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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

815–816

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hahn, Ferdinand, u. Hans Klein

Titel/Untertitel:

Die frühchristliche Prophetie. Ihre Voraussetzungen, ihre Anfänge und ihre Entwicklung bis zum Montanismus. Eine Einführung.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2011. XVII, 221 S. 20,5 x 12,5 cm = Biblisch-Theologische Studien, 116. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-7887-2484-9.

Rezensent:

Heidrun Mader

Ferdinand Hahn und Hans Klein zeigen die starke Präsenz und Bedeutung der Prophetie in der Zeit des frühen Christentums von Jesu Lebzeiten bis hin zur montanistischen Krise systematisch auf. Die Monographie schließt damit eine Lücke in der deutschsprachigen Fachliteratur, der es bisher an einem übersichtlichen Werk zur frühchristlichen Prophetie gefehlt hat. Die wichtige Rolle, die die frühchristliche Prophetie für die Gemeinden und damit auch für die Theologiebildung spielte, wird gleich zu Beginn des Buches klar herausgestellt (1): Prophetie zur Zeit des Neuen Testaments sei eine Erscheinung der jeweiligen Gegenwart. Prophetie sei lebendige, geisterfüllte Verkündigung im Horizont des endzeitlichen Handelns Gottes. Prophetie sei geradezu ein kennzeichnendes Phänomen der christlichen Gemeinschaft und ihres Auftrags.
Die Studie geht auf Lehrveranstaltungen zurück, die der bekannte emeritierte Neutestamentler Ferdinand Hahn Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre an der Universität in München hielt. Sein ebenfalls emeritierter Kollege an der Evangelischen-Theologischen Fakultät der Universität Sibiu/Hermannstadt (Rumänien) Hans Klein ergänzte auf Hahns Bitte hin das Veranstaltungsmanuskript zu diesem Buch mit dem Anspruch, es auf den heutigen Stand der Forschung zu erweitern. Die Bearbeitungen Kleins lassen sich durch ein Nachweisverzeichnis im Anhang präzise nachvollziehen.
Den größten Raum in der Darstellung nimmt die Prophetie im Neuen Testament ein. Vorangestellt ist der alttestamentliche und frühjüdische Hintergrund der frühchristlichen Prophetie. Dem folgen eine Aufzählung der Prophetie bei den Apostolischen Vätern und bei Justin sowie ein Durchgang durch die apokryphen Schriften prophetischen Charakters. Den Abschluss der Darstellung bildet der Montanismus. Im Schlusskapitel lassen sich Hahn/Klein von dem Befund, dass der prophetische Geist im frühen Christentum und in der gesamten Geschichte der Kirche immer wieder lebendig geworden ist, zur Frage locken, was die Prophetie im Sinne des Neuen Testaments für unsere eigene Gegenwart bedeutet.
Die Studie geht mit enzyklopädischer Genauigkeit vor. Das zeigt sich bereits an den Vorüberlegungen (I). Hier werden Weichen gestellt, die Voraussetzung für eine differenzierte Wahrnehmung der Prophetie sind: Erstens wird durch eine doppelte Herangehensweise durch die Quellen (phänomenologisch und sprachgeschichtlich) eine komplexe Erfassung der frühchristlichen Prophetie sichergestellt. Zweitens wird die Begrifflichkeit des Phänomens der Prophetie einzeln für den deutschen, griechischen und hebräischen Sprachgebrauch geklärt. Drittens werden schon hier die religionsphänomenologisch verschiedenartigen Ausprägungen der Prophetie benannt (§ 1). Als Voraussetzungen für die frühchristliche Prophetie (II) werden die alttestamentliche (§ 3) und frühjüdische Prophetie (§ 4) besprochen. Die heidnische Prophetie (schöner wäre hier m. E. der Begriff »pagan« statt »heidnisch«) hat hingegen nur in den Vorüberlegungen (I § 2.1) ihren Platz gefunden. Nach David Aunes prägender Monographie Prophecy in Early Christian­ity and the Ancient Mediterranean World, Grand Rapids 1983, wäre hier m. E. eine deutlichere Balance von jüdischem und paganem Hintergrund christlicher Prophetie zu erwarten. Die alttestamentliche Prophetie (II § 3) wird knapp dargestellt. Für die frühjüdische Prophetie (II § 4) wird die Spannweite gut ausgelotet. Der natür­liche Schwerpunkt der Studie liegt auf dem umfangreichen Kapitel III, Prophetie im Neuen Testament. Das Kapitel ist klassisch aufgebaut. Sehr hilfreich ist die Zusammenstellung zur Rezeption und Weiterführung der alttestamentlich-frühjüdischen Prophetie (§ 7). Die Kapitel zur Prophetie bei den Apostolischen Vätern und bei Justin (IV) und zu den Apokryphen Schriften prophetischen Charakters (V) bieten eine breite Übersicht. Zusätzlich zu den Genannten wären Athenagoras, Theophilus von Antiochien und die Oden Salomos für die frühchristliche Prophetie von Interesse gewesen. Der Montanismus (VI) wird trotz der Kürze der Darstellung differenziert behandelt. Die Phaseneinteilung, die durch die Kapitelgliederung Die Frühzeit des Montanismus (§ 19) und Der spätere Montanismus (§ 20) vorgenommen wird, sollte erklärt werden. An einigen markanten Stellen bleibt der Informationsstand in Bezug auf den Mon­-tanismus jedoch hinter dem aktuellen Forschungsstand zurück: Die umfangreiche montanistische Inschriftensammlung Tabbernee, William: Montanist Inscriptions and Testimonia: Epigra­phic Sources Illustrating the History of Montanism, North American Patristic Society Monograph Series 16, Macon 1997, bleibt leider unerwähnt. Die Ergebnisse des Surveys, mit denen Pepouza lokalisiert werden konnte, in Peter Lampe/William Tabbernee: Pepouza and Tymion: The Discovery and Archeological Exploration of a Lost An­cient City and an Imperial Estate, Berlin/New York 2008, scheinen der Darstellung leider unbekannt zu sein.
Der tendenziell enzyklopädische Stil des Buches macht es zu einem übersichtlichen und geeigneten Nachschlagewerk zur frühchristlichen Prophetie. Doch tritt diese Arbeit in keinen direkten Diskurs mit ihren Vorgängern ein, sondern bleibt in erster Linie als darstellende Studie für sich stehen. Die äußerst stark gegliederte Präsentationsform des Themas dient auf der einen Seite der Übersichtlichkeit, fördert aber auf der anderen Seite nicht den Lesefluss. Es wäre erfreulich, wenn diese Studie dazu beiträgt, die frühchristliche Prophetie stärker in den Blickpunkt der neutes­tamentlichen Forschung zu rücken. Für solche Forschungswege bietet sie einen äußerst hilfreichen Ausgangspunkt.