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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

108–110

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Mieth, Dietmar [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Moraltheologie im Abseits? Antwort auf die Enzyklika "Veritatis splendor".

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 1994. 315 S. 8o = Quaestiones Disputatae, 153. Kart. DM 48,­. ISBN 3-451-02153-6.

Rezensent:

Hubert Kirchner

Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang: Der Papst erläßt eine Enzyklika, ein in der Hierarchie kirchenamtlicher Verlautbarungen ganz oben rangierendes Dokument, für die Theologen jedoch, die zwar nicht direkt angesprochen sind, um deren Arbeit und Aufgabe es aber geht, wird das Ganze zur "quaestio disputata". Da, wo für so manchen ­ nicht nur für den Papst selber ­ alles entschieden ist, womöglich mit einem selber unfehlbaren Spruch, hat für andere das Gespräch gerade damit erst angefangen. Deutlicher kann sich der Wandel in der Situation, zumal im Verhältnis zwischen dem offiziellen kirchlichen Lehramt und der Theologie, kaum noch darstellen. Und insofern kommt dem Buche durchaus exemplarische Bedeutung zu ­ weit über das eigentlich aktuelle Thema hinaus. Und insofern sollte auch der Untertitel sehr ernst genommen, dabei aber nicht zu eng verstanden werden.

Gewiß ist mancher Beitrag eine harsche Entgegnung, Protest und Zurückweisung. Aber die Intention des Buches ist das nicht. Es soll damit keine Gegenfront aufgebaut werden gegenüber der, die die Moralenzyklika so deutlich gezogen hat. Gesucht wird das Gespräch, der Einstieg in einen Kommunikationsprozeß, wie er eigentlich vor der Enzyklika hätte stattfinden sollen, jetzt aber hoffentlich auch noch möglich ist und nicht schon zu spät kommt. Und deshalb steht doch nicht die Kritik im Vordergrund, sondern die Darlegung von Sachproblemen, die ­ teilweise ohne direkten Bezug auf den aktuellen Vorgang ­ helfen will, daß Klarheit gewonnen wird wie im Grundsätzlichen so im Detail.

Der Papst wollte mit seiner Enzyklika, gerichtet an die Bischöfe der Kirche als die Verantwortlichen für die kirchliche Lehre, einer "echten Krise" begegnen, die entstanden sei durch die "Diskrepanz zwischen der herkömmlichen Antwort der Kirche und einigen... theologischen Einstellungen", ja, durch eine "globale und systematische Infragestellung der sittlichen Lehrüberlieferung aufgrund bestimmter anthropologischer und ethischer Auffassungen". Namen waren nicht genannt worden. Ziemlich einhellig wurde sogar von vielen Seiten festgestellt, daß solche Thesen, wie die Enzyklika sie zurückwies, von niemandem vertreten würden. Doch Richtungen waren, bei aller Verzeichnung, erkennbar, Lehrmeinungen und auch Personen, die gemeint sein mußten. Und aus ihrem Kreis kommen die Autoren, die sich zu diesem Sammelbande zusammengefunden haben, quer durch das Lager der Moraltheologen aus dem deutschen, angelsächsischen, französischen und italienischen Sprachraum. Der Hg. betont, es "wäre leicht gewesen, noch einmal ein Dutzend Autoren zu diesem Thema zu versammeln" (7).

In insgesamt 16 Beiträgen werden sowohl grundsätzliche Fragen wie auch Einzelprobleme erörtert, die Vorgänge um das Erscheinen der Enzyklika und das Verhältnis zwischen Lehramt und Moraltheologie werden durchleuchtet, es wird um Verstehen geworben und Wege der gegenseitigen Annäherung werden gesucht und dabei freilich auch wird an Kritik nicht gespart.

D. Mieth betrachtet einleitend "Die Moralenzyklika, die Fundamentalmoral und die Kommunikation in der Kirche" (9-24); M. Theobald untersucht "Das biblische Fundament der kirchlichen Morallehre" (25-45); K.-W. Merks legt dar, was "Autonome Moral" eigentlich bedeutet (46-68), K. Demmer in ähnlicher Weise "Optionalismus ­ Entscheidung und Grundentscheidung" (69-87) und W. Wolbert "Die ’in sich schlechten’ Handlungen und der Konsequentialismus" (88-109); E. Chiavacci plädiert "Für eine Neuinterpretation des Naturbegriffs" (110-128); B. Fraling behandelt das Verhältnis von "Freiheit und Gesetz" (129-143), B.-M. Duffé das von "Conscience morale et Magistère catholique" (144-176 mit deutscher Zusammenfassung von D. Mieth); J. Fuchs, "Die sittliche Handlung: das intrinsece malum", greift noch einmal ein in der Enzyklika zentral angesprochenes Problem auf (177-193), während sich H. Rotter, "Instruktion oder Kommunikation", der durch das päpstliche Schreiben in besonderer Weise charakterisierten Situation zuwendet (194-202). In zwei weiteren Sachbeiträgen untersuchen G. Virt "Epikie und sittliche Selbstbestimmung" (203-220) sowie J.-P. Wils "Person und Subjektivität" (221-243). Eine theologiegeschichtliche Einordnung versucht M. Vidal, "Die Enzyklika ’Veritatis splendor’ und der Weltkatechismus. Die Restauration des Neuthomismus in der katholischen Morallehre" (244-270). Es folgen zwei besonders brisante Themen: R. A. McCormick, "Die Geburtenreglung als Testfall der Enzyklika" (271-284) und B. Häring, "Pastorale Lösungen in der Moral?" (285-295). A. Auer beschließt die Sammlung mit der resümierenden Frage: "Ist die Kirche heute noch ’ethisch bewohnbar’?" (296-315).

Eine relativ bunte Mischung also, in der die Hauptfragen, die durch die Enzyklika ausführlich behandelt oder zumindest an-gesprochen worden waren, weiterführend aufgegriffen werden. Einen genauen Plan der zu bearbeitenden Materien, der das Ganze dann auch noch stärker hätte strukturieren helfen, scheint es nicht gegeben zu haben. Verschiedene Einzelfragen, die von besonderem Gewicht sind wie die nach dem Intrinsece malum und der Rolle des Gewissens, werden mehrfach bedacht, Überschneidungen sind nicht ganz selten, tragen aber freilich auch dazu bei, daß ein in sich farbiges Bild entsteht davon, was Moraltheologie heute leisten will und zu leisten vermag.

Bei allem guten Willen, die Enzyklika als einen Gesprächsbeitrag seitens des kirchlichen Lehramtes ernst zu nehmen und nicht vorschnell in eine bestimmte Ecke zu verweisen, fallen dann aber freilich doch sehr harte Urteile, die den Dissens zwischen Lehramt und Moraltheologie offenkundig machen: "unzulängliche Diagnose" (108), "Karikatur" (53), "grandioser Anachronismus" (70), ein "defensives Dokument,... das auf ’ethische Besitzstandswahrung’ gerichtet ist" (219), eine ",restaurationistische’ Offensive" (246), "Teil des ’Restaurationsprogramms’, das während des gegenwärtigen Pontifikats in der katholischen Kirche eingeleitet wurde" (281).

Und das ist ­ auf eine kurze Formel gebracht ­ auch das Ergebnis, das unter dem Strich schließlich hinsichtlich der Enzyklika herauskommt: Sie ist genauso wie der voraufgehende Katechismus der "Versuch, gegenüber den Fortschritten der Erneuerung seit dem II. Vatikanischen Konzil die neuscholastische Morallehre wieder einzuführen" (246). Ob unter der Voraussetzung solcher Einschätzung ein konstruktives Gespräch zwischen Moraltheologie und Lehramt möglich ist, bleibe hier dahingestellt. Die Autoren scheinen immerhin die Hoffnung noch nicht aufgegeben zu haben. Da es sich bei dem Ganzen aber "um eine durch und durch pastorale und ökumenisch besorgte Theologie" handelt (291), sollten sich ohnehin noch weitere Partner zu Worte melden. Und in diesem größeren Rahmen sind vielleicht auch die Chancen für ein sachliches Gespräch ohne Vorverurteilung gegeben.

Leider sind Druckfehler nicht gerade selten. Doch auf einen möglichst fehlerfreien Text ein wenig Wert zu legen, ist wohl unter den obwaltenden Herstellungsbedingungen auch für anspruchsvollere Verlage und Einzelpublikationen nicht mehr angebracht. Der Rezensent muß das trotzdem bedauern.