Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

808–810

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Saur, Markus

Titel/Untertitel:

Der Tyroszyklus des Ezechielbuches.

Verlag:

Berlin/ New York: de Gruyter 2008. XII, 368 S. 23,0 x 15,5 cm = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 386. Lw. EUR 94,95. ISBN 978-3-11-020529-9.

Rezensent:

Herbert Niehr

Die der Theologischen Fakultät der Universität Basel vorgelegte Habilitationsschrift von 2007 nimmt sich des Tyroszyklus Ez 26–28 unter diversen Fragestellungen an. Nach einer Einführung in das Thema untersucht Markus Saur den Text des Tyroszyklus (3–28), wendet sich sodann der literarischen Gestalt des Zyklus mit einer synchronen und diachronen sowie einer formgeschichtlichen Analyse zu (29–106), um dann in einem weiteren Kapitel den Tyroszyklus und die tyrische Kultur zu diskutieren (107–251). Im Anschluss daran erfolgt der Blick auf Tyros im Alten Testament (252–314), um mit einer Analyse des theologischen Profils des Tyroszyklus’ (315–336) die Untersuchungen abzuschließen.
Diese detaillierte monographische Untersuchung von Ez 26–28 bietet eine Fülle wichtiger Einsichten, wird allerdings in ihrer Relevanz durch einige Desiderate eingeschränkt.
Positiv sind die eingehenden Analysen des Textkomplexes Ez 26–28 zu bewerten, insbesondere unter den Aspekten von Synchronie und Diachronie sowie zur Formgeschichte des Zyklus. Als Ergebnis der literaturwissenschaftlichen Analyse ist festzuhalten, dass sich der Tyroszyklus einer kreativen Weiterarbeit am Ezechielbuch verdankt (104–106). Des Weiteren sind die Untersuchungen aller Tyros-Stellen im Alten Testament mit der Diskussion des wechselnden Images der Stadt wichtig (252–314). Ebenfalls für die weitere Forschung relevant ist das lange Kapitel über die Geschichte von Tyros (107–181).
Leider wird dieser positive Eindruck dadurch getrübt, dass die Quellen der Spätbronze- und Eisenzeit zum Teil nicht adäquat ausgewertet werden. So fehlt die für die Beziehungen zwischen Ugarit und Tyros bedeutsame Korrespondenz, die den Frevel der Kaufleute von Ugarit im Tempel des Wettergottes von Tyros zum Thema hat (vgl. dazu zuletzt D. Schwemer, TUAT.NF 3, Gütersloh 2006, 261–264). Eigenartig mutet auch das Heranziehen von H. Schmökel, Geschichte des Alten Vorderasien, Leiden 1957, als Verweis auf die Geschichte Ugarits im 13. Jh. v. Chr. an (117, Anm. 58). Die neueren Arbeiten von I. Singer, A Political History of Ugarit, in: W. G. E. Watson/N. Wyatt (Hrsg.), Handbook of Ugaritic Studies (HdO 39), Leiden 1999, 603–733, und J. Freu, Histoire Politique du Royaume d’Ugarit, Paris 2006, kennt der Vf. nicht. Dieser Vernachlässigung der Forschung zur Geschichte Ugarits korrespondiert dann auch ein sorgloser Umgang mit den Quellen (117): Eine Tafel IV des Kirta-Epos existiert nicht; gemeint ist vielmehr KTU 1.14 IV, d. h. die vierte Kolumne der ersten Tafel des Epos. Bei der Verarbeitung anderer Quellen des 2. und 1. Jt.s v. Chr. ist auffällig, dass die meis­ten altorientalischen Texte nur nach den gängigen und zum Teil längst veralteten Übersetzungen in ANET und TUAT zitiert werden, während die einschlägigen neueren Bearbeitungen völlig außer Acht bleiben. Dies gilt neben den großen Inschriftensammlungen aus Assyrien und Babylonien z. B. auch für spezielle Editionen wie etwa den Band von H. Tadmor, The Inscriptions of Tiglath-Pilesar III King of Assyria. Critical Edition, with Introductions, Translations, and Commentary, Jerusalem 1994, und S. Parpola/K. Watanabe (Hrsg.), Neo-Assyrian Treaties and Loyality Oaths (SAA II), Helsinki 1988. Für den Umgang mit den Quellen scheint mir auch bezeichnend zu sein, dass auf S. 141 die aramäische Inschrift KAI 201 einem König von Damaskus namens Bir/Bar Hadad zugeschrieben wird, während Anm. 181 auf derselben Seite deutlich belegt, dass der Text nach Nordsyrien gehört und deshalb mit Da­mas­kus nichts zu tun hat.
Kritische Anmerkungen ergeben sich auch in dem Kapitel über die in Ez 27,12–25a genannten Landschaften und Orte. Hierbei fällt auf, dass zum Teil die einschlägige neue Forschungsliteratur fehlt. So hätte man zum Land Tabal (199 f.) unbedingt auf die Arbeit von S. Aro (Tabal. Zur Geschichte und materiellen Kultur des zentralanatolischen Hochplateaus von 1200 bis 600 v. Chr., Helsinki 1998) und zum Land Meschech (200 f.) auf die Monographie von A.-M. Wittke (Mušker und Phryger. Ein Beitrag zur Geschichte Anatoliens vom 12. bis zum 7. Jh. v. Chr. [BTAVO B 99], Wiesbaden 2004) hinweisen müssen. Im Abschnitt über Edom (202) fehlt jeder Hinweis auf die hier tätigen Phönizier und die etwa in Tell el-Kheleife gefundenen phönizischen Inschriften des 5. und 4. Jh.s v. Chr. (vgl. A. Delavault/A. Lemaire, RSF 7, 1979, 1–39, bes. 28–30). Ebenso hätte man auf den von Edom über Kuntilled Agrud nach Gaza verlaufenden Verbindungsweg, der für die Handelskontakte zwischen Edomitern, Phöniziern und Israeliten wichtig war, eingehen müssen. Zu weiteren kritischen Anmerkungen vgl. auch E. Lipi ński, Bibliotheca Orientalis 66, 2009, 326–330, bes. 327 f. Ge­nerell hat man den Eindruck, dass bei der Diskussion der in Ez 27,12–25a genannten Landschaften und Orte (197–212) die dafür relevante Forschung nicht auf ihrem aktuellen Stand referiert ist.
Auch im Hinblick auf die Kultur und Geschichte von Tyros (237–251) ist bedauerlich, dass bedeutende Arbeiten zur Geschichte und Religionsgeschichte von Tyros nicht zur Kenntnis genommen wurden. Ich nenne hier nur den Katalog zur Ausstellung »La Méditerranée des Phéniciens de Tyre à Carthage« des Institut du Monde Arabe, Paris 2007.
Abschließend ist festzuhalten, dass zwar eine wichtige Monographie zum Tyroszyklus des Ezechielbuches vorliegt, einzelne Sachthemen aber, die außerhalb des unmittelbaren exegetischen Horizontes liegen, sowohl quellen- als auch forschungsmäßig eine bessere Bearbeitung verdient gehabt hätten.