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Ausgabe:

Juli/August/2012

Spalte:

793–794

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Fabry, Heinz-Josef, und Ulrich Dahmen[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten. Hrsg. in Verbindung mit G. J. Brooke, J. J. Collins, D. Dimant, T. Elgvin, H. Gzella, H. K. Harrington, Ch. Hempel, A. Lange, F. García Martínez, S. Metso, C. Newsom, L. H. Schiffman, E. M. Schuller, E. J. C. Tigchelaar, J. C. VanderKam. Bd. I: בא־םתח.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2011. XXIV, 1096 Sp. [556 S.]. 25,5 cm x 18,0 cm. Geb. EUR 248,00. ISBN 978-3-17-020429-4.

Rezensent:

Karl-Wilhelm Niebuhr

Anzuzeigen ist der erste Band eines Werkes, das sich in der Titelformulierung und bis in das Layout hinein erkennbar in die Reihe inzwischen klassisch gewordener biblischer Wörterbücher wie des ThWAT und des EWNT stellt. Es geht auf ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes, an den Qumran-Forschungsstellen der Universitäten Bonn und Siegen betriebenes und von den beiden Hauptherausgebern geleitetes Projekt zurück. Die Mitglieder des 15-köpfigen Advisory Board bilden zusammen mit den mehr als 100 Autoren des ersten Bandes einen Gutteil der derzeit aktiven internationalen »Qumran Community«. Die Lemmata zu den Buchstaben א bis ח dürften etwa ein knappes Drittel des Gesamtumfangs ausmachen, so dass wohl mit drei Bänden insgesamt zu rechnen ist – Angaben zum Publikationsplan finden sich weder im vorliegenden Band noch auf der Homepage des Verlages.
Die Ziele des Werkes sind weit gesteckt, wie aus dem einseitigen Vorwort (V) hervorgeht: Es will in erster Linie die theologischen Aussagen der Qumranschriften erheben und die Theologie- und Literaturgeschichte dieses Textkorpus darstellen. Einbezogen sind dabei ausdrücklich »sämtliche in den Höhlen vom Toten Meer ge­fundenen Texte in ihrer Diversität«, also biblische wie außerbi­blische, hebräische wie aramäische (aber offenbar nicht die grie­-chischen, jedenfalls nicht mit eigenen Lemmata), literarische wie un­literarische usw. Aus diesem Korpus soll u. a. das Vokabular weitgehend vollständig aufgenommen, die Fortentwicklung der he­bräischen und aramäischen Sprache analysiert, die Rezeption alttestamentlicher Vorgaben im Frühjudentum dargestellt, der damit aufbereitete Wurzelboden für das Urchristentum und das rabbinische Judentum deutlich gemacht, eine Präzisierung verschiedener theologischer Strömungen im Frühjudentum ermöglicht und gar noch eine »Theologie von Qumran« im Spannungsfeld von Hebräischer Bibel, Neuem Testament und rabbinischem Judentum erhoben werden. Solche Sätze klingen ein wenig wie fachwissenschaftliche Antragsprosa, wenngleich sie völlig zu Recht die geradezu unermessliche Bedeutung des Schriftenkorpus von Qumran für die gegenwärtige Bibelwissenschaft herausstreichen.
Inwieweit alle diese Ziele mit dem »Theologischen Wörterbuch zu den Qumrantexten« erreicht werden, kann erst nach Erscheinen des Gesamtwerkes beurteilt werden. Hier soll einstweilen lediglich auf den ersten Artikel: באָ (19), passenderweise verfasst von Heinz-Josef Fabry, einem der beiden »Väter« des Projekts, kurz eingegangen werden.
Gegliedert ist der Artikel in I. Bedeutung und Verteilung (darin 1. AT, 2. Qumran), II. »Vater« in profaner Verwendung, III. »Vater« in theologischen Kontexten. Nach einem relativ ausführlichen Literaturblock wird zunächst knapp der biblische Sprachgebrauch resümiert und dann genauer die Verteilung der Belege in den Qumrantexten erfasst (einschließlich der fragmentarischen, die keinen Sinnzusammenhang erkennen lassen). Hier tritt die schwierige Textüberlieferung zutage, die bisweilen zu unsicher bleibenden Rekonstruktionen führt. Anschließend werden einige morphologische und syntaktische Besonderheiten notiert.
Die Belege aus Qumran für »Vater« in profaner Verwendung umfassen annähernd doppelt so viel Raum wie die in theologischen Kontexten. Für die Bezeichnung des Familienmitglieds sind zu­nächst die biblischen Väter-Überlieferungen prägend, die in Qumran breit rezipiert werden. Weniger wird die unterweisende Rolle des Vaters artikuliert, gelegentlich aber das Dekaloggebot zur Elternehrung herangezogen. Stärker ausgeprägt ist das Vorkommen in Texten zum Familienrecht (Eherecht, Jungfräulichkeit der Tochter, Inzest), freilich in bemerkenswerter Differenzierung zwischen Texten wie der Sektenregel einerseits, der Damaskusschrift andererseits. Anschließend werden noch Wendungen wie »Vaterhaus« bzw. »Haus der Väter« in qumranspezifischer Verwendung diskutiert, und schließlich geht es um באָ in Ämterbezeichnungen oder Ehrentiteln.
Bei den theologischen Zusammenhängen kommen wiederum zunächst die biblischen Vätergestalten in ihrer Rezeption in den Qumrantexten in den Blick, von Adam über die Erzväter bis hin zum ungehorsamen König auf dem Thron seiner Väter. Eigenes Kolorit hat die Erinnerung an die Väter in den priesterlichen Texten aus Qumran. Die Wendung »Gott der Väter« begegnet in Qumran eher selten. Andererseits: »In der Benennung Gottes als ›Vater‹ unterscheidet sich Qumran nicht vom zeitgenössischen Judentum« (8). Sie wurzelt in dem schon biblisch belegten Vergleich, dass Gott sich gegenüber den Menschen wie ein Vater verhält, und begegnet in zahlreichen Qumrantexten, auch als direkte Anrede Gottes im Gebet, freilich nahezu durchweg in der »präqumra­nischen Literatur«. Am Ende wird ohne genauere zeitliche und geographische Einordnung noch eine Reihe von Belegen aus der frühjüdischen (mit É. Puech »peritestamentlich« genannten) Literatur für Gott als Vater erwähnt, und im letzten Halbsatz des Artikels kommt schließlich auch noch die Vater-Anrede Gottes »im Schemone Esre 5,6 des Judentums und im ›Vater unser‹ (Mt 6,9) des Chris­tentums« zur Sprache (9).
Durchweg arbeitet der Artikel mit Kategorien wie »präqumranisch«, »Importliteratur«, »qumran-eigene Texte«, »S-Literatur«, »D-Literatur«, ohne sie zu erklären oder zu definieren. Das kann natürlich in einem solchen Wörterbuch nicht geschehen (wo sollte es denn?). Die Sprache signalisiert freilich, dass das Werk offenbar für die entsprechend Eingeweihten gedacht ist. Alle einigermaßen philologisch, exegetisch und religionsgeschichtlich gebildeten Theologen und Religionshistoriker werden aber zweifellos mit großer Dankbarkeit auf das Werk zurückgreifen und mit Spannung seine Vollendung erwarten.