen zur christlichen Geschichtsdeutung aus neutestamentlicher Perspektive, in: Ders./A. Eddelbüttel (Hrsg.), Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive, TBT 127, Berlin 2004, 201–219: 216 f.
39) Die Apostelgeschichte als Geschichtsquelle (1947), in: Ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte. Hrsg. v. H. Greeven, FRLANT 60, Göttingen 51968, 91–95: 95.
40) Im englischsprachigen Bereich war der Einfluss der Formgeschichte wie der historischen Skepsis vergleichsweise gering. Reifste Frucht der fachübergreifenden Arbeit an der Apg war hier das vielperspektivische Monumentalwerk F. J. Foakes Jackson/K. Lake (Hrsg.), The Beginnings of Christianity, 5 Bde., London 1920–1933.
41) Furios die Göttinger Althistorikerin H. Botermann, Der Heidenapostel und sein Historiker. Zur historischen Kritik der Apostelgeschichte, in: ThBeitr 24 (1993), 62–84; britisch-abgeklärt und in den Spuren von Sir William Ramsay: C. J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History. Hrsg. v. C. H. Gempf, WUNT 49, Tübingen 1989; zur Besorgnis über die missachtete Historizität der Apg vgl. bes. ebd., 1–29. Der Forschungsbericht von Gasque (s. Anm. 37) folgt dieser Linie durchgehend. Das Selbstverständnis des »Lukas« als Historiograph und der extratextuale Referenzstatus der Apg werden dabei notorisch gleichgesetzt. Eine Spätfrucht der Kronzeugenregelung stellt die in einer exegetischen Reihe publizierte althistorische Dissertation von A. Mittelstaedt, Lukas als Historiker. Zur Datierung des lukanischen Doppelwerkes, TANZ 43, Tübingen 2006, dar, die für die Frühdatierung des Doppelwerks plädiert, durch ihren irreführenden Titel »Lukas als Historiker« indes offenkundig ebenfalls »Glaubwürdigkeit« nahelegt.
42) »Meyer is recognized by all historians as one of the greatest masters of the whole range of ancient history which the world of scholarship has ever produced« (Gasque, History [s. Anm. 37], 158); vgl. Botermann, Heidenapostel (s. Anm. 41), 62 f.
43) Der Aufsatz selbst in B. Witherington (Hrsg.), History, Literature, and Society in the Book of Acts, Cambridge (1996) 2003, 3–23; dazu der Anhang des Hrsg., 23–32; Zitat: 23.
44) Es überrascht, dass in der aktuellen Debatte auch D. Dormeyer, Prag-matische und pathetische Geschichtsschreibung in der griechischen Histo­-rio­graphie, im Frühjudentum und im Neuen Testament, in: Schmeller (Hrsg.), Historiographie (s. Anm. 10), 1–33, das Doppelwerk der pragmatischen Ge­schichtsschreibung zurechnet, und zwar besonders aufgrund des Vorkommens des Lexems πράγματα in Lk 1,1. Da er aber die Synoptiker zugleich der mime­-tischen und tragisch-pathetischen Geschichtsschreibung zurechnet, wird man diesen Ordnungsversuch auf sich beruhen lassen.
45) K. Christ, Klios Wandlungen. Die deutsche Althistorie vom Neuhumanismus bis zur Gegenwart, München 2006; H. White, Tropics of Discourse. Es­says in Cultural Criticism, Baltimore, Md. 1978 (Titel der dt. Übersetzung: Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen). Zur Diskussion Schröter/Eddelbüttel (Hrsg.), Konstruktion (s. Anm. 38); K. Backhaus/G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BThSt 86, Neukirchen-Vluyn (2007) 22009.
46) Botermann empfiehlt den Apg-Exegeten, den Rat aus ihrem althistorischen Proseminar 1958 zu beherzigen: »Die Quelle hat zunächst grundsätzlich Anspruch auf Glaubwürdigkeit« (Heidenapostel [s. Anm. 41], 65 f.). Vermutlich klingt der Rat in heutigen Proseminaren etwas nuancierter. Zur Einordnung der Apg in die gewandelte Quellenwahrnehmung vgl. näher K. Backhaus, Asphaleia. Lukanische Geschichtsschreibung im Rahmen des antiken Wahrheitsdiskurses, in: S. Vollenweider/E. Ebel (Hrsg.), Wahrheit und Geschichte. Exegetische und hermeneutische Studien einer dialektischen Konstellation , AThANT, Zürich (im Druck).
47) H.-G. Nesselrath (Hrsg.), Einleitung in die griechische Philologie, Stuttgart 1997, 289 (H.-G. Nesselrath). Im Vorgänger »Gercke-Norden«, dessen beide Herausgeber sich aktiv an der Acta-Forschung beteiligt hatten, war der Apg durchaus etwas Raum gewidmet (I, 387 f.), so auch im HKAW VII/2/2, München 51913, § 881, 967–971 (O. Stählin). Immerhin bietet der »Neue Pauly I« (1996) ein Lemma »Apostelgeschichte«, das »Metzler Lexikon antiker Autoren« (1997) ein Lemma »Lukas«. Außergewöhnlich sachstark ist PRE.S 14 (1974), 235–264: Lukas als griechischer Historiker (E. Plümacher). Nimmt man die Besprechungszeitschrift »Gnomon« als Maßstab, so wird die Acta-Forschung in der Altphilologie zurückhaltend wahrgenommen: Von den fünf Beiträgen der 90er-Jahre stammen zwei von H. Botermann (über C.-J. Thornton und R. Riesner), eine handelt über H. Botermann (von É. Will); eine weitere ist rezeptionsgeschichtlich orientiert, eine widmet sich R. I. Pervo, Profit with Delight (U. Busse). Nach 1999 ist hier keine Publikation über die Apg mehr besprochen worden.
48) Dies gilt naturgemäß besonders für die Analyse der rhetorischen Partien der Apg: New Testament Interpretation through Rhetorical Criticism, Chapel Hill, NC 1984, 114–140; zum dadurch gegebenen Forschungsanstoß M. C. Parsons, Luke and the Progymnasmata: A Preliminary Investigation into the Pre­-liminary Exercises, in: T. Penner/C. Vander Stichele (Hrsg.), Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, Atlanta, Ga. 2003, 43–63: 43 f.
49) Epochs and Styles. Selected Writings on the New Testament, Greek Lan­-guage and Greek Culture in the Post-Classical Era. Hrsg. v. L. Rydbeck/St. E. Porter, WUNT 179, Tübingen 2005; vgl. auch L. C. A. Alexander, Septuaginta, Fachprosa, Imitatio: Albert Wifstrand and the Language of Luke-Acts (2004), in: Dies., Acts in Its Ancient Literary Context, Library of New Testament Studies 298, London (2006) 2007, 231–252.
50) Ein ermutigendes Beispiel für die Öffnung auf altphilologischer Seite ist der von B. McGing und J. Mossman hrsg. Sammelband »The Limits of Ancient Biography« (Swansea 2006), von dessen 20 Beiträgen immerhin acht der frühjüdisch-urchristlichen Literatur gewidmet sind, einer anregend der Apg (J. Taylor, The Acts of the Apostles as Biography, 77–88); die anderen Aufsätze besitzen für die Acta-Forschung großenteils erhebliche heuristische Relevanz, besonders in gattungsgeschichtlicher Hinsicht.
51) Die Projekte Neuer Wettstein (Halle) und Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (Jena), die während der skizzierten Flaute und nicht zuletzt aus den genannten Gründen »eingeschlafen« waren, treten frisch gestärkt an die Fachöffentlichkeit; vgl. auch das auf die Zusammenarbeit mit der Althistorie angelegte Projekt Neues Testament und antike Kultur (Wuppertal), das die Interdisziplinarität in den universitären Lehrbetrieb trägt. Im Münchner Zentrum für antike Welten (MZAW) der LMU München sind seit 2009 auf der Ebene von Forschung und Lehre sowie mit fächerübergreifendem Promotionsprogramm sämtliche am Altertum arbeitende Forschungsrichtungen, von theologischer Seite die Exegesen und die Patrologie, zusammengeführt.
52) In der SNTS Seminar Group Acts and Ancient Historiography, die G. E. Sterling, J. Schröter und der Berichterstatter leiten, wurden von Anfang an Altphilologen und Althistoriker als Gastreferenten eingeladen (M. Hose, A. Mehl, H. Cancik, St. Mason, K. Sacks); sie haben die exegetische Textwahrnehmung ungemein vertieft und Fragerichtungen verändert. Als unermüdliche Pionierin der interdisziplinären Acta-Forschung ist Loveday Alexander (Sheffield) zu nennen, vgl. besonders die Aufsatzsammlung Acts (s. Anm. 49).
53) Dies gilt weithin auch für das von B. W. Winter mit I. H. Marshall und D. W. J. Gill hrsg. fünfbändige interdisziplinäre Paradeprojekt »The Book of Acts in Its First Century Setting«, Grand Rapids, Mich./Carlisle 1993–1996, das zwar wichtiges Vergleichsgut kumuliert, aber insgesamt (mit Ausnahmen) sachlich wie methodisch inkonsistent wirkt und vor allem dem Textcorpus der Apg über weite Strecken fern bleibt; zu einer umfassenden Würdigung vgl. J. Schröter im Rahmen seines Apg-Forschungsberichts (ThR 72/73 [2007/2008]; ThR 72 [2007], 293–315).
54) »I consider these collected essays in some sense to signal the birthing of a new Religionsgeschichtliche Schule in terms of fundamental method and broad conceptualization« – so T. Penner in der Einführung zu dem aus der SBL-Ta­gungsarbeit hervorgegangenen, gezielt innovativen Sammelband Acts (s. Anm. 48), 1–21, Zitate: 18. Der methodologische Unterabschnitt (9–13) gerät über das Stadium halbhermeneutischer Umschau nicht hinaus.
55) So im genannten Sammelband (189–203: Paul’s Farewell to the Ephesian Elders and Hector’s Farewell to Andromache: A Strategic Imitation of Homer’s Iliad) und weit darüber hinaus unverdrossen D. R. MacDonald; vgl. die grundsätzliche Methodenkritik bei M. M. Mitchell, Homer in the New Testament?, in: The Journal of Religion 83 (2003), 244–260.
56) So M. P. Bonz, The Past as Legacy. Luke-Acts and Ancient Epic, Minnea-polis, Minn. 2000. Wie eine auch altphilologisch verantwortete Prüfung der Beziehungen zwischen Aeneis und Lk/Apg vorgehen sollte, zeigt mustergültig St. Krauter, Vergils Evangelium und das lukanische Epos? Überlegungen zu Gattung und Theologie des lukanischen Doppelwerkes, in: Frey/Rothschild/Schröter, Apostelgeschichte (s. Anm. 9), 214–243.
57) A. J. Wordelman, Cultural Divides and Dual Realities: A Greco-Roman Context for Acts 14, in: Penner/Vander Stichele (Hrsg.), Acts (s. Anm. 48), 205–232: 223–231.
58) M.-Chr. Holzbach, Plutarch: Galba-Otho und die Apostelgeschichte – ein Gattungsvergleich, Berlin 2006, 292.294. Die curiositatis causa gewählten Beispiele kennzeichnen die zerstreut-kriterienlose Vergleichsarbeit der gesamten Dissertation.
59) Pars pro toto seien drei jüngere Sammelbände genannt, in denen sich die Annäherung bereits vielversprechend niedergeschlagen hat: C. Breytenbach/J. Schröter (Hrsg.), Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. FS E. Plümacher, AJEC 57, Leiden 2004; E.-M. Becker (Hrsg.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, BZNW 129, Berlin 2005; Frey/Rothschild/Schröter (Hrsg.), Apostelgeschichte (s. Anm. 9).
60) Eine vielsagende Beobachtung: In dem in Anm. 52 genannten Projekt war durchgehend als sechster Band »The Book of Acts in Its Theological Setting« angekündigt worden. Am Ende wurde der Band außerhalb der Reihe publiziert, und zwar mit dem Titel »Witness to the Gospel. The Theology of Acts« (hrsg. v. I. H. Marshall/D. Peterson, Grand Rapids, Mich. 1998) – ein »setting« in der theologischen Welt der Antike kam nicht in Betracht!
61) Einen anfänglichen Versuch, die Grenze komparativisch zu überschreiten, unternimmt insgesamt ermutigend A. M. Reimer, Miracle and Magic. A Study in the Acts of the Apostles and the Life of Apollonius of Tyana, JSNT.S 235, Sheffield 2002.
62) Luke-Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Chris­tian Historiography, WUNT II/175, Tübingen 2004.
63) Theology as History, History as Theology. Paul in Ephesus in Acts 19, BZNW 133, Berlin 2005, bes. 4–84.
64) Gegen die üblichen Verkürzungen (redaktionskritische Teillektüre, Beschränkung auf Reden, Schlüsseltexte oder Leitthemen) richtet sich die kurze, aber klare hermeneutische Intervention von B. R. Gaventa, Toward a Theology of Acts. Reading and Rereading, in: Interp. 42 (1988), 146–157, die ebenfalls den narrativen Grundzug lukanischer Theologie hervorhebt.
65) Zur Anwendung dieses Theorems auf die Apg vgl. näher K. Backhaus, Lukas der Maler: Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche, in: Ders./G. Häfner, Historiographie (s. Anm. 45), 30–66.
66) E. Preuschen, in: ZNW 5 (1904), 265.