Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

881–882

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Stuart, John

Titel/Untertitel:

British Missionaries and the End of Empire. East, Central, and Southern Africa, 1939–64.

Verlag:

Grand Rapids/Cambridge: Eerdmans 2011. XVI, 237 S. m. 1 Kt. 23,4 x 15,8 cm = Studies in the History of Christian Missions. Kart. US$ 40,00. ISBN 978-0-8028-6633-2.

Rezensent:

Ulrich van der Heyden

Was taten die europäischen Missionare, als während und vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg durch die beginnende Befreiung vom Kolonialismus ein Prozess in Afrika einsetzte, der gemeinhin als Dekolonisation bezeichnet worden ist? Diese Frage – die sich für die deutschen Missionare, zwar aus anderen Gründen, nach dem Ersten Weltkrieg stellte – musste Jahrzehnte nach den deutschen von den britischen Missionaren beantwortet werden. Die schützende, kooperierende, zuweilen auch Widerspruch hervorrufende koloniale »nationale Schutzmacht« drohte in Übersee wegzubrechen oder war bereits weggefallen. Standen die neu entstehenden Staaten in Afrika dem Missionierungsgedanken der christlichen Kirchen in Europa aufgeschlossen gegenüber? Übertrug sich die Ablehnung der Vertreter des kolonialen Mutterlandes auch auf die Missionare, die, wie in der vorliegenden Arbeit analysiert wird, von den britischen Inseln kamen? Handelte es sich um Kolonialmissionen, die nunmehr in den neuen Nationalstaaten weiterhin den christlichen Glauben verbreiten wollten? Eine Antwort auf die drängenden Fragen zur Weiterarbeit zu finden, war gerade zu der hier im Mittelpunkt stehenden Zeit für die verschiedenen britischen Missionsgesellschaften sehr schwierig.
Die Enttäuschung und Wut der Afrikaner über ihre Kolonialherren wegen der fast gleichbleibenden politischen und ökonomischen Verhältnisse nach dem Sieg über den Faschismus richteten sich auch auf die Missionare. Aber immerhin hatten ein Großteil der Anführer der nationalen Befreiungsbewegungen und der neuen Führungskräfte Afrikas ihre Erziehung und Schulbildung in Missionsschulen erhalten. Somit hatten die Missionare – wohl eher indirekt – ihren Anteil an den einsetzenden Nationalisierungsprozessen.
Eigentlich ist es unverständlich, warum sich bislang Missionshis­toriker nur punktuell mit dieser Thematik beschäftigt haben. Das trifft sowohl auf die deutschen als auch auf die britischen Missionare zu. – Für Letztere ist dieses Desiderat nun nicht mehr vorhanden. Eine erste, weitgehend umfassende, wissenschaftlichen Kriterien gerecht werdende Studie ist kürzlich von John Stuart vorgelegt worden. Dazu hat er eine Vielzahl von Archiven kontaktiert und die dortigen relevanten Materialien ausgewertet sowie eine große Menge offizieller und halbamtlicher sowie kirchlicher Dokumente gesichtet und sich somit einen brillanten Überblick über die vorhandenen Quellen verschafft, die er in der vorliegenden Studie, eingebettet in den aktuellen Forschungsstand, recht eindrucksvoll präsentiert.
In sechs Kapitel hat S. sein Buch eingeteilt. Das erste beschäftigt sich mit der Situation der britischen Missionsgesellschaften im Zweiten Weltkrieg, vor allem mit der Einbeziehung der Missionare und ihrer afrikanischen Gemeinden in das Kriegsgeschehen, auch wenn diese davon nur an der Peripherie berührt waren. Es handelte sich indes um einen Weltkrieg, der globalen Charakter aufwies. Damit thematisiert S. nicht nur ein bislang vernachlässigtes Thema in der Missionsgeschichtsschreibung, sondern liefert wichtige Detailinformationen über die Einbeziehung der Afrikaner in die Kriegshandlungen dieses weltweit geführten Konflikte s– eine Thematik, die in den letzten Jahren verstärkt von Afrika-, Global- und Militärhistorikern bearbeitet wird. Besonderes Schwergewicht wird auf die Teilnahme afrikanischer Soldaten an dem Krieg, der nach bisherigen Vorstellungen fast ausschließlich im Norden, in Europa, stattfand, gelegt. Aber es wird auch die Verschlechterung der sozialen und ökonomischen Lage der Afrikaner durch die Kriegshandlungen und deren Folgen thematisiert. Damit wird bestätigt, dass es sich nicht um einen fast ausschließlich in Europa geführten Krieg handelte.
Das zweite Kapitel stellt die Geschichte der Haltung der christlichen Mission zur entstehenden Apartheid in Südafrika in den Mittelpunkt. Insbesondere die englischen Missionsgesellschaften, wie die London Missionary Society, standen zwischen den burischen Reformierten Kirchen und den verschiedenen Afrikanischen Unabhängigen Kirchen und hielten sich trotz einiger Kontakte mit den Führern des entstehenden afrikanischen Widerstandes aus den politischen Angelegenheiten des Landes – traditionell – heraus.
Die folgenden Kapitel beschäftigen sich an Fallbeispielen, wie der Entstehung der Central Africain Federation oder der Haltung zum Mau-Mau-Aufstand, mit dem entstehenden afrikanischen Nationalismus. Zuweilen erschwert das »Springen« über fast den gesamten afrikanischen Kontinent die Lektüre.
An vielen Beispielen in Afrika südlich der Sahara legt S. dar, wie sich die britischen Missionare, die nicht immer mit den Ansichten und Anweisungen ihrer Leitungen in Europa konform gingen, einen Freiraum zwischen afrikanischem Nationalismus, kolonialem Staat und britischer Kolonialpolitik suchten und zu sichern verstanden. Dabei erlebten sie den Prozess der Dekolonisation als Emanzipation der afrikanischen Bevölkerung von kolonialer Fremdherrschaft, auch wenn einige der gehegten Hoffnungen (aber auch Befürchtungen) sich nicht bewahrheiteten.
Insgesamt gesehen haben die christlichen Gemeinden die politischen Ereignisse in dem Untersuchungszeitraum mehr oder minder unbeschadet überstanden und gezeigt, dass sich das afri­-kanische Christentum emanzipiert hat und es eigentlich keiner Anleitung aus Europa bedarf. Diese Prozesse längerfristig über die Zeit der Erringung der staatlichen Unabhängigkeit in Afrika südlich der Sahara hinaus zu verfolgen, wäre Aufgabe eines Buches, welches die Zeit der 1960er Jahre und danach zum Inhalt hat.