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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

866–868

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hasse, Edgar S.

Titel/Untertitel:

Weihnachten in der Presse. Komparative Analysen der journalistischen Wahrnehmung des Christfestes anhand der »Weihnachtsausgaben« ausgewählter Tageszeitungen und Zeitschriften (1955 bis 2005).

Verlag:

Erlangen: Christliche Publizistik Verlag 2010. 511 S. 18,5 x 12,0 cm = Studien zur Christlichen Publizistik, 19. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-933992-20-8.

Rezensent:

Kristian Fechtner

In den vergangenen Jahren ist Weihnachten noch einmal verstärkt in den Blickpunkt praktisch-theologischer Aufmerksamkeit ge­rückt, es ist das »Fest der Feste« im Jahreskreis des neuzeitlichen Christentums und in der Spätmoderne eine zentrale Schnittstelle des kirchlichen, öffentlichen und privaten Christentums. Die Greifswalder Dissertation von Edgar S. Hasse, evangelischer Theologe und Journalist, ist eine vergleichende Studie, die untersucht, wie in insgesamt elf verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften in den vergangenen 50 Jahren Weihnachten thematisiert wurde. Die Auswahl der Printmedien umfasst ein breites Spektrum: neben der FAZ, der Süddeutschen und dem Spiegel werden Stern, Focus und BILD analysiert. Hinzu kommen – und dies ist reizvoll − die taz und die Leipziger Volkszeitung ebenso wie Bild der Frau, Bravo und Playboy. Das Untersuchungsfeld in dieser Weise aufzublättern, ist milieutheoretisch inspiriert. Es hätte nahegelegen − H. geht der Spur allerdings nicht nach − zu fragen, ob und inwiefern sich die Deutungen und Ausdrucksgestalten von Weihnachten milieuspezifisch ausfächern. Dabei verknüpft die Themenstellung der Arbeit zwei Felder, die praktisch-theologisch bislang punktuell, aber nicht hinreichend untersucht worden sind: die Wahrnehmung und Darstellung von Religion und Kirche in den Medien einerseits und die Erkundung gegenwärtiger Weihnachtsfestpraxis andererseits. Für beide Bereiche hält die Studie von H. interessante Beobachtungen bereit und formuliert Thesen, die zur weiteren praktisch-theologischen Reflexion anregen.
Der dritte Abschnitt der Arbeit formuliert die Gesamtergebnisse und stellt sie der weiteren Interpretation und Diskussion zur Verfügung (401–432). Anhand seines Materials zeigt H., dass zu Beginn der 1980er Jahre die Weihnachtsdeutung in den Printmedien eine signifikante Wendung nimmt. Während bis zu dieser Zeit die familiäre und die kirchliche Ausrichtung miteinander konkurrierten, korrelieren in der Folgezeit bis heute beide Bezüge miteinander und stärken sich wechselseitig. Die Familialisierung des Weih­-nachtsfestes schwächt demnach die Kirchlichkeit des Festes nicht (mehr), sondern bildet gleichsam den Resonanzraum, innerhalb dessen das Christfest und seine Botschaft plausibel werden. Der »Wendepunkt«, so H., markiert »das neue Interesse an Religion und Veränderungen im Strukturwandel der Familien sowie in der wachsenden Akzeptanz von Weihnachten als Familienfest« (402). Die Hinweise wären – über die Arbeit hinaus – auszuloten. Interessant ist auch, dass der Anteil von Weihnachtsartikeln in Zeitungen und Zeitschriften, die auf explizit kirchliche oder christliche Themen bezogen sind, im Untersuchungszeitraum insgesamt deutlich rückläufig ist (Säkularisierungsthese), aber gegenläufig dazu – wenn auch quantitativ in erheblich geringerem Maße – seit den 1980er Jahren wieder etwas größer wird (These von der neuen Aufmerksamkeit für Religion).
Weitere Einsichten bewegen sich demgegenüber eher im Feld des Erwartbaren: Die Zahl der Artikel zu Weihnachten geht in den Printmedien zurück; säkulare Weihnachtssymbole gewinnen an Bedeutung; von Krippenspielen wird häufiger berichtet als vom Predigtgottesdienst am ersten Weihnachtstag; die »Frequenz der Engel« ist gestiegen. Hilfreich ist die Studie, weil sie manches empirisch erhärtet und festhält, was bislang eher vermutet worden ist. Der Mittelteil der Arbeit (201–400) bietet in elf parallel gestalteten Analysen die Erschließung der Zeitungs- und Zeitschriftenartikel im Medium einer »empirischen Inhaltsanalyse« (175). Auch wenn die kategorialen Unterscheidungen nicht recht überzeugen – ist es angemessen, »biblische, kirchliche und theologische Merkmale« einerseits von »religiösen Merkmalen« andererseits zu unterscheiden und »symbolische Festmerkmale« ausschließlich den »familialen Merkmalen« zuzuschlagen (188 ff.)? –, finden sich in den Einzelanalysen manche reizvolle Beobachtungen. Wer hätte gedacht, dass Weihnachten als Familienfest heute in der links-alternativen taz deutlich weniger Kritik erntet als früher und die »theologische Textinterpretation« ausgewählter Beiträge partiell »auch differenzierte Pro-Argumente« (283) enthält.
Im ersten Teil der Arbeit werden im Anschluss an die Einleitung der Forschungsstand und die Forschungsgeschichte des Themas referiert (35–80) sowie die theoretischen Grundlagen für die empirischen Analysen (81–172) skizziert und die Methode (173–200) erläutert. Das ist nicht nur ein umfangreicher, sondern auch ein zum Teil sehr unübersichtlicher Vorbau, dessen argumentativer Zusammenhang sich nicht immer erschließt. Was als Forschungsstand vorgestellt wird, versammelt nebeneinander kulturwissenschaftliche Wahrnehmungen (»Weihnachtschristentum«), liturgische und homiletische Erwägungen und eine dogmatische Arbeit mit einer sehr eigenwilligen theologischen Reflexionsfigur. Die Darstellung der Forschungsgeschichte springt von einer Betrach tung von Schleiermachers »Weihnachtsfeier« über aktuelle Bei­-träge einer Praktischen Theologie des Kirchenjahres zu Einzel­hinweisen theologischer Festtheorien. In ihrem argumentativen Zu­schnitt noch schwerer zugänglich ist die ambitionierte theoretische Grundlegung, die einen Vorrang der theologischen Perspektive reklamiert und dafür wahlweise u. a. auf Weihnachtsmeditationen von Karl Rahner, exegetische Arbeiten von Peter Stuhlmacher oder theologische Weihnachtsbetrachtungen von Karl Barth rekurriert, die er in den 1920er und 30er Jahren in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht hat. Auch die Ausführungen zu »Weih­nachten als Ereignis« (148 ff.) in theologischer und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive wirken eher wie unvermittelte und zufällige Lesefrüchte, die stärker im Fachdiskurs hätten durchgearbeitet werden können.
Der Rezeption der Arbeit hätte es vermutlich gut getan, wenn sie entschiedener auf die empirischen Analysen und deren praktisch-theologischer Reflexion konzentriert worden wäre. Denn die empirische Erkundung der gegenwärtigen Christentumspraxis voranzubringen, bleibt eine hervorgehobene Aufgabe praktisch-theologischer Forschung. Die vorliegende Arbeit liefert dazu einen Beitrag und enthält eine ganze Reihe von zeitdiagnostischen Einsichten zur medialen Wahrnehmung des Weihnachtsfestes in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und deren Veränderung in den vergangenen 50 Jahren.