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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

859–861

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Aßländer, Michael S. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch Wirtschaftsethik.

Verlag:

Stuttgart/Weimar: Metzler 2011. VI, 490 S. m. Abb. 24,0 x 17,0 cm. Geb. EUR 49,95. ISBN 978-3-476-02270-7.

Rezensent:

Andreas Pawlas

Nun erscheint im Einklang mit der vielerorts intensiv erhobenen Forderung nach ethischem Handeln in der Wirtschaft erneut ein Handbuch der Wirtschaftsethik. Dem am IHI Zittau lehrenden Sozialwissenschaftler Aßländer gelingt es dabei in gebotener Kürze weitgehend, »einen systematischen Überblick über die zentralen Theorien und die wichtigsten Begriffe der Wirtschafts- und Unternehmensethik zu bieten« (4). Dazu gliedert er das Handbuch in fünf Arbeitsbereiche (Kapitel II–VIII), dem dann die Abschnitte »Neue Herausforderungen der Wirtschafts- und Unternehmensethik« (Kapitel IX), »Zentrale Begriffe« (Kapitel X) sowie ein Anhang (Kapitel XI) mit Sach-, Personen- und Autorenregister folgen.
Die Fülle der Beiträge verbietet eine Erörterung jedes einzelnen. Darum jetzt nur einige Beobachtungen; und da ist die Konsequenz hervorzuheben, dass aufgrund des philosophischen Hintergrundes in diesem Handbuch bewusst vom Menschen als selbstbestimmten »autonomen Wesen« ausgegangen wird (9). Damit wird der Gegensatz zur theologischen Perspektive des Menschen vor Gott unübersehbar – jedoch auch darin, dass im Kapitel III »Theoriegeschichtliche Hintergründe der Wirtschafts- und Unternehmensethik« zwar ein Überblick »Von der aristotelischen Trias zur schottischen Aufklärung« (27 ff.) gegeben werden soll, allerdings nach der griechischen Philosophie gleich das Mittelalter (30 f.) erörtert und damit Alte Kirche und Kirchenväter und somit etwa ein Millennium übersprungen wird. Mit der Schilderung des »Beginns der ökonomischen Wissenschaft« (35 ff.) sowie der »Entwicklung der Ökonomik zur normativen Wissenschaft« (43 ff.) wird dann der aktuelle Diskussionsstand erreicht über einerseits eine postulierte »Moralfreiheit der Wirtschaft«, während andererseits zu Recht darauf hingewiesen wird, dass bereits nach Röpke »die Konkurrenzwirtschaft ein Moralzehrer« sei und daher Moralreserven außerhalb der Marktwirtschaft voraussetze (51).
In einem Überblick über deutschsprachige Ansätze der Wirtschafts- und Unternehmensethik (71 ff.) entfaltet Aßländer dann den Beginn der ethischen Debatte in den 1980er Jahren, angeregt durch »Ökologie- und Dritte Welt-Debatte« sowie durch Industriekatastrophen (72). Ein Hinweis auf die sog. »Japanische Herausforderung« fehlt jedoch. In dem folgenden Beitrag »Ethische Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft« (76 ff.) wird sodann von Goldschmidt zu Recht herausgestellt, dass das christliche Denken »dieser Wirtschaftsordnung eine klare ethische Basis« gebe (78), die er sich heute jedoch nicht mehr vorstellen könne (79). Er hält den Einzelnen für überfordert, wenn man ihm abverlangte, »gegen die Logik des Marktes sein ›Gut-Sein‹ in Stellung zu bringen« (80), wobei ihm offenbar nicht deutlich ist, wie sehr der Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft von den Tugenden jedes Einzelnen abhängt.
Schramm gibt sodann einen umfassenden Überblick über die Katholische Soziallehre (82 ff.), während sich Dietzfelbinger der Evangelischen Sozialethik (91 ff.) widmet. Trotz aller wichtiger Einblicke bleibt dabei erstaunlich, wie über Sozialethik in Deutschland berichtet werden kann, ohne auf H.-D. Wendlandt zu kommen bzw. aus seiner Schule nur T. Rendtorff zu erwähnen, aber nicht Brakelmann, Walther, Strohm usw.! Genauso wenig findet sich gerade in Bezug auf Wirtschaftsethik ein Hinweis auf Nethöfel, Honecker oder Pawlas. Anschließend wird über die Ansätze von Peter Ulrich (100 ff.), Steinmann-Löhr (108 ff.) und Karl Homann (116 ff.) berichtet sowie über den »Governanceethischen Ansatz« Josef Wielands (124 ff.), der sich aus der Systemtheorie Niklas Luhmanns und aus der Neuen Institutionenökonomie speist und den Beschorner zu den wichtigsten Ansätzen der deutschsprachigen Wirtschafts- und Unternehmensethik rechnet (130).
Unter der Rubrik »Anglo-amerikanische Ansätze der Wirtschafts- und Unternehmensethik« wird zunächst ein genereller und dann detaillierter Überblick über »Business Ethics im anglo-amerikanischen Sprachraum« (132 ff.) gegeben, wobei es nicht verwundert, dass bisher kein robuster Zusammenhang zwischen Ethik und Unternehmenserfolg aufgezeigt werden konnte (133).
Sodann werden im dritten Bereich des Handbuchs (Kapitel V) zentrale »Grundprobleme der Wirtschafts- und Unternehmensethik« aufgegriffen und »Wirtschaftsethik als angewandte Ethik« skizziert (177 ff.). Ausdrücklich zu begrüßen ist der Beitrag von Heidbrink »Verantwortungsbegriff der Wirtschaftsethik« (188ff.). Er nimmt hierzu jedoch die lange Christentumsgeschichte nicht ernst, insbesondere das »Protestantische Prinzip« der unmittelbaren persönlichen Verantwortung vor Gott. Anschließend werden »Das Verhältnis von Markt und Moral« (198 ff.), »Ökonomische Ra­tionalität« (208 ff.) und »Werthaltungen in Unternehmen« (218 ff.) referiert.
Kapitel VI und VII sind mit »Instrumente der Wirtschafts- und Un­ternehmensethik« überschrieben. Dort berichtet Talaulicar zu­nächst über Ethikkodizes (229 ff.) und darüber, dass bei aller Zweck­mäßigkeit solcher legalistischen Kodizes dennoch den Adres­saten die Möglichkeit genommen werde, »eigene moralische Urteile zu treffen« (231). Auf weitere ethische Instrumente wird hingewiesen, so auf Wielands »Wertemanagement« (245 ff.), den »Deutsche[n] Corporate Governance-Kodex« (268 ff.), die Institution des »Ethics Officer« (285 ff.), »Corporate Social Responsibility« (321 ff.), »Corporate Stewardship« (338 ff.), aber auch auf »Public Private Partner­ships und Multistakeholder-Initiativen« (312 ff.). Dabei fällt auf, dass in diesem Zusammenhang das Subsidiaritäts-Prinzip nicht erwähnt wird. Ebenso wird nicht über die bewährte ppp-Zusam­menarbeit zwischen Staat und Diakonie/Caritas informiert. Auch auf das umfangreiche entwicklungspolitische Zusammenwirken staatlicher Instanzen mit kirchlichen Gruppen und Unternehmen wird nicht eingegangen. – Der fünfte und letzte Teil (Kapitel VIII) widmet sich einigen sog. ›Bereichsethiken‹ wie der »Marketing-Ethik« (349 ff.) oder der »Management-Ethik« (359 ff.). Im Abschnitt über »Ethik und Kapitalmarkt« (366 ff.) kritisiert dann Schäfer zu Recht die Rede von »ethikfreie[n] Zonen« (374) und fordert die Verbesserung von Vertrauenswürdigkeit und Kundenorientierung (375) – Forderungen, die traditionell im Bereich der Sparkassen oder Genossenschaftsbanken aufgenommen sein sollten.
Im Kapitel IX erörtert Aßländer sodann die »Neuen Herausforderungen der Wirtschafts- und Unternehmensethik« (387 ff.), welche auch künftig beträchtlich seien. Denn offenkundig sei eine rein liberale und auf Eigennützigkeit gegründete Wettbewerbsordnung nicht in der Lage, »moralischem Fehlverhalten innerhalb der Wirtschaft effektiv entgegenzuwirken«. Ferner gebe es jetzt schon den Einfluss US-amerikanischer Gesetzgebung mit ihren ethischen Vorstellungen auf deutsche Unternehmen (388.396). Deshalb hätten Unternehmen sich national und international den ethischen Verantwortungszuweisungen der zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit zu stellen (396), so etwa im Blick auf die natürlichen Res­sourcen (390 ff.) oder die Armut (392 ff.).
Im Kapitel IX wird nun unter der Überschrift »Zentrale Begriffe« (399 ff.) in aller Kürze, aber dennoch hilfreich, ein Überblick über 28 recht unterschiedliche wirtschaftsethische Termini gegeben. Allerdings ist zu fragen, warum auf Buddhistische (399 ff.), Islamische (417 ff.) und Jüdische Wirtschaftsethik (420 ff.) eingegangen wird, aber nicht auf hinduistische oder kommunistische. Und so wichtig der Abschnitt über »Eigentum« (404 ff.) ist: Kann man hier ohne einen Blick auf geistesgeschichtliche oder gar theologische Hintergründe Eigentum nur als gesellschaftliche Größe verstehen? Immerhin wird im Artikel über den Islam nachdrücklich Gott als »letzter Eigentümer aller Güter dieser Welt« (418) hervorgehoben. Erfreulich ist, wie deutlich in dem Beitrag zu »Leadership« (427 ff.) die »besondere Rolle« betont wird, die im Unternehmen dem Führungsverhalten der Vorgesetzten« zukomme (427). Ebenso beeindruckt, dass in dem Handbuch trotz seiner philosophischen Ausrichtung hinsichtlich eines »zentralen Problems der Philosophie«, nämlich der »Letztbegründung« (429 ff.), offen bekannt wird, dass es trotz mancher Lösungsversuche ungelöst bleibe (431).
Der bunte Strauß weiterer wirtschaftsethischer Begriffe wird kenntnisreich erläutert und reicht über »Lohngerechtigkeit« und »Menschenrechte« bis hin zu »Zivilgesellschaft« (472 ff.), welche in offener oder verborgener Weise weithin die Folie für die Analysen dieses Handbuches zu bilden scheint. Natürlich wäre gerade deswegen ein Beitrag etwa zur Ethik in Presse- und Internetunternehmen aufschlussreich gewesen. Aber dieser Ergänzungsbedarf – auch die bedauerliche Ausklammerung diverser christlicher und kirchlicher Realitäten – ändert nichts an der insgesamt anregenden und breiten Perspektive, die dieses Handbuch eröffnet. Insofern ist dem Werk eine weite Verbreitung zu wünschen.