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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

873–874

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Scherle, Peter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Haus halten. Gottes »oikonomia« und die kirchliche Haushalterschaft.

Verlag:

Münster/Berlin: LIT 2011. 4, II, 261 S. m. Abb. 21,0 x 14,7 cm = Herborner Beiträge, 5. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-643-10822-7.

Rezensent:

Frank Weyen

Mit dem Haushalten unter dem Gesichtspunkt der »oikonomia« Gottes befasst sich ein von Peter Scherle herausgegebenes Buch, das als fünfter Band der Herborner Beiträge 2011 erschienen ist. Als einer der Hauptautoren verbindet der Direktor des Theologischen Seminars Herborn mithilfe der kirchlichen Haushalterschaft die Gesellschafts- mit der Gemeindekirche. Im ersten Teil werden Fragen des kirchlichen (Finanz-)Haushaltes behandelt, während der zweite Teil nach dem inneren (seelsorglichen) Haus fragt sowie mit den baulichen Varianten des »oikos«-Begriffes in Häusern der Bildung und im Pfarrhaus spielt. Dabei fällt der wissenschaftlich angelegte erste Teil ins Auge, in dem sich Peter Scherle und andere mit verschiedenen Aspekten der kirchlichen Haushaltsführung auf der Ebene der institutionellen Organisationsseite der Kirche befassen. Für die Ebene der Gemeindekirche als instrumenteller Organisationsseite werden im zweiten Teil Fragen der Seelsorge, der Gaststatus von Pfarrpersonen in der Schule sowie die Bedeutung von kirchlichen Räumen für das religiöse Erleben besprochen. Den Band beschließend befassen sich Annette Mehlhorn und Peter Scherle mit dem »oikos« des evangelischen Pfarrhauses, sei es im Durchgang durch seine Geschichte, in seiner Bedeutung für die Gesamtgesellschaft oder für eine Kirche am Ort.
Sieht man von dem häufigen Rekurs der Autoren auf die Situation innerhalb der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) ab, ist allen die Warnung vor dem allzu häufigen Gebrauch von ökonomischen Begriffen im kirchlichen Leben gemeinsam. Vielmehr könne es der Rückbezug auf die sich biblisch und dogmatisch begründende Ekklesiologie der protestantischen Kirchen richten, schickt der Kirchenpräsident der EKHN, Volker Jung, diese Grundschwingung des Bandes in seinem Geleitwort voraus. Alle Autoren sind als Dozenten am Theologischen Seminar Herborn tätig.
Auf der Basis von 1Petr 4,10 verweist Hans Erich Thomé, der in Herborn Professor für Homiletik und Liturgik ist, mithilfe des biblischen Befundes auf die guten Haushalter Gottes und damit auf eine sinnvolle »oikonomia« unter eschatologischem Aspekt. Die »kalos oikonomia« steht bei Thomé dabei als »angemessene Haushalterschaft« (19) im Vordergrund. Diese stelle sich in der Gemeinde dar als angemessener Umgang mit den Charismen Gottes, die Gott reichhaltig als Gnadengaben anbiete (20.29–30). Daraus zieht er den Schluss, dass sich der Umgang mit dem Geld in der Kirche analog dem Umgang mit den Gnadengaben Gottes gestalten solle (30).
Als im Fundraising sachverständig erweist sich in der Diskussion um das Geben die Fundraising-Managerin und Pfarrerin Annette Mehlhorn. Dabei schließt sie an das antiutilitaristische Werk von Marcel Mauss (Die Gabe) aus den 1920er Jahren an. Mit Oswald Bayer kommt sie zu dem Ergebnis, dass Gottes Gnadengaben an den Menschen zu einer (vergeltenden) Antwort veranlassen. Gegen die utilitaristischen Sichtweisen von Jacques Derrida und Alain Caillé fragt sie nach der rein altruistischen Gabe, die Mauss herausgearbeitet hat. Die christliche Gemeinde jedoch stellt sich für Annette Mehlhorn als eine »Kultur der Vervielfachung des Gebens und Empfangens« (59) dar. Damit ist diese ein »grenzüberschreitendes System gegenseitiger Sorge und des Gebens« (59).
Der Organisationssoziologe André Witte-Karp liefert einen Einblick in die Sprache der Ökonomie, die in der Kirche Einzug gehalten habe. Er stellt fest, dass es vorwiegend Nebencodierungen seien, die derzeit im Sprechen der Kirche und in ihrer Finanzpraxis Raum gewinnen. Bei seinem vorgeschalteten Durchgang durch die Ge­schichte der (industriellen) Ökonomie weist er nach, dass das (ökonomische) Denken seit den 1980er Jahren im Non-Profit-Bereich in Universitäten, Behörden, Krankenhäusern etc. Einzug gehalten habe. Und nun auch in der Kirche! Vor dem Hintergrund der funktionalen Ausdifferenzierung sozialer Systeme (Luhmann) jedoch sieht er die Ökonomie sich selbst entlarven. Denn diese sei nicht in der Lage, eine der Kirche angemessene Sichtweise des Menschen zu benennen. Die Kirche sieht er dagegen als Gemeinschaft ( koinonia), als Organisation und als Versammlung (Communio Sanctorum). Nicht jedoch als kundenzentriertes Unternehmen Kirche, das ein Produkt an den Mann oder die Frau zu bringen habe, was dann mit dem Begriff der Kommunikation des Evangeliums euphemisiert werden könnte.
Peter Scherles intensiver Durchgang durch die Geschichte der kirchlichen Haushalterschaft komplettiert die bei Witte-Karp noch offen gebliebenen Fragen nach der Relevanz, welche Nebencodierungen für die Kirche haben können. Seine zentrale These dabei ist die sich aus der neutestamentlichen Forschung und aus der mittelalterlichen Tradition herleitende Erkenntnis, dass die kirchliche Haushalterschaft vorwiegend der Fürsorge für Arme, Witwen und Waisen sowie der Evangelisierung zu dienen habe (133).
Den Überschritt von der Gesellschafts- zur Gemeindekirche in diesem Band markiert der Herborner Religionspädagoge Thorsten Moss mit seinen Gedanken über die Gastrolle, die eine Pfarrperson innerhalb des staatlichen Schulsys­tems einnimmt. Dieser Dienst eröffne Chancen für die öffentliche Kommunikation des Evangeliums und verbinde auf der Beziehungsebene somit vor allem im Primarbereich die Personen aus der Kirchengemeinde mit den Menschen, die in staatlichen Bildungseinrichtungen anzutreffen sind (195.201).
Annette Mehlhorn und Peter Scherle werfen abschließend einen gemeinsamen Blick auf die Bedeutung des Pfarrhauses für die Gemeindearbeit. Unter Berücksichtigung der historischen Voraussetzungen seit der Reformationszeit und einer sich wandelnden postmodernen Gesellschaft zeichnen beide Autoren verschiedene Problemanzeigen der aus dem 19. Jh. herrührenden Tradition des evangelischen Pfarrhauses nach. Vor allem die gewandelten Rollenbilder, die auch auf die Pfarrfamilien Einfluss genommen haben, lassen das romantisierende Bild von der Präsenz von Pfarrpersonen in kircheneigenen Häusern in einem antiquierten Licht erscheinen (227.251 f.). Die an dieser Stelle nötige Trauerarbeit (D. Stollberg) wird allerdings auch von den Autoren nicht geleis­tet. Vielmehr vertritt Scherle in seinen 27 »Thesen für ein notwendiges Ge­spräch« die Ansicht, dass das evangelische Pfarrhaus für die Präsenz der Kirche unverzichtbar sei (255), da es als residierende Voraussetzung für die pfarramtliche Präsenz gelte (256).
Die auf dem Einband angestrebte Ermutigung zur »geistlichen Gelassenheit«, wenn es um das kirchliche Haushalten gehe, ergibt sich aufgrund der Relevanzfrage der in diesem Band vorgelegten Beiträge. Eine daraus entspringende Orientierung für die Praxis dürfte entstehen, wenn es, je nach Interessenlage, aus der Perspektive einer wissenschaftlichen oder aus der Position einer an der kirchlichen Gemeindepraxis orientierten Auseinandersetzung ge­lesen wird.