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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

852–854

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Riedl, Gerda, Negele, Manfred, u. Christian Mazenik [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Apokalyptik. Zeitgefühl mit Perspektive?

Verlag:

Paderborn/München/ Wien/Zürich: Schöningh 2011. 254 S. m. Abb. 23,2 x 15,4 cm. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-506-76490-4.

Rezensent:

Gregor Etzelmüller

Der Band dokumentiert die »Interdisziplinären Tage der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg« von 2006. Die theologischen Beiträge aus Exegese, Kirchengeschichte und Systematik verbindet das Anliegen, gegenüber den modern-säkularen Derivaten der Apokalyptik das Hoffnungspotenzial der biblischen Apokalyptik wiederzugewinnen (vgl. 7.87.120.124.131.172). Diese sei nämlich »kein Angstgebilde, sondern ein Hoffnungsgemälde« (Gerda Riedl, 124). Erst von dieser Absicht des Bandes her erschließt sich, warum er mit einem Beitrag der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley über das Ende der DDR eröffnet wird. Sie steht in ihrer Person für die Hoffnung, »dass es keine so erstarrten Verhältnisse gibt, dass daraus nicht auch wieder etwas Neues entstehen kann« (17 f.).
Die philosophischen Beiträge sind leider nur assoziativ mit dem Thema verknüpft: Ingolf Ahlers rekonstruiert Samuel P. Huntingtons These vom Clash der Kulturen als einen »säkularisierte(n) Apokalypsediskurs« (35), Manfred Negele will die Überlegungen von Richard Rorty und Gianni Vattimo zur Zukunft der Religion als »post-apokalyptisch« verstehen (188). Das hat nicht nur »zunächst wenig mit dem Thema Apokalyptik zu tun« (176). Der Band schließt mit einer prägnanten Darstellung der apokalyptischen Strömungen in der deutschen Literatur seit 1910 aus der Feder des Augsburger Religionspädagogen Georg Langenhorst.
Dass der Band die Möglichkeit des interdisziplinären Austausches zwischen Philosophie und Theologie verspielt, ist insofern bedauerlich, da die theologische Wiederentdeckung der Apokalyptik explizit an philosophische Positionen anschließt. So versteht Jürgen Manemann im Anschluss an Walter Benjamin Apokalyptik als »Hoffnung um der Hoffnungslosen willen« (70): »Um die unabgegoltenen Rechte der in der Geschichte Untergegangenen zu reklamieren, zerreißt der Apokalyptiker den ideologischen Schleier, mit dem eine Fortschrittsideologie … den Seufzer der Kreatur zu ersticken versucht.« (77) Apokalyptik sensibilisiert für das Leiden der ganzen Schöpfung, auch der vergessenen Opfer und der nicht-menschlichen Kreatur. Deshalb richtet sich die apokalyptische Hoffnung nicht auf die Geschichte, sondern auf deren Ende. Im Anschluss an den jüdischen Religionsphilosophen Jacob Taubes definiert Manemann Apokalyptik als »Sehnsucht nach einem anderen Globus« (72, vgl. 66).
Wer diese Radikalität der Apokalyptik wahrnimmt, dem wird die Charakterisierung der Apokalyptik als »weniger prophetisches, denn utopisches Hoffnungsgemälde …, das die innergeschichtlichen (Fehl-)Entwicklungen nicht etwa handstreichartig aufhebt, sondern glückend vollendet« (Gerda Riedl, 136) als – mit Taubes gesprochen – »viel zu vornehm« erscheinen (vgl. 66). Apokalyptik geht es um Ende und Aufhebung statt Vollendung. Von der biblischen Apokalyptik her ist der modernen Angst nicht der Satz: »Wer glaubt, fürchtet eben weniger und weiß mehr« entgegenzuhalten (136), sondern: Wer glaubt, hält dem Grauen stand, nimmt es rea­-listisch wahr ohne es zu beschönigen und hält dennoch an der Hoffnung auf Besseres fest.
In seinem Beitrag zur Bedeutung der Apokalyptik für die theologische Ethik schließt Klaus Arntz an Johann Baptist Metz’ These an, dass in der Geschichte des Christentums die apokalyptische Leidempfindlichkeit einer kirchlichen Sündenempfindlichkeit ge­wichen sei. Er beklagt »die moralische Instrumentalisierung der apokalyptischen biblischen Bilder«, die nicht nur die biblische Hoffnung verstellt, sondern darüber hinaus »Sündenfixierung und Höllenangst« verstärkt habe (90).
Während die systematischen Beiträge Apokalyptik vor allem als »Mentalitätsphänomen« wahrnehmen (128), wenden sich die exegetischen Beiträge der literarischen Gattung »Apokalypse« zu. Franz Sedlmeier untersucht die Gog-Perikope (Ez 38 f.) als protoapokalyptischen Text, der »an den Anfängen apokalyptischer Krisenliteratur im Alten Testament steht« (119). Dabei verdeutlicht das vierte Visionsbild – mit der Einladung an die Tiere, sich am Fleische Gogs und seiner Truppen satt zu fressen (vgl. Ez 39,17 ff.) –, dass die Apokalyptik nicht auf die Vollendung der Geschichte zielt, sondern auf das Ende der sich verfestigenden »Unrechtstrukturen« (110) als Erlösung der ganzen Schöpfung: »Die Beseitigung der Unterdrücker durch den Sieg JHWHs – V. 20 erwähnt bewusst wieder ›Pferd und Reiter‹, ›Held und Krieger‹ – bedeutet eine Entlas­tung für die gesamte Kreatur.« (114). Dieses Bild, das in Offb 19,17 f. aufgegriffen wird, lebt auch in der säkularen Apokalyptik angesichts der ökologischen Krisen der Moderne weiter (vgl. das Gedicht Hans Magnus Enzensbergers, Vom Leben nach dem Tode, 243).
Christian Mazenik führt in die Johannesoffenbarung und ihre Rezeption in der christlichen Kunstgeschichte ein. Bei seinen Versuchen, den Text zu aktualisieren, hätte man sich freilich mehr Selbstkritik und Realistik gewünscht. Wenn man Parallelen zwischen antikem Kaiserkult und gegenwärtiger massenmedialer Inszenierung von Pop- und Filmstars erkennt, dann sollte auch die massenmediale Inszenierung des Papstes selbstkritisch beleuchtet werden: »Wo ein … Mensch zu sehr in den Mittelpunkt gerückt wird, gerät der Glaube in eine Schieflage – die Richtung muss eine theozentrisch-christologische sein!« (220). Wenn es ferner heißt: »Die Erfahrungen der Christen mit ihrem Glauben sind vielfach ähnlich« und Mazenik dafür auf die Erfahrungen »von Schief-Angeschaut-Werden über Anfeindung bis hin zur Verfolgung aufgrund des Glaubens« rekurriert (221), dann ist dieser Vergleich im Blick auf die Erfahrungen der antiken Christengemeinden in Kleinasien und verfolgter Christen der Gegenwart nicht nur ge­schmacklos, sondern verzeichnet auch die gesellschaftliche Wirklichkeit Mitteleuropas, die sich wohl kaum als »a-christlich« (221) bezeichnen lässt. Die Rezeption der Apokalypse dient hier dem Auf bau eines Dualismus von Welt und Kirche, mit dessen Hilfe der Entweltlichung der Kirche das Wort geredet wird: »Wo allzu Menschliches in den Mittelpunkt christlich(-liturgisch)en Vollzugs gerückt wird, wo Assimilierungstendenzen mit allzu weltlichen Praktiken verschwimmen, verliert das Christ-Sein seine Identität und damit seine Überzeugungskraft und Ernsthaftigkeit.« (221) Die Gefahr eines solchen apokalyptisch motivierten Dualismus hat Sedlmeier in seinem Beitrag explizit benannt: »Eine polarisierende Sicht der Realität ist immer auch anfällig für fundamentalistische Optionen.« (119)
Damit dokumentiert der Band im Medium der Reflexion biblischer Apokalyptik das gegenwärtige Ringen um die notwendigen Reformen der katholischen Kirche. Der Kritik an der »Lauheit des Christseins« und der Forderung nach einer Entweltlichung der Kirche im Beitrag des jüngsten Beiträgers, Christian Mazenik, steht das Anliegen der systematischen Beiträge entgegen, selbstkritisch das Erbe der Apokalyptik (und ihrer modernen Rezeption durch Johann Baptist Metz) für die Reform von Kirche und Theologie fruchtbar zu machen.
Der Band verdeutlicht insgesamt, dass man die Hoffnungs­dimension der Apokalyptik nur dann neu erschließen wird, wenn man bereit ist, mit der Apokalyptik auch die Schrecken der Zeit realistisch wahrzunehmen. In der christlichen Theologie ist dies insbesondere die Funktion der Kreuzestheologie. Am Kreuz Christi wird offenbar, welcher Gefährdung diese Welt beständig ausgeliefert ist. Dass sich Recht und Religion, die Eliten und die Volksmenge, Heiden und Juden gemeinsam der Sendung Jesu verschließen, dokumentiert ein Scheitern dieser Sendung, das die christliche Theologie nicht ausblenden muss, weil sie es im Licht von Ostern neu sehen lernt. Von daher ist Manemann zuzustimmen, wenn er im Anschluss an Johann Baptist Metz ausführt: Die Rede vom mitleidenden Gott wird erst dann wirklich ernst genommen, wenn sie »auch ein Scheitern, zumindest als Möglichkeit, in Rechnung« stellt (69). In diesem Sinn ist der Ruf des Gekreuzigten »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Ausdruck der Sehnsucht nach einer anderen Welt, die freilich dieser Welt zugute kommen soll.