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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

857–859

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Werbick, Jürgen

Titel/Untertitel:

Vergewisserungen im interreligiösen Feld.

Verlag:

Berlin/Münster: LIT 2011. IV, 386 S. 23,5 x 16,2 cm = Religion – Geschichte – Gesellschaft, 49. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-643-10818-0.

Rezensent:

Ulrich Dehn

Der Münsteraner Fundamentaltheologe Jürgen Werbick legt hier eine Aufsatzsammlung vor, die wohlgeordnet und in wissenschaftslogischen Schritten auch sinnvoll als geschlossenes Buch betrachtet werden kann. Bereits der Titel, aber natürlich auch die Ausführung führen zurück in die alte Einsicht, dass die Selbstreflexion des Glaubens nicht in ungestörter Einsamkeit vor sich gehen kann, sondern der zeitgeschichtlichen, aber insbesondere interreligiösen Spiegelung bedarf, um sich selbst und den eigenen Weg zu finden. Von den 17 Texten, die hier versammelt sind, sind es allerdings nur der siebte und achte, die sich ausdrücklich einer Reflexion des »interreligiösen Feldes« widmen, und schließlich der neunte, der diese Thematik mit den Stichworten Toleranz und Pluralismus streift. Zunächst jedoch werden Schritte über die geistes- und ideengeschichtliche Einordnung (Monotheismus, Säkularisierung, Postmoderne u. a.) und die wissenschaftstheoretische Reflexion, deren Bestandteil die religionstheoretische Begegnung und das Plädoyer für den Ansatz der Komparativen Theologie sind, gegangen, bevor es in den beiden großen Abschnitten III und IV (Texte 9 bis 17) zu weiteren Abarbeitungen an den (nichtchristlichen) religiösen Herausforderungen, an der Eschatologie, der Theologie des Wortes in Schrift und kirchlicher Tradition, schließlich zum Stichwort der Gabe und zu Begegnungen mit der Mystik und mit Paul Ricœur kommt.
Es legt sich nahe, im Zusammenhang einer zeitgemäßen Einbettung theologischen Denkens die Debatte um Postmoderne, Pluralismus und Dekonstruktivismus aufzugreifen und mit der Wahrheitsthematik abzugleichen. W. tut dies im Gespräch mit Lyotard, aber auch mit früheren Denkern, die hingedacht haben auf eine pluralistische und multiperspektivische Sicht der Wirklichkeit unter Verzicht auf »große Meta-Erzählungen« (Nietzsche, Max Weber, William James etc.), auf Einheitsvisionen, auf Universalismen, auf verbindliche Bezugssysteme. Die Aufweichung von Plausibilitätszusammenhängen und Begründungsmöglichkeiten für Optionen ist ein Thema, das sich von der Behandlung Gianni Vattimos hin zum radikalen Pragmatismus Richard Rortys zieht. Unter radikalem Verzicht auf »Wahrheit« oder »Ziele« von Forschung spricht Rorty von Möglichkeiten und Interessantheiten sowie Prozessen. Auch Ideale wie Gerechtigkeit oder erfülltes Leben haben bei Rorty, so W., keinen Platz, da sie bereits eine Annäherung an etwas Regulatives oder Wahrheit darstellen würden. Hier identifiziert W. eine Auflösung von Verbindlichkeitsorientierung, die nicht einmal mehr die ge­meinsame Frage nach der »richtigen Richtung« zulasse (107). Er stellt der »Selbstverständlichkeit der reinen Kontingenz« die »größere Selbstverständlichkeit« von »Überlieferungszusammenhängen« ge­genüber, die sich in den Lebenswelten doch als normierende Instanzen geltend machen können. Dies gemeinsam mit dem Stichwort der Kenosis Gottes meint W. als Korrektiv gegenüber einer »postmodern empfundene(n) Nötigung zum Pluralismus« (115) artikulieren zu können.
In den wissenschaftstheoretischen Erwägungen setzt W. sich zunächst mit der scharfen Trennung von Binnen- und Außenperspektive von Hans-Jürgen Greschat auseinander, der damit der mutmaßlich außenperspektivischen Religionswissenschaft gegenüber der – ebenso mutmaßlich – konfessionell interessegeleiteten Theologie wissenschaftlich legitimes Terrain verschaffen will. Auf den Spuren von Helmut Peukert in Anlehnung an Jürgen Habermas führt W. über diese überholte und eigentlich nie sinnvoll gewesene Schraffierung des Wissenschaftsbetriebes hinaus und argumentiert anknüpfend an die Themen einer »anerkennungszentrierte[n] Theorie kommunikativen Handelns« und einer entsprechenden »Theorie des argumentativen Diskurses« als Voraussetzung einer Wahrheitstheorie (138). Angemessenheit, Verlässlichkeit, invitatives Ar­gumentieren (Dietrich Ritschl) sind Be­griffskomplexe, mit denen dieser Gedankengang sich bis hin zu Nietzsche und Martin Walser beschäftigt.
In der Begegnung mit der religiös pluralen Welt in den Paragraphen 7 und 8 findet erneut ein Denken um den Wahrheitsbegriff statt, der sich im »interreligiösen Feld« mit Ansprüchen auseinandersetzen muss, die nicht »objektbezogen« aneinander abgeglichen werden können. Sind die gerne zitierten Beispiele der schönen Blume oder der Liebesbeziehung, in denen die Geschmacks- oder Beziehungsdynamik die Diskursebene überlagern sollen, wirklich zugkräftig? fragt W. Können nicht in gleicher Weise anerkannte und hingenommene Wahrheitsansprüche zu einem »Sich-gegenseitig-in-Ruhe-Lassen« und zu einem »Selbst-in-Ruhe-ge­lassen-werden-wollen« und dazu führen, dass eben nicht, wie von den »Pluralisten« beabsichtigt, die Dialogfreude genährt wird (168)? Naturgemäß kommt hier als wortgewaltiger deutscher Repräsentant der pluralistischen Theologie der Religionen Perry Schmidt-Leukel als Gesprächspartner zu Wort. W. kann sich weder einen dezentralen Wahrheitspluralismus der »schönsten Blumen« noch einen Pluralismus der vielen religiösen Wege zu der einen göttlichen Wirklichkeit vorstellen, sondern schlägt die theologische Figur des Getragen-Seins von göttlicher Zuneigung und des Betroffen-Seins Gottes durch die, die er liebt und ohne die er nicht Gott sein will, vor (172). Dies ist nicht im Sinne des Rückfalls in einen Wahrheitsexklusivismus gemeint: Der Geist Gottes mag (inklusivistisch) auch außerhalb der christlichen Kirchen und in anderen religiösen Traditionen tätig sein (180). Der von ihm empfohlene Weg ist der der Komparativen Theologie, die mindestens dem eigenen An­spruch nach auf eine »Theologie der Religionen« verzichtet. Die vergewisserte Bewohnung der eigenen Option steht in der Begegnung mit dem anderen und lässt sich dadurch bereichern, ohne dies zu funktionalisieren. Dabei legt W. Wert darauf, dass die eigene religiöse Option, die zur Grundlage der Begegnung wird, exis­tenziell und zugleich so begründet wie möglich vollzogen wird. Das Thema der Vergewisserung durchzieht auch die Ausführungen zu Toleranz und Pluralismus (Einsichten zur Ringparabel und zu Nikolaus von Cues’ De pace fidei, 197–201) sowie weitere Überlegungen zur Auseinandersetzung mit Anfechtungen durch Fundamentalismus und andere zeitgeschichtliche Dynamiken.
Das Schlusskapitel (»Zum Ende und am Anfang: Zeugnis«) bietet – noch einmal unter Aufnahme des bereits vorher entwickelten Rahmenmodells von Ricœur – eine hermeneutisch zusammenbindende Reflexion, die sich an der Frage orientiert, in welchem Zu­sammenhang (Selbst-)Vergewisserung (und ihre Prozesshaftigkeit), Zeugnis (Martyrium) und die Selbstbezeugung des Absoluten stehen. Jedes Zeugnis sei ja »ein vergeblicher Versuch, dem erlangten Sinn gerecht zu werden« (Martin Buber) und kann nur eine Abschattung der endgültigen Selbstbezeugung Gottes sein.
Religion/Religionen bzw. Interreligiosität begegnen in W.s Buch, entgegen der Erwartung, die durch den Titel geweckt wird, als Dis­kursfeld und eigentümlich blutleer, auch beim Thema der Kom­-parativen Theologie, das eine interreligiöse Konkretisierung gut hätte vertragen können, wird dem Leser nur ein kleines Erfahrungsbeispiel von wenigen Zeilen gegönnt. Dies wird zu Beginn mindes­tens mittelbar auch geklärt und trübt jedenfalls nicht die Freude an einem sehr luzide geschriebenen Buch, das wichtige hermeneutische und wissenschaftstheoretische Klärungen im interdisziplinären Gespräch insbesondere mit der Philosophie und Positionen der Religionstheologie vornimmt und anspruchsvoll vorantreibt.