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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

849–850

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bilgri, Anselm

Titel/Untertitel:

Gottesentrümplung. Warum es nicht verrückt ist, heute religiös zu sein.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2011. 256 S. 21,5 x 13,5 cm. Geb. EUR 19,99. ISBN 978-3-579-06558-8.

Rezensent:

Werner Thiede

Anselm Bilgri, Dozent an der Hochschule München und ehemaliger Benediktiner-Cellerar der Abtei St. Bonifaz, bis zu seinem Or­densaustritt Prior im Kloster Andechs, legt mit seinem Buch gewissermaßen ein katholisches Pendant zu K.-P. Jörns »Notwendige Abschiede« (rezensiert in ThLZ 130 [2005], 1233 f.) vor – im selben Verlagshaus, nun aber ganz ohne Fußnoten. Eine liberal-theolo­gische Relativierung christlicher Glaubensinhalte soll den Boden bereiten für eine neue Spiritualität: »Ich träume von einer Kirche, die sich als ein Weg unter vielen versteht«, heißt es am Ende des Buches.
Mit »Gottesentrümplung« meint B. die Entsorgung von vielfach nichtssagend gewordenem Ballast der Tradition – ungefähr nach dem Motto »Simplify your God« (14). Simplifiziert und oft im Plauderton dargelegt wird unter anderem das Verhältnis des Menschen gegenüber Gott, wobei hier B.s katholische Verwurzelung durchschimmert: »Und mein ethisches, moralisches Verhalten ist meine Antwort auf das Wort Gottes. … Gott macht ein schier unglaubliches Angebot, und an uns liegt es, es anzunehmen oder abzulehnen.« (167) Die Annahme des göttlichen Angebotes wird als Bedingung im Zuge des ansonsten bedingungslosen Rechtfertigungsvorgangs aufrechterhalten. Wer sie erfüllt, der will »dem Prinzip des Kosmos Dank sagen« (187).
Vom Apostolischen Credo bleibt bei solcher »Säuberung«, über deren Kriterien genauer nachzudenken wäre, nicht allzuviel übrig: Jungfrauengeburt, Gottessohnschaft, Sühnetod, Auferstehungshoffnung – alles Mythen, zeitbedingte Interpretamente, die entrümpelt, entmythologisiert (90), uminterpretiert gehören. Dabei bleibt B. nicht einmal bei der Forderung einer Entmythologisierung stehen, sondern plädiert für eine »Remythologisierung unserer Theologie« (74) im Sinne einer zweiten Naivität, die den zeitlosen Wahrheitsgehalt religiöser Aussagen jenseits aller Historizität einfängt. Dass die Bibel weithin heilsgeschichtlich und nicht mythologisch denkt, interessiert B. nicht. Trinitarische Gotteslehre, kirchliche Christologie und Eschatologie – alles Glaubenshindernisse!
Damit stellt sich B. freilich keineswegs nur außerhalb seines einstigen Ordens, sondern aller ökumenisch in Geltung stehenden Bekenntnisse der Christenheit. Allenfalls eine »Ökumene« der Religionen wäre da noch intendierbar, aber auch das nicht wirklich – denn ein Christentum, das Jesus nur noch als Propheten (109) akzeptiert, ist keines mehr. Und die damit verbundene Forderung, Mohammed als »Propheten des Monotheismus« anzuerkennen (110), wird wiederum unter theologisch reflektierten Christen wenig Beifall finden.
Wenn die Menschen heutzutage sich »nicht mehr strikt von der Kirche vorschreiben lassen, was sie glauben, wie sie die Bibel interpretieren« (65), lassen sie es sich dann von den Entmythologisierern und Entrümplern vorschreiben? Haben sie überhaupt eine freie Wahl, oder fallen sie nur von einem Paradigma ins andere? Bei B. bildet die anvisierte Alternative im Grunde ein spiritueller Mo­nismus, ausgedrückt im »Gefühl einer großen Einheit« (131): »Ha­ben wir keine Scheu, uns auf den Weg der Mystik, der Meditation, der Suche nach der großen Einheit zu machen. Das wird Aufgabe von Kirchen und Religionsgemeinschaften sein, und wenn sie das nicht erkennen, werden sie dem Vergessen anheimfallen« (134).
Es ist exakt das Paradigma des Monismus, das immer wieder neu mit dem Untergang und der Veraltung anderer Paradigmen und ihrer Inhalte und Träger droht – und das geradezu zwangsläufig fordern muss, alle christlich-kirchlichen Inhalte umzuinterpretieren. Theologie und Kirche sind durch die heute so zahlreich gewordenen Monismus-Propheten herausgefordert, Stellung zu beziehen und sich gegen die Vereinnahmung durch ein anders gelagertes Spiritualitätskonzept, wie es auch B.s Buch vertritt, zu verwahren.