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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

794–796

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Goldman, Shalom

Titel/Untertitel:

Zeal for Zion. Christians, Jews, and the Idea of the Promised Land.

Verlag:

Chapel Hill: The University of North Caro­-lina Press (Eurospan) 2009. XI, 367 S. m. Abb. 23,5 x 15,5 cm. Geb. £ 30,50. ISBN 978-0-8078-3344-5.

Rezensent:

Matthias Morgenstern

Der christliche Beitrag zur Entstehung und Entwicklung der zionis­tischen Bewegung ist in das Blickfeld jüdischer Historiographen geraten – sei es, um aus postzionistischer Perspektive »den Westen« an seine geschichtliche Verantwortung für die Lösung des Nahostkonfliktes zu erinnern (der Amsterdamer Historiker Daniel C. Brecher mit seiner jüngst erschienenen Studie »Der David. Der Westen und sein Traum von Israel«, Köln 2011, lässt sich so interpretieren), sei es, dass wie im hier zu besprechenden etwas weniger ambitionierten Band von der »offiziellen« Geschichtsschreibung in Israel bisher vernachlässigte Aspekte beleuchtet werden. Das Buch von Shalom Goldman vereinigt – Redundanzen weisen darauf hin– in eher lockerer Zusammenstellung sechs Kapitel mit unterschiedlichen Beispielen der Anteilnahme und Unterstützung von Nichtjuden in der Geschichte der jüdischen Nationalbewegung, die im Jahre 1948 zur Gründung des Staates Israel führte.
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit Naphtali Herz Imber (1856–1909), dem Dichter der späteren israelischen Nationalhymne Hatikwah. G. macht deutlich, dass dessen Lebensweg ohne seine Begegnung mit dem britischen Journalisten, Reiseschriftsteller und Di­plomaten Laurence Oliphant (1829–1888) nicht zu verstehen sei; andererseits passt bereits dieses erste Beispiel nicht recht zum Titel und Programm des Buches, da Oliphant nach seinem Selbstzeugnis (60) zum Zeitpunkt der Begegnung mit Imber den christlichen Glauben längst aufgegeben hatte. Die Rezeptionsgeschichte des berühmtesten Textes Imbers, der wohl die »jüdische Seele«, nicht aber Gott erwähnt und die Rückkehr nach Zion als Ergebnis menschlicher Initiative darstellt, ist aber noch in anderer Hinsicht bezeichnend für die verwickelten jüdisch-christlichen Verhältnisse, um die es G. geht. Obwohl das Lied seit dem Basler Kongress auf allen zionis­tischen Kongressen gesungen wurde und seit 1934 als Hymne der zionistischen Bewegung galt, wurde es aufgrund von orthodoxen Widerständen erst 2004 offiziell zur Nationalhymne des jüdischen Staates erklärt (86); unter den nordamerikanischen Evangelikalen ist die Hymne demgegenüber unumstritten und hat geradezu litur­-gischen Status.
G. erwähnt auch, dass das Lied zusammen mit anderen populären israelischen Liedern (»Jerusalem aus Gold«) zum Repertoire des »Mormon Tabernacle Choir« gehöre; dies sei vor dem Hintergrund der besonderen Beziehung der »Kirche der Heiligen der letzten Tage« zum Zionismus zu verstehen: Bereits 1841 hatte Joseph Smith, der Prophet und Gründer der Sekte, einen seiner Jünger auf Pilgerschaft nach Jerusalem geschickt, um dort die Stadt zu segnen und für die Heimkehr der Juden nach Zion zu beten (44).
Nicht weniger interessant ist die folgende Studie, die Theodor Herzl und seine christlichen Bündnispartner behandelt; genannt werden der am Ende des 19. Jh.s an der britischen Botschaft in Wien beschäftigte anglikanische Geistliche William Hechler, der Herzl eine Audienz beim Großherzog von Baden und auf diesem Weg auch Kontakte mit dessen Neffen, Kaiser Wilhelm II, vermittelte, und der Budapester Orientalist Arminus Vámbéry (1823–1913), der sich am Hof des Sultans für die zionistische Sache einsetzte. Während Hechler alttestamentliche Prophezeiungen erfüllt sehen und Werkzeug in Gottes Geschichtsplan sein wollte, lässt sich der ungarische Gelehrte, der als Jude geboren worden war und zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Konversionen, unter anderem zum Islam, hinter sich hatte, aber wiederum, wie G. selbst schreibt, »only in a limited sense« (117) als Christ bezeichnen; weder hier noch an anderer Stelle wird übrigens definiert, was genauer als »christlicher Einfluss« zu bezeichnen wäre. Nach Prüfung der Zitate aufgrund des Literaturverzeichnisses befällt den Leser in diesem Kapitel noch der Verdacht, es könnte heute möglich sein, über den Gründer der zionistischen Bewegung zu schreiben, ohne eine einzige Zeile von ihm gelesen zu haben. Auch einigermaßen sensible Einzelheiten wie eine Erklärung Pius’ X. nach einer Papstaudienz (98: »If you come to Palestine and settle your people there, we want to have Churches and priests ready to baptize all of you«) werden nach den »Diaries« des »Theodore« Herzl zitiert (in der Jerusalemer Straßenbahn liest man als »eng­-lische« Retranskription neuerdings auch »Hertsel«), und wenn beim Großherzog brieflich von der Hoffnung auf die Widerlegung des »Higher Criticism« die Rede ist und es erläuternd heißt »the Hebrew Bible (!) was composed of four distinct documents, each from a dif­-ferent historical period« (113), würde man schon gern wissen, was im Original eigentlich stand. Ärgerlich ist in diesem Kapitel auch die Beurteilung der antizionistischen Erklärung des orthodoxen Rabbinerverbandes vom Juni 1898 (90 f.); in dieser ging es, wie die Forschung längst geklärt hat, weniger um theologische Differenzen mit dem Zionismus (Geltendmachen des eschatologischen Vorbehalts des Wartens auf den Messias) als um religionsgesetzliche Vorbehalte (die Zionisten verhielten sich nicht torakonform). Schließlich hätte das Lektorat bei den biographischen Angaben zu Vámbéry und seiner Familie (119: »his father was from Pressburg in Hungary […] Chaim was born near Bratislava in Slovakia«) der geschichtlichen Südost­europageographie noch einmal auf den Grund gehen können.
Das folgende Kapitel behandelt die christlich-zionistischen Be­ziehungen vom Standpunkt des anglikanischen Geistlichen Herbert Danby (1889–1953) aus, der nicht an der damals wie heute »prozio­nis­tisch« orientierten, innerhalb der Stadtmauern (in der Nähe des Jaffatores) gelegenen anglikanischen Christ Church (»low church«), sondern an der arabisch geprägten Ostjerusalemer St. George’s Cathedral (»high church«) tätig war, dort aber dennoch seine pro­-zionistische Einstellung beibehielt und zum Übersetzer der Misch­na und anderer klassisch-jüdischer Texte wurde. Sein Beispiel ist auch deshalb interessant, weil Danby sich mit dem jüdischen Historiker Joseph Klausner befreundete und auf die Endgestalt von dessen Jesusbuch (hebräisch: 1922, deutsch: 1930) möglicherweise Einfluss nahm. Klausners Jesusbuch, von Danby ins Englische übersetzt, gab dem amerikanischen Reformrabbiner und Zionisten Stephen Wise die Inspiration für seine berühmte »Jesus Speech« am Weihnachtstag des Jahres 1925 (149: »Jesus was a Jew, Hebrew of Hebrews […] He wor­shipped in the synagogue«); religiöse Zionisten witterten daraufhin freilich einen Skandal und forderten Wises Rücktritt von seinen Funktionen in der zionistischen Bewegung.
Auf ein Kapitel zum christlichen Zionismus aus römisch-katholischer Sicht (mit Blick auf die Theologen G. K. Chesterton und Jacques Maritain und die Papstbesuche im Heiligen Land 1964 und 2000) folgen nun Studien zum jüdischen Einfluss auf die Schriftsteller Jorge Luis Borges, Robert Graves und Vladimir Nabokov; diese Abschnitte wirken wie ein Fremdkörper und sind wohl teilweise biographisch motiviert – G. erzählt zu Beginn von seiner persönlichen Begegnung mit Borges. Eine Darstellung der Beziehungen zwischen der radikalzionistischen Siedlerbewegung im Westjordanland und der evangelikalen Bewegung in den USA in der Gegenwart schließt den Band ab. Das Buch ist ein bemerkenswertes Zeitdokument – schon weil es die jüdisch-christliche Geschichte der vergangenen beiden Jahrhunderte nicht als historia lacrimosa darstellt. Zudem liefert es, abgesehen von Anekdoten zum Schmunzeln und den Aperçus seiner Protagonisten, viele interessante Detailinformationen und wirft so Schlaglichter auf ein Geschehen, dessen Gesamtbild freilich erst noch zu erstellen wäre.