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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

862–863

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Haker, Hille

Titel/Untertitel:

Hauptsache gesund? Ethische Fragen der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik.

Verlag:

München: Kösel 2011. 268 S. 21,5 x 13,5 cm. Geb. EUR 19,99. ISBN 978-3-466-36871-6.

Rezensent:

Michael W. Lippold

Am 31.01.2012 wurde in den Tageszeitungen vermeldet, dass in der Lübecker Universitätsklinik das erste Kind nach einer sog. Präimplantationsdiagnostik (PID) geboren worden sei, also nach vorangegangener labortechnischer Untersuchung des Embryos auf auffällige Befunde oder mögliche Gendefekte. Dies stellt die ganz praktische Folge der am 06.07.2011 vom Deutschen Bundestag le­galisierten, im Rahmen der Fortpflanzungsmedizin agierenden Technologie dar, deren Zulassung aus ethischem und rechtlichem Blickwinkel zuvor heftig umstritten war.
Den damit verbundenen ethischen Implikationen widmet sich das von Hille Haker, Professorin für Theologische Ethik, verfasste Buch mit dem auch bisher schon in der Schwangerschaft häufig zu vernehmenden Wunsch »Hauptsache gesund?«, um damit zu verdeutlichen, dass mit der Einführung der PID durchaus an eine Erwartungshaltung werdender Eltern angeknüpft wird. »Es ist der verständlichste Wunsch, den Eltern überhaupt haben können: dass ihr Kind gesund auf die Welt kommen und gesund bleiben möge. Der Wunsch drückt die Sorge aus, die die Beziehung von Eltern zu ihren Kindern prägt …« (9). Die aus der Verknüpfung dieses Wunsches mit der legalisierten Technologie resultierende Frage aber lautet: »Gibt es eine neue ›verantwortliche Elternschaft‹, die die Gesundheit eines Kindes betrifft, noch bevor es geboren wird? Tragen die Eltern Verantwortung dafür, dass ihre Kinder gesund auf die Welt kommen oder … wenigstens nicht mit feststellbaren Krankheiten geboren werden?« (10) So ist die Auseinandersetzung mit dieser Thematik konsequent auf die Perspektive der erstverantwortlichen Entscheidungsträger fokussiert, um eine »neue Ethik der Elternschaft« (12) zu entwerfen, die allgemein verständlich formuliert ist und sich jenseits ausgetretener Argumentationspfade bewegt.
Die fünf Kapitel sind daher konsequent auch mit Erfahrungsberichten durchsetzt, die den aufgeworfenen Fragestellungen Dringlichkeit und Authentizität verleihen. Neben einer Aufbereitung historischer Kontexte (Kapitel 2, 69–129) und ethischen und rechtlichen Aspekten des Schwangerschaftskonflikts (Kapitel 3, 131–173) sowie nach grundlegenden Bemerkungen zu einer »Ethik der Elternschaft« (Kapitel 1, 23–68) werden die Folgen und die daraus resultierenden Konflikte der neueren Technologien der Reproduktionsmedizin (Kapitel 4, 175–230) vor allem für die Frauen und Paare umrissen. Die Aufgabe ethischer Orientierung wird von der Vfn. dabei nicht in einer aufzustellenden Normen-Hierarchie gesehen, auf deren Befolgung im Konfliktfall abzustellen sei, sondern in einem möglichst harmonischen Ausgleich dreier Modalverben. »Ethisch ausgedrückt bedeutet die ›richtige‹ Entscheidung eine neue Kohärenz zwischen Wollen, Können und Sollen. Nur wenn die Mo­dalitäten in Einklang gebracht werden können, ist es auch möglich, die jeweilige Entscheidung vor sich selbst (und anderen) zu rechtfertigen.« (59) Die in der Auseinandersetzung um die PID oft aufgeworfene bzw. auf sie zulaufende Frage nach dem moralischen Status von Embryonen (244–248) wird deshalb auch als nicht zielführend erachtet, da sie für Paare, die Eltern werden wollen, »recht abstrakt erscheinen« (246) mag. Die Vfn. vermag weitere erhellende Perspektiven zu vermitteln, wenn die ebenfalls häufig bemühte Parallelisierung, dass eine PID besser als ein später Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik und deshalb ethisch eher zu rechtfertigen sei, logisch zwingend abgewiesen wird. »Bei der PID geht es […] nicht um einen Schwangerschaftskonflikt, weil noch keine Schwangerschaft besteht. Vielmehr geht es um die rechtliche und ethische Frage, ob grundsätzlich allen lebensfähigen Embryonen die gleiche Würde zukommt, unabhängig von ihren genetischen Merkmalen.« (137) Der Konflikt bestehe vielmehr darin, dass es sich hierbei um eine Auswahlsituation handelt, um eine unter einem grundsätzlichen Vorbehalt stehende Beziehung zwischen den werdenden Eltern und zudem mehreren Embryonen, um einen »Konflikt, der sich auf die grundsätzliche Übernahme von Verantwortung für ein Kind mit Behinderung oder mit einer bestimmten Behinderung bezieht. Um diesen elterlichen Vorbehalt gegenüber einem kranken bzw. behinderten Kind geht es im Kern der Debatte um die PID« (218). Während Schwangerschaften quasi vergesellschaftet und medikalisiert werden (über die Hälfte aller Schwangerschaften werden heute als ›Risikoschwangerschaften‹ apostrophiert), wird in diesem Falle die Entscheidung den werdenden Eltern ganz allein überlassen. Daraus aber resultiert die entscheidende Frage: »Darf der Staat es zulassen, dass Eltern Verantwortung für ihre zukünftigen Kinder nur dann übernehmen werden, wenn sie gesund sind?« (218) Diese Frage wiederum gilt für PID und PND in gleichem Maße. Im letzten Kapitel (5, 231–256) werden abschließende Überlegungen zu einer neuen »Ethik der Elternschaft« angestellt, die vorrangig den Beziehungsaspekt hervorheben, jedoch nochmals die Schwierigkeiten der verzögerten Annahme des Kindes betonen und zugleich herausstellen, dass es sich hierbei um keine moralische Privatan­gelegenheit der Eltern handelt, da assistiertes ärztliches Handeln vorausgehe.
Die Vfn. benennt und diskutiert viele der mit der Technologie der PID einhergehenden theologisch-ethischen, gesellschaftlichen und medizinischen Probleme in wünschenswerter Klarheit. Der stringenten Fokussierung auf die beziehungsethische Elternperspektive mag geschuldet sein, dass bestimmte, spezifisch nun doch auch den Embryo betreffende Probleme ausgeklammert bleiben: Werden Pharmakonzerne noch in die Forschung zur Bekämpfung von Krankheiten investieren, die per PID diagnostiziert werden können? Was bedeutet es für Menschen mit Down-Syndrom, wenn heute bereits 90 % aller Schwangerschaften mit dieser Diagnose abgebrochen werden? Wie können Eltern darin bestärkt werden, sich der aufgenötigten Inanspruchnahme der PID zu verweigern?