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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

801–802

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Siggelkow-Berner, Birke

Titel/Untertitel:

Die jüdischen Feste imBellum Judaicum des Flavius Josephus.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XIII, 441 S. 23,2 x 15,5 cm = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 306. Kart. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-150593-5.

Rezensent:

Dorit Felsch

Birke Siggelkow-Berners Buch ist die für den Druck geringfügig überarbeitete Fassung ihrer Dissertation, die 2009 von der Theologischen Fakultät in Göttingen angenommen und von Prof. Dr. F. Wilk betreut wurde (Zweitgutachter Prof. Dr. R. Feldmeier).
Die Untersuchung widmet sich dem Bellum Judaicum, der ältesten erhaltenen Schrift des jüdischen Historikers Flavius Josephus, in der er die Geschehnisse des jüdisch-römischen Krieges (66–70 n. Chr.) schildert. Zu Beginn seines Werkes nennt Josephus einige jüdische Riten, die er dabei näher behandeln will, darunter an erster Stelle »einige Festbräuche« (Bell 1,26). Er setzt dieses Vorhaben im Bellum Judaicum jedoch nicht explizit um, sondern verschiebt es auf eine später zu verfassende Schrift (Bell 5,237). Dennoch ist die Festthematik im Bellum Judaicum vielfach präsent und zwar »ganz überwiegend als situativer Rahmen für berichtete Geschehnisse in der Ereignissequenz des Geschichtsberichtes« (15). Das Substantiv ἑορτή (»Fest«) bezeichnet im Bellum Judaicum an keiner Stelle ein nichtjüdisches Fest, sondern ist konsequent auf die traditionellen jüdischen Feste bezogen. S.-B. untersucht gründlich die Bedeutung und Funktion der Festnotizen im Kontext der literarischen Gesamtintention des Werkes. Dabei fragt sie danach, »was für das jeweilige Fest charakteristisch ist und wodurch die Feste als Kategorie verbunden sind«, »welche Aspekte der Feste für die jeweils in ihrem Zusammenhang situierten Geschehnisse relevant werden und in welchem Verhältnis diese zur Aussageintention des engeren literarischen Kontextes und des Gesamtwerkes stehen« (18). Im Unterschied zu Arbeiten, die die Festerwähnungen des Josephus vornehmlich als historische Quellen für die Fest­praxis des antiken Judentums auszuwerten versuchen, hebt diese Untersuchung somit auf das literarische Interesse des Josephus ab, der als Autor und Redaktor gezielt geschichtliche Ereignisse mit Notizen über Feste verband, um sie dadurch mit einer bestimmten Deutung zu versehen. Auf den Versuch, die Quellen, die Josephus vorlagen, und seine Redaktionsarbeit im Einzelnen zu rekonstruieren, verzichtet S.-B. bewusst zugunsten einer synchronen Textanalyse, da sie m. E. zu Recht davon ausgeht, dass Josephus die uns vorliegende Schrift als einheitliche und von ihm gewollte Gesamtkomposition schuf.
Auf die Einleitung (1–21) folgt dementsprechend ein Abschnitt, in dem die Entstehungszeit, die Adressatenschaft und die Intention des Bellum Judaicum, über die in der Forschung kein Konsens besteht, diskutiert werden (23–48). Relevant für die Interpretation der Festthematik ist vor allem die Frage, ob Josephus sich in erster Linie an ein jüdisches oder ein nichtjüdisches Publikum richtet. S.-B. hält das Werk für »eine Apologie der Juden gegenüber der nicht-jüdischen Bevölkerung im Römischen Reich« (38) und argumentiert für diese Sicht hauptsächlich mit dem Prolog (Bell 1,1–30), in dem Josephus sich als Repräsentant der Juden nach außen darstelle, der frühere Kriegsberichte korrigieren wolle, die das Geschehen zuungunsten der jüdischen Seite verzerrten, weil sie Rom schmeicheln wollten oder von einem antijüdischen Hass geleitet waren. Zwar schreibe Josephus die Schuld am Krieg vor allem den Gegnern Roms zu, jedoch treffe diese seiner Überzeugung nach nur eine Minderheit jüdischer Kriegstreiber, die vom friedliebenden jüdischen Volk zu unterscheiden sei.
Im Hauptteil des Buches (49–389) untersucht S.-B. alle Vorkommnisse des Lexems ἑορτή einzeln, wobei sie jeweils nach ihrer Stellung im Kontext, ihrer syntaktischen und semantischen Einbindung und ihrem Verhältnis zur Gesamtintention des Bellum Judaicum fragt. Der Durchgang durch die Belegstellen erfolgt in thematischen Blöcken: zunächst das Passafest und das Fest der ungesäuerten Brote, die bei Josephus zu einem Fest verbunden werden (49–184), dann das Wochenfest (185–234), das Laubhüttenfest (235–278), das Fest des Holztragens (279–299) und anschließend nicht spezifizierte Einzelfeste (300–348) und summarische Fest-Erwähnungen (349–368). Zuletzt wird der Sonderfall Bell 4,231 behandelt, wo ἑορτή nicht ein tatsächliches Festgeschehen be­zeichnet, sondern als Vergleichsmoment für ein anderes Ereignis dient (369–389). Die Einzeluntersuchungen sind äußerst detailliert, was allerdings auch zu manchen Redundanzen führt.
Im Schlussteil des Buches (391–403) fasst S.-B. ihre Ergebnisse zusammen. Sie sieht die von ihr angenommene Zielsetzung des Bellum Judaicum durch die Einzelanalysen der Festnotizen bestätigt, welche zeigten, dass Josephus die Festthematik in dieser Schrift konsistent und konsequent für seine Apologie des Judentums gegenüber nichtjüdischen Bürgern des Römischen Reiches funktionalisiere. Spezifische Bräuche und Traditionen der einzelnen Feste erwähne Josephus ausschließlich im Dienste seiner apologetischen Gesamtintention. Die an Festen verorteten Geschehnisse würden durch ihre situative Verknüpfung mit den Festen gedeutet. Die Feste zeichne dabei vor allem aus, dass sie zentraler Bestandteil des jüdischen Kultes sind. Vor allem bei den Wallfahrtsfesten kommt hinzu, dass sie eng auf Jerusalem, den Tempel und die Gottesbeziehung des jüdischen Volkes bezogen sind. Die Feste dienten Josephus als Paradigma gesetzestreuer jüdischer Re­ligiosität.
Die Festnotizen im Bellum Judaicum tragen laut S.-B. durchgehend dazu bei, das Verhältnis zwischen divergierenden jüdischen Personengruppen und Rom bzw. einzelnen Repräsentanten der römischen Herrschaft näher zu bestimmen und ihr Verhalten zu bewerten. Die von Josephus kritisierten antirömischen Aufrührer brächten sich »in Gegensatz zu Bräuchen und Sinngehalt der Feier« (393; dies geschehe zum Beispiel durch unsachgemäßes Opfern am Passa-Mazzotfest in Bell 2,10–13: 175). Sie stünden damit als eine Minderheit im Gegensatz zum jüdischen Volk als Ganzem, das von ihnen eben an der rechtmäßigen Feier der Feste gehindert werde. Die einige Male aufgenommenen heilsgeschichtlichen Züge der Feste (Bell 4,402; 5,99) deuteten das frevelhafte Handeln der jüdischen Aufständischen (und einzelner römischer Akteure) als dem Heil, das am Fest eigentlich erinnernd gefeiert und für die Feiernden aktualisiert wird, diametral entgegenstehend. Da die Aufrührer das Volk unterdrückten und an der rechten Ausübung der Feste hinderten, sei der römische Sieg über die Aufständischen als Teil der Heilsgeschichte Gottes mit dem jüdischen Volk zu verstehen. Insofern könne Josephus sogar den die Zerstörung des Tempels mit sich bringenden römischen Sieg als Fortsetzung des im Exodus begonnenen und z. B. im Passa-Mazzotfest vergegenwärtigten Heils- und Befreiungsgeschehens interpretieren, da er dem gottwidrigen Missbrauch des Kultes durch die Kriegstreiber ein Ende setzte. S.-B. zeigt, dass Josephus so eine gegenseitige positive Be­-zogenheit zwischen jüdischem Volk und Römischem Reich be­gründet: Nichtjüdische Römer sollten sich als mit der jüdischen Religion wesentlich verbunden begreifen, während Juden ihre Exis­tenz als Bürger Roms als gottgewollte Fortsetzung der Heilsgeschichte sehen sollten.
Das Buch schließt mit Literaturverzeichnis, Stellen- und Autorenregister (405–441), ein Sachregister fehlt leider. Insgesamt legt S.-B. eine fundierte Untersuchung der Festthematik im Bellum Judaicum und einen überzeugenden Beitrag zu ihrem Verständnis vor.