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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

875–876

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Abé, Takao

Titel/Untertitel:

The Jesuit Mission to New France. A New Interpretation in the Light of the Earlier Jesuit Experience in Japan.

Verlag:

Leiden/Boston: Brill 2011. VII, 234 S. m. Abb. u. Ktn. 23,9 x 16,0 cm = Studies in the History of Christian Traditions, 151. Geb. EUR 99,00. ISBN 978-90-04-19285-0.

Rezensent:

Heinrich Balz

Die christliche Mission hat vielfältige Kritik erfahren: wegen ihrer unauflösbaren Verflechtung mit dem Kolonialismus, als Zerstörerin indigener Kulturen und wegen ihres als obsolet empfundenen Absolutheitsanspruchs für das Christentum. Missionskritisch ist auch die vorliegende Untersuchung des japanischen Historikers Takao Abé. Aber sie lässt sich keinem der bisherigen Typen von Kritik eindeutig zuordnen. Sie setzt den Kulturkontakt, von welchem die europäische Mission in anderen Kontinenten ein Teil ist, als gegeben voraus und misst die Mission der Jesuiten im 16. bis 18. Jh. nicht an den Schäden, die sie angerichtet hat, sondern am überwiegenden Scheitern ihrer Ziele infolge ihres Nichtverstehens derer, an die sie sich richtete.
Die Einleitung begründet die Notwendigkeit kulturenübergreifenden Verstehens der Mission der Jesuiten: Die Arbeit in Neufrankreich in Kanada 1650–1750 kann nicht eingeordnet werden ohne den Blick auf die frühere, 1614 gewaltsam beendete Mission in Japan. Japan hat gegenüber den Indianern Neufrankreichs für den Historiker den Vorteil, dass seine alte Kultur noch lebt und auch schriftlich dokumentiert ist; dies erlaubt eine genauere Bestimmung der Missverständnisse, des bias der jesuitischen Missionare. Kapitel 1 gibt eine breit gefächerte Forschungsgeschichte. Spät erst kam zur apologetisch kirchlichen die säkular kritische Interpretation hinzu, letztere besonders durch die japanischen Historiker, denen der Vf. selbst zuzurechnen ist. Ähnlich lief es in Kanada. Kapitel 2 behandelt grundsätzlich das Vor- und Missverständnis der Jesuiten beim Deuten nichtchristlicher Kulturen. Sie waren unfähig, aus ihrem christlich-europäischen Rahmen herauszufinden, sie konstruierten die japanische und später indianische Religion willkürlich, trugen falsche Begriffe von Himmel und von Gott in sie hinein und nannten alles, was sich ihrer Einordnung widersetzte, dämonisch. Zusätzlich verzerrt wurden ihre Ausführungen durch die Rücksicht auf die heimische katholische iberische und französische Leserschaft ihrer Berichte. Kapitel 3 geht den einzelnen missionarischen Strategien der Jesuiten in Predigt, Taufen und Erziehung nach und gesteht ihnen dabei einigen Erfolg und wachsende Einsicht zu, in Japan mehr noch als in Neufrankreich. Kapitel 4 behandelt als Organisation der entstehenden christlichen Gemeinschaften wesentlich die Form und Prinzipien der geschlossenen Christensiedlung, der réductions: Es war nicht nur Paraguay das Vorbild, sondern in einigem stärker noch waren es die Chris­tendörfer, welche die Jesuiten in Japan mithilfe lokaler Machthaber eingeführt hatten. Kapitel 5 bringt die kritische Interpretation der jesuitischen Mission zum Höhepunkt und Abschluss. Die Wirklichkeit der »nichteuropäischen Praxis« des in beiden Regionen angenommenen Christentums bleibt weit, ja durch einen Ab­grund geschieden zurück hinter dem, was die Missionare sich irrtümlich als Erfolg verbuchten. Weihwasser, Rosenkranz, Kruzifix und Schule wurden sämtlich in Japan in shintoistischen und buddhistischen, in Neufrankreich im schamanistischen Sinn umge­-deutet und ließen, trotz mancher Einzelbekehrungen, die älteren, tiefer verwurzelten kollektiven Überzeugungen unverändert. In Neufrankreich kam verschärfend hinzu, dass die vielen Taufen in articulo mortis als willentliches Töten der Menschen durch die Zaubermacht der Missionare verstanden wurden.
Das Gesamtbild, das der Vf. von der Jesuitenmission in Neufrankreich gibt, ist düster, ohne doch den Missionaren viel bewuss­tes Verschulden aufzuladen: Sie konnten nicht anders, das Missverstehen war unvermeidbar. Dass insofern der kühle Blick des säkularen Historikers und der Einbezug der japanischen Vorgeschichte beim Erkunden der Neufrankreich-Mission rückblickend einen guten Teil des Missverständnisses ausräumt, ist einleuchtend und verdienstvoll. Freilich ist bei allem Scharfsinn im Einzelnen der Blick des Vf.s auch beschränkt: Auf beiden Schauplätzen bricht sein In­teresse unvermittelt dort ab, wo die langsamen Tiefenwirkungen des Kultur- und Religionskontakts in den Blick kommen müssten, in Japan schon bei der staatlichen Christenverfolgung ab 1614, die in der japanischen Historik sonst intensiv behandelt wird. Die weitere Problematik der freien oder gesteuerten Akkulturation, wie sie der Kontrast zwischen dem kolonialen Kanada und dem unabhängigen Japan nahelegt, wird vom Vf. berührt, aber nicht ausgeführt. Hingegen ist er fest überzeugt von der Stabilität und Kontinuität aller alten »nichtchristlichen« Kulturen: Sie determinieren, was verstanden werden konnte und was nicht; nur die moderne kritische Wissenschaft ist kulturenübergreifend universal. Das Vorurteil der Jesuiten ist »europäisch christlich«, das Christliche überhaupt ist beim Vf. ein Teilelement einer begrenzten anderen Kultur und von dieser nicht ablösbar – ein Gedanke, den in Europa einige, freilich in anderer Absicht, auch vertreten. Dass seine nichteuropäische japanische Herkunft ihn auch zu einer »richtigen«, nämlich vorurteilsfreien Deutung indianischer Kulturen qualifiziert, setzt der Vf. voraus, und teilweise mag das auch zutreffen. Am Ende bleibt die Frage, ob und was der nicht eigentlich missionsfeindliche, sondern eher skeptisch-teleskopische Blick des Vf.s auf die längst vergangene Arbeit der Jesuiten zu einer neuen Interpretation christlicher Missionsgeschichte im Ganzen beiträgt. Die Herausgeber der Studies in the History of Christian Traditions, welche sich sonst mehr mit der innerchristlichen Darstellung und Kritik dieser Traditionen befassen, sind willens, sich durch die Aufnahme dieser Untersuchung der Herausforderung des Vf.s zu stellen.