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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

107 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Kustermann, Abraham Peter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Revision der Theologie –­ Reform der Kirche. Die Bedeutung des Tübinger Theologen Johann Sebastian Drey (1777–1853) in Geschichte und Gegenwart.

Verlag:

Würzburg. Echter 1994. 351 S. 8o. Kart. DM 78,­. ISBN 3-429-01573-1.

Rezensent:

Kerstin Voigt

Der vorliegende Band dokumentiert den wissenschaftlichen Ertrag eines international besetzten wissenschaftlichen Symposiums an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, das dem Leben und Werk von Johann Sebastian Drey gewidmet war. Den äußeren Anlaß dafür bildete der 175. Geburtstag der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ebrhard-Karls-Universität Tübingen. Dieses Jubiläum führte im März 1992 viele der Forscher zusammen, die sich mit Drey als einem der Gründer dieser Fakultät beschäftigt hatten. Die Vielfalt der Beiträge dieses Sammelbandes bietet Interessierten einen guten Einstieg und gibt Kennern einen gelungenen Querschnitt durch die gegenwärtige Drey-Forschung mit Auskünften im Detail.

Drey war bemüht um eine Theologie, die sich durch Wissenschaftlichkeit, Kirchlichkeit und Praxisbezug auszeichnete. In seinem Grußwort (15-17) beschreibt M. Theobald drei Grundzüge des Dreyschen Denkens, die die Anziehungskraft seines Werkes heute ausmachen: kritische Zeitgenossenschaft, kirchliche Verantwortung besonders im Blick auf die "ecclesia semper reformanda" und seine Offenheit als Systematiker im Blick auf den Menschen in seiner Verletzlichkeit.

Für S. Schultes (Grußwort, 18-21) ist Drey die Personifikation dessen, was mit dem Begriff (katholische) Tübinger Schule in die Kirchengeschichte eingegangen ist.

Der am 17. Oktober 1777 in dem zur Pfarrei Röhlingen gehörenden Ort Killingen geborene und in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Drey studierte in Augsburg Theologie, wurde 1801 zum Priester geweiht und blieb dann 5 Jahre lang als Vikar in Röhlingen. Bis zu seiner Ernennung zum Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der 1812 neu gegründeten katholischen Landesuniversität in Ellwangen war Drey Professor am Lyzeum in Rottweil. 1817 siedelte er mit der Universität nach Tübingen über, lehrte dort bis zu seiner Emeritierung 1846 und blieb dort bis zu seinem Tod 1853 wohnhaft.

Nachdem Drey fast 100 Jahre lang kein Forschungsthema war, begann man in den 30er Jahren, u.a. wohl aus dem Gefühl einer gewissen Vergleichbarkeit der Situationen heraus wieder, sich seinem Werk zuzuwenden. (Wesentliche Forschungsbeiträge nennt der Hg., 27 f., Anm. 8 u. 9) In der evangelischen Theologie ist Dreys Leben und Werk nur marginal erwähnt worden. K. weist in seinem einführenden Beitrag (23-45) darauf hin, daß man Dreys theologisches Programm und Lebensthema bereits in seiner ersten Veröffentlichung aus dem Jahre 1812 liest. Es heißt: "Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie" (vgl. dazu bes. den Aufsatz von A. v. Harskamp, 60 ff.). Drey diagnostiziert die "Gebrechen" der Theologie und Kirche seiner Zeit. "Sein Lebenswerk im ganzen, seine Entschlossenheit zur Revision und sein Beitrag zur Reform, galt ihrer Therapie." (24)

Die vielfältigen Beiträge des Sammelbandes sind drei großen Themenkreisen zugeordnet. Themenkreis 1: ’Revision’ und ’Reform’ (23-184) umfaßt zwei Unterabteilungen. Die erste geht auf die Anstöße, Bedingungen und Konstellationen ein, die Dreys Denken bestimmen (Beiträge von R. Reinhardt, A. v. Harskamp, H. Wolf). Die Beiträge der zweiten Unterabteilung von P. Schäfer, J. E. Thiel, N. Schreurs, J. Rief, R. Rieger und E. Klinger beschreiben Einflüsse, Wechselbeziehungen und Inspirationen ­ die mehr subjektive Seite, Dreys Beziehungen also, z.B. zu Schleiermacher, Möhler, Hirscher und Staudenmaier.

Themenkreis 2 (185-228 mit Aufsätzen von B. E. Hinze und J. Rief) gilt übergreifenden Fragen der Hermeneutik und Systemtheorie des Dreyschen Denksystems.

Die Beiträge des 3. Themenkreises (229-308) von E. Tiefensee, E. Klinger, F.-J. Niemann, R. Lachner und M. Seckler sondieren fachliche Topoi Dreys, die in der Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie von besonderem Interesse sind.

Die vom Hg. bereits vorweg skizzierten Skopoi der einzelnen Aufsätze (vgl. 34-37) zeigen Vielfalt und Konturen der gegenwärtigen Drey-Forschung. Darüber geraten aber die Punkte nicht in Vergessenheit, die bisher noch unbearbeitet geblieben sind (vgl. 38-41). So ist die Sichtung der Quellen bei weitem noch nicht abgeschlossen, Dreys persönliche Bibliothek nicht rekonstruiert, seine Rottweiler Professur für Mathematik, Physik, Philosophiegeschichte und philosophische Propädeutik nicht fachlich gewürdigt. Auch seine Rolle in der Geschichte der katholischen Dogmengeschichtsschreibung ist nicht ausreichend untersucht und ein Lebensbild von ihm liegt noch immer nicht vor. Leider ist im Anhang des vorliegenden Sammelbandes zwar eine neue Bibliographie, aber kein ­ wenigstens tabellarischer ­ Lebenslauf Dreys beigefügt.

Alle Beiträge dieses Sammelbandes bieten weit mehr als Vermächtnispflege. Sie dokumentieren Dreys Eintreten für die Legitimität von Kritik, Reform und Lehrentwicklung und zeigen, "Auf welch gute Gedanken das Nachdenken über Drey die Theologie heute bringen kann" (44). So regen sie sowohl durch ihre historische Reflexion als auch gedankliche Abstraktion zum weiteren Nachdenken an ­ auch protestantische Theologen.