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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

110 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Pfürtner, Stephan H. u. a. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Abschottung statt Dialog? Das Lehramt der Kirche und die Moral.

Verlag:

Luzern: Ed. Exodus 1994. 223 S. 8°. Kart. DM 28,50. ISBN 3-905575-87-6.

Rezensent:

Hubert Kirchner

Kein anderer Bereich katholischer Theologie ist gegenwärtig derart im Gespräch ­ in der innertheologischen Erörterung sowohl wie im öffentlichen Disput ­ wie die Moraltheologie. Eine Reihe lehramtlicher Verlautbarungen, voran der Katechismus der katholischen Kirche (1993) und die Enzyklika "Veritatis splendor" (1993) haben, bemerkenswert genug, nicht die Situation bereinigt und Sachverhalte klargestellt, sondern recht eigentlich dafür gesorgt, daß Dissense offengelegt wurden und der theologische Erklärungsprozeß auf einer neuen Ebene verstärkt fortgesetzt wird.

Die vorliegende Broschüre hat hier ihren Ort. Sie enthält insgesamt fünf Beiträge von fünf Autoren, die sich in verschiedenen Zusammenhängen gezielt mit jenen lehramtlichen Schreiben sowie der Instruktion der vatikanischen Glaubenskongretation "Über die kirchliche Berufung des Theologen" (1990) auseinandersetzen, mit ihrer Rolle in der theologischen Debatte sowohl wie mit ihrer Bedeutung für die weitere Entwicklung der katholischen Theologie überhaupt. "Sie ordnen diese Dokumente ...in das Gesamt einer ’nachvatikanischen Epoche’ ein, in der Absicht Leserinnen und Lesern hilfreiche Orientierung und einen weiterführen Standpunkt zu vermitteln." (Vorwort, 7 f.)

Sogleich der erste Beitrag von R. A. McCormick und R. P. McBrien (USA) "Theologie in öffentlicher Verantwortung. Das Dissensproblem in der Glaubensverkündigung" (9-24), sowohl in Englisch wie auch in Deutsch bereits in Zeitschriften erschienen, macht diesen grundsätzlichen Zusammenhang deutlich. Er setzt sich vor allem mit jener Instruktion der Glaubenskongretation auseinander. Deren Versuch, die Rolle der Theologie darauf zu beschränken, das zu erläutern, was das Lehramt als Wahrheit verkündet, begegnen sie mit dem Vorwurf, damit würde die Privatisierung der Theologie betrieben. Sie setzen sich demgegenüber entschieden für die Öffentlichkeit der Theologie ein und fordern den öffentlichen Diskurs, der Meinungsverschiedenheiten gerade nicht aus-, sondern einschließt.

In zwei umfangreichen Arbeiten behandelt St. H. Pfürtner "Die Papst-Enzyklika ’Der Glanz der Wahrheit’" (25-74) und "Glaubenseinheit durch die Sprache ’heiliger Herrschaft’? Zum ’Weltkatechismus’ und zur päpstlichen Moralenzyklika ’Veritatis splendor’" (75-128). Der erste Beitrag mit dem Untertitel "Ein autobiographischer Zugang" stellt die Moralenzyklika ebenfalls in den großen Zusammenhang der nachkonziliaren theologischen Entwicklung, an der der Autor selber einen großen Anteil hatte und in nicht geringem Maße zu einem ihrer Opfer wurde. Sein Urteil ist hart: "Totalisierung in der Moralsprache", "Radikalisierung der Moral", "Sprachklitterung", "Mentalität der Gesetzlichkeit": "Johannes Paul II. gerät... mit seinem Rundschreiben in die Nähe jener ’schrecklichen Vereinfacher’, die in den fundamentalistischen Bewegungen ’den Aufstand gegen die Moderne’ proben" (63).

Solchem Urteil fügt der zweite Beitrag des Autors, der auf einen Vortrag auf der 38. Europäischen Tagung für Konfessionskunde 1994 in Bensheim zurückgeht, insofern noch einen weiteren Aspekt hinzu, daß er auch den Weltkatechismus mit in den Blick nimmt, den theologiegeschichtlichen Rahmen noch weiter zieht und der theologischen Einzelkritik durch Verankerung in ekklesiologischen Grundfragen noch größeren Nachdruck verleiht. Indem er den anstehenden Dissens auf das "hermeneutische Prinzip des kirchlichen Systemfundamentalismus" (123) zurückführt, widerspricht er entschieden jenen "Redeweisen, die eine Identifikation von Gotteswort und Kirchenwort suggerieren und die Unfehlbarkeit der Kirche zumal in ihrem Lehramt untermauern sollen" (126), womit der Papst auch versuche, "die Gewissen an die Kirchenlehre zu binden" (ebd.). "Die inhaltliche Auslegung von Kirche als ’Ursakrament’ und die entsprechende Inkarnationstheorie bedroht zutiefst die klare und unbedingt geforderte Unterscheidung von Gottes- und Menschenwerk in der Kirche." (127)

Der spanische Ethiker M. Vidal untersucht "Bedingende Faktoren und Lektüreschlüssel der Enzyklika ’Veritatis splendor’" (129-148). Er findet "ein ganzes Ensemble von Faktoren", die er um vier "Kerne" herum ordnet: (1) die aktuelle Situation der Menschheit ­, "für den Papst leidet die Welt von heute... unter einem moralischen Vakuum" ­, (2) den kirchlichen Kontext - "wir können sagen, daß die offizielle Situation der Kirche... eine ’Abrechnung’ mit der nachkonziliaren Periode ist" ­, (3) die Vorbedingungen in der Biographie Johannnes Pauls II. als Lehrer der Moraltheologie und (4) den "inneren Geist des Dokuments", die "inhaltlichen Grundpositionen", die er wiederum in fünf "Prinzipien" findet: dem anthropologischen, kulturellen christologischen, ekklesiologischen und moralischen Prinzip.

W. Schöpsdau schließlich, Referent am konfessionskundlichen Institut Bensheim , trägt "Beobachtungen aus evangelischer Sicht zur nachkonziliaren Entwicklung und zur Enzyklika ’Veritatis splendor’" vor, die er unter die Überschrift "Rekonfessionalisierung der Moral?" stellt (149-170). Er verweist auf die ökumenische Brisanz der lehramtlichen Maßregelungen von Theologen oder die Verurteilung von längst Gemeingut gewordenen moraltheologischen Einsichten" (149) und stellt fest, daß die Enzyklika "jenen moraltheologischen Konzeptionen, mit denen sich die ökumenische Annäherung im ethischen Bereich verbindet, die katholische Legitimation entzieht und die Theologie unter ein neuscholastisches Naturrechtskonzept zurückruft" (150). Das Fragezeichen hinter der Überschrift darf also nicht allzu groß ausfallen.

Den Band beschließt die Wiedergabe des größten Teils der behandelten Enzyklika in der von der Deutschen Bischofskonferenz approbierten Übersetzung, so daß gegebenenfalls fragliche Passagen und Tendenzen sogleich am Text nachgeprüft werden können.

Es ist schwer abzuschätzen, wie der Disput weitergehen wird. Ein Gespräch ist es eigentlich schon nicht mehr. Die Fronten scheinen härter denn je. Aber gibt es eigentlich Alternativen?