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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

830–832

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Van Dam, Raymond

Titel/Untertitel:

Remembering Constantine at the Mil-vian Bridge.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2011. XIV, 296 S. m. Ktn. 22,8 x 15,2 cm. Geb. £ 55,00. ISBN 978-1-107-09643-1.

Rezensent:

Johannes Wienand

Raymond Van Dams neues Konstantinbuch zielt darauf ab, den zentralen literarischen Zeugnissen zur konstantinischen Wende in ihren je eigenen diskursiven Biotopen nachzugehen und die Sinnschöpfungsprozesse zu erschließen, auf denen die heute in den maßgeblichen Quellen greifbaren Geschichtsbilder zur conversio Constantini basieren. Seine Studie nennt der Vf. folgerichtig »a book about memories of Constantine« (IX).
Der Vf. geht dabei von der Überlegung aus, ein master narrative der konstantinischen Wende, d. h. ein widerspruchsfreies Bild des tatsächlichen Ereignisverlaufs, lasse sich aus den erhaltenen Zeugnissen nicht schlüssig destillieren. Stattdessen fokussiert der Vf. auf die Differenzen und Spezifika der unterschiedlichen Darstellungen des ersten christlichen Kaisers und ihrer jeweiligen Aussageabsicht und grenzt sein Vorgehen damit gezielt von biographisch orientierten Ansätzen der Konstantinforschung ab. Dies kann grundsätzlich begrüßt werden, denn mit Verweis auf kaiserliche »Selbstzeugnisse« unklaren Erkenntniswerts und auf die in ihrer Aussagekraft hinsichtlich der kaiserlichen Motive nicht we­niger zweifelhaften Zuschreibungen von Panegyrikern und christlichen Autoren wird das historische Agens noch immer gerne auf die Person des Kaisers verkürzt und die Frage der konstantinischen Wende auf eine Nacht der Entscheidung reduziert. Dass diesen Zeugnissen je eigene Prinzipien der Geschichtskonstruktion zu­grunde liegen, wird dabei allzu oft übersehen. Da das Ringen um Diskurshoheit in Sachen conversio Constantini vor allem dort virulent ist, wo der Kaiser selbst und sein Umfeld zumindest potenziell Einfluss auf die Ausbildung von Herrscherbildern nehmen konnten, sind die Überlegungen des Vf.s zu den Divergenzen der fraglichen Geschichtsbilder in konstantinischer Zeit von besonderer Bedeutung, während der Vorlauf, den das Buch in den ersten drei Kapiteln bei neuzeitlichen, byzantinischen, mittelalterlichen und auch spätantiken Repräsentationen der nachkonstantinischen Zeit nimmt, für die Konstantinforschung insgesamt von geringerem Interesse sein dürfte. Besonders klar lässt sich die Methode des Vf.s in seiner Auseinandersetzung mit den Schriften des Bischofs Eusebius von Caesarea, dem Werk des Dichters Optatian sowie dem diskursiven Umfeld einzelner materieller Zeugnisse und der konstantinischen Panegyriken nachvollziehen. Die entsprechenden Argumentationen sollen im Folgenden knapp skizziert und eingeordnet werden, um den konkreten Nutzen der Studie für die Konstantinforschung beurteilen zu können.
a) Eusebius: Um zu verstehen, welche narrativen Logiken den Konstantinbildern Eusebs zugrunde liegen, bemüht sich der Vf. zunächst, die Genese der fraglichen Texte und die jeweilige Aussageabsicht und Erzählstrategie nachzuvollziehen. Mit besonderer Detailgenauigkeit rekonstruiert der Vf. in den unterschiedlichen Editionen der Historia Ecclesiastica die Revisionen, die Euseb seiner Darstellung der conversio Constantini unterzog. Die inhaltlichen Veränderungen führt der Vf. auf den sich wandelnden Kenntnisstand Eusebs zurück, der seine Rekonstruktion zudem in biblische Erzählmuster eingebettet und auf seine theologischen Bedürfnisse hin zugeschnitten habe. An der Rekonstruktion des Vf.s überzeugt zunächst die Ansicht, der Bischof habe eigene, jeweils spezifische und von der konstantinischen Selbstdarstellung in weiten Teilen unabhängige Aussageabsichten verfolgt und nicht lediglich »den Dienst eines Friseurs der theologischen Perücke des Kaisers« (F. Overbeck) verrichtet. Im Detail allerdings drängen sich Vorbehalte auf. So bleibt etwa die wichtige Erkenntnis W. Ecks unberücksichtigt, dass Konstantin bereits vor Beginn des Italienfeldzugs Kontakt zu gallischen Bischöfen gehabt haben muss. Vor diesem Hintergrund liegt nahe, dass Euseb von der spektakulären religionspolitischen Wende über christliche Kreise erfahren konnte, die über das neue Selbstverständnis des Kaisers gut informiert waren. Die Ansicht, der Bischof von Caesarea habe sich seine Deutung zunächst gänzlich eigenständig auf der Grundlage verlorener Darstellungen religiös neutralen oder gar paganen Charakters zusam­menreimen müssen, die sich (so die Vermutung des Vf.s) zur conversio gar nicht geäußert haben, vermag dagegen nicht zu überzeugen. Die Bestimmung der Agenda des Bischofs ließe sich zudem noch weiter vertiefen, wenn auch die Frage nach den Adressaten der doch sehr unterschiedlichen Schriften Eusebs (darunter immerhin eine vor dem Kaiser gehaltene panegyrische Rede) diskutiert würde – ein nicht unerheblicher Aspekt historischer Diskursanalyse, der in der Studie insgesamt weitgehend außer Acht gelassen wird.
b) Materielle Zeugnisse und Panegyrik: Auch mit Blick auf die aus den Jahren 313 und 321 überlieferten Panegyriken und die zentralen materiellen Zeugnisse zur konstantinischen Wende bemüht sich der Vf. auf ähnliche Weise, dem Kaiser selbst und seinem unmittelbaren Umfeld eine eher reaktive Rolle zuzuschreiben. Den Kenntnisstand des Trierer Panegyrikers von 313 etwa führt der Vf. auf Augenzeugenberichte von Soldaten und auf »other early accounts« (103) zurück. Dagegen vermeidet er es geflissentlich, mögliche Einflüsse des Hofes auch nur in Betracht zu ziehen. Mit dem aktuellen Forschungsstand zur römischen Herrscherpanegyrik lässt sich dies kaum vereinbaren. Zwar wurde das ältere Verständnis der Panegyrik als Medium höfischer Propaganda (»Sprachrohr des Kaisers«) längst zu Recht verworfen: Panegyriker verfolgten in der Tat ihre eigene Agenda, doch konnten die Redner mit ihren hervorragenden Verbindungen zum Hof die nötigen Informationen auch mehr oder weniger direkt aus den Schaltzentralen der Macht beziehen. Konstantin also lediglich als Rezipient dezentral kursierender Herrscherbilder zu verstehen, schießt übers Ziel hinaus. Ähnliches gilt auch für die materiellen Zeugnisse, etwa den 315 eingeweihten Konstantinsbogen mit seinem reichhaltigen Bildprogramm, bei dem der Vf. ebenfalls jeglichen Einfluss des Hofes ausschließen möchte. Eine umfassendere Berücksichtigung der von der kaiserlichen Administration mit vergleichbaren Bild- und Textprogrammen versehenen Münzprägung, der hier nur eine randständige Bedeutung zukommt, könnte dazu beitragen, ein ausgewogeneres Bild der Mechanik römischer Herrschaftsrepräsentation zu zeichnen.
c) Optatian: Dem Vf. kommt das Verdienst zu, erstmals in einer Monographie zu Konstantin dem lateinischen Poeten Publiblius Optatianus Porfyrius ein eigenes, wenn auch kurzes, Unterkapitel zu widmen (158–170). Im Werk Optatians sind zwei Briefe (ein Schreiben von Optatian an Konstantin und eines vom Kaiser an den Dichter) sowie 31 carmina überliefert, von denen die meisten in den Jahren 317 bis 326 entstanden sind und als Figurengedichte realisiert wurden, die Optatian dem Kaiser anlässlich des 20. Herrschaftsjubiläums als Geschenk übermitteln ließ. Der Vf. konzentriert sich in seiner Auseinandersetzung mit dem Werk Optatians auf einen Vergleich religiöser Referenzen in den beiden Briefen einerseits, die wohl kurz nach der Schlacht an der Milvischen Brücke verfasst wurden, und den carmina des panegyrischen Gedichtcorpus andererseits, von denen die meisten rund eine Dekade später entstanden sind. Während sich in den Briefen keine Anzeichen der Christianisierung finden und der Vf. die bei Optatian ubiquitären Verweise auf Apoll und die Musen insgesamt als »cultural icons and not as deities for religious veneration« (161 f.) versteht, kommt christlichen Aspekten in den späteren carmina eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Für den Vf. ist Optatian allerdings ohne nähere Begründung auch zum Zeitpunkt der Erstellung des Corpus noch immer »a pagan poet« (169), und so kann der Vf. die Einbindung christlicher Sinngehalte nur als unwillig vollzogene Konzessionen an den Zeitgeist interpretieren. Da die höfische Sphäre in konstantinischer Zeit eine trennscharfe Dichotomie zwischen »pagan« und »christlich« jedoch nicht zulässt, muss der religiöse Charakter der Gedichte einer überzeugenderen Lesart zugeführt werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich die poetische Verschmelzung christlicher und traditioneller Referenzen im Werk Optatians weitestgehend mit der integrativen Stoßrichtung der konstantinischen Religionspolitik dieser Jahre deckt. Die Vorstellung von Optatian als einem paganen Poeten, der sich widerwillig den höfischen Vorgaben unterwerfen musste, überzeugt schon deshalb nicht, da die christlichen Verweise im Werk Optatians deutlicher ausfallen als etwa in der Tricennalienrede Eusebs und da auch weiterhin eine gänzlich traditionell gestaltete Herrscherpanegyrik möglich war. Optatian pries sich vielmehr als Verkünder des konstantinischen aureum saeculum an und stellte seine Kunst bewusst in den Dienst einer bis in die 320er Jahre hinein vom Umfeld des Kaisers propagierten Vision eines römischen Imperiums, dessen Bewohner unter dem Schirm einer integrativen Gesamtreligion konstantinischer Couleur zusammenfinden sollten. Da der Vf. das Verhältnis der carmina zur höfischen Kultur nur in Ansätzen durchdringt und für seine Deutung auch den jeweiligen Entstehungszeitraum der einzelnen, teils relativ genau datierbaren carmina nicht weiter berücksichtigt, bleibt seine Analyse der im Werk Optatians überlieferten epistulae und carmina insgesamt hinter den Erkenntnismöglichkeiten zurück, die diese außergewöhnlichen Zeugnisse bieten. Wenn seine Ausführungen eine weitere Beschäftigung der Konstantinforschung mit diesen wertvollen Zeugnissen anregen, hat der Vf. jedoch schon viel erreicht.
Die Grundüberlegung des Vf.s, der Prozess des »making of a Chris­tian emperor« (75) sei als Unterfangen zu verstehen, an dem ganz unterschiedliche Akteure mit je eigenen Voraussetzungen, Absichten und Handlungsspielräumen mitgewirkt haben, überzeugt. Von einer ausgewogeneren Balance zwischen der Gewichtung des kaiserlichen Einflusses einerseits und von der Zentrale unabhängiger Faktoren andererseits könnte die Analyse indes noch profitieren. Denn in der Lesart des Vf.s scheint ausgerechnet ein Akteur keine klare Agenda gehabt zu haben, der letztlich doch eine zentrale Rolle spielt: der Kaiser selbst. Den wenigen Andeutungen des Vf.s in diese Richtung lässt sich immerhin entnehmen, dass es Konstantin – zumindest anfangs – primär um die Etablierung und Vermittlung einer militärisch konnotierten Herrscherimago gegangen sei, so dass auf der Ebene der kaiserlichen Selbstdarstellung christliche Aussageintentionen auf dieses Ziel hin ausgerichtet gewesen seien. Die Frage, welchen Vorteil Konstantin in einer Integration christlicher Deutungsmuster in die monarchische Repräsentation sah und wie er die Verbindung von Monarchie und Christentum zu gestalten suchte, bleibt dennoch relevant – speziell vor dem Hin­tergrund, dass sich Christen in den vorausgegangenen drei Jahrhunderten offenkundig nicht als die ergebensten Unterstützer des römischen Kaisertums profiliert hatten und ihre Philosophie auch wenig Ansatzpunkte für eine positive Bewertung der militärischen Rolle des Kaisers bot. Dieses Problem findet keine weitere Beachtung und bleibt damit als unüberbrückte Leerstelle in der Beweisführung bestehen. Erst dadurch ergeben sich aber die argumentativen Freiräume, die der Vf. für seine Rekonzeptionalisierung der kaiserlichen Selbstdarstellung benötigt. Denn die Vorstellung von der Mechanik monarchischer Repräsentation, die der Vf. entwi-ckelt, ist der eigentlich innovative, zugleich aber auch der eigentlich problematische Aspekt der Studie: F. Millars These vom reaktiven Charakter römischer Herrschaft findet sich – vereinfacht gesprochen – in dieser Studie als These vom reaktiven Charakter der konstantinischen Selbstdarstellung wieder. Die Ausgangsüberlegung ist attraktiv, die Schlussfolgerungen vermögen in letzter Konsequenz jedoch nur bedingt zu überzeugen.