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Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

741–742

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Küng, Hans

Titel/Untertitel:

Ist die Kirche noch zu retten?

Verlag:

München: Piper 2011. 264 S. 19,0 x 11,5 cm. Geb. EUR 18,95. ISBN 978-3-492-05457-7.

Rezensent:

Arnd Brummer

Hans Küng kennt seine Kirche. Wer, wenn nicht er? K. weiß, woran der römische Katholizismus krankt. Er weiß es seit 40 Jahren. Und er hat es einmal mehr aufgeschrieben, zusammengefasst in seinem jüngsten Buch mit dem zweiflerisch fragenden Titel.
Dieses Buch, das K. selbst im Vorwort zu einer Art Testament erklärt, ist nicht zufällig vor dem Besuch von Papst Benedikt XVI. in seiner deutschen Heimat erschienen. Denn die Theologen Küng und Ratzinger waren dereinst zu Zeiten des II. Vatikanum Kollegen, Nachbarn und die progressiven Jungstars der Zunft – bevor sich ihre Wege trennten: K. wurde zum wortgewaltigen Renegaten und Weltethiker, Ratzinger zum Haupt der theologischen Rück-wärtsbewegung. Dieser unterschwellige, durchaus filmreife Antagonismus schimmert im aktuellen Buch von K. noch stärker durch als in früheren Texten. Und er ist das eigentlich berührende, das menschlich wie theologisch spannende Element.
In kirchengeschichtlicher und theologischer Hinsicht bietet K. eine Reihe gut bekannter Analysen und Urteile. Er kritisiert das Papsttum und sein Verständnis durch die Amtsträger Johannes Paul II. und Benedikt XVI., er wiederholt den bereits vor Jahr­-z­ehnten präsentierten diagnostischen Befund: rückwärtsgewandt, männerfixiert, eurozentriert, antipartizipatorisch, rechthaberisch und intolerant. Diese Einschätzungen illustriert er mit aktuellen Beispielen. Besonders der noch immer schwärende Skandal des massenhaften Missbrauchs von Kindern durch Priester zeigt nach Auffassung K.s in seiner ganzen Dimension die Schwächen des römisch-hierarchischen Denkens.
Wie die Kirche gerettet werden könnte, versucht K. mit dem Duktus des Arztes zu beschreiben. Er redet von Therapien, ja sogar von einer Zwangstherapie. Letztlich rät er den Katholiken in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu einem umfassenden Widerstand auf der Basis dessen, was Reformbewegungen wie »Wir sind Kirche« fordern: »Diskussionen allein helfen nicht, man muss zeigen, dass man es ernst meint.« Vor allem aber ermutigt K. diejenigen Basisgemeinden, die den Priestermangel und die Miss­achtung wiederverheirateter und konfessionsverschiedener Eheleute kritisieren, einfach zu ignorieren, was Rom und reaktionären Bischöfe verlauten lassen, und zu handeln: »Die Macht der Tat«.
Der Hinweis, dass das Meiste von dem, was K. fordert, in den reformatorischen Kirchen, bei Lutheranern, Altkatholiken oder Me­thodisten längst eingelöst ist, wird vom Autor en passant ge­-liefert. Seine kirchengeschichtlichen und theologischen Passagen lesen sich absolut protestantisch, inklusive seiner Ablehnung der biblischen Fundierung des Papstamtes. Er benennt auch die Tatsache, dass eine wachsende Zahl katholischer Christen die Papstkirche verlässt und sich den Evangelischen zuwendet. Und er versteht es. Als Alternative zum Widerstand mag er aber Konversionen nicht erwägen. Dazu liebt er seine römische Heimat immer noch zu sehr. Wenn man zusammenfassen möchte, was K. – schwankend zwischen Verzweiflung und Sarkasmus – in seiner Kirche hält, wird man aus diesem Buch drei Punkte notieren können: das Papstamt, als weltweit wirksame Leitungsfunktion, die Idee der Weltkirche mit analogen liturgischen Formen und die kulturelle Traditionalität ihrer Formen, Gemeinschaften und Feiertage.
Was seine Therapien angeht, weiß K., dass er selbst es wahrscheinlich nicht mehr erleben wird, dass auch nur kleine Teile davon in Rom positiv zur Kenntnis genommen werden. So richtet er den Blick über die Generationen hinweg in weite Ferne, wenn er die rhetorische Frage beantwortet, ob die Kirche noch zu retten ist. »Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie überleben wird.«
Wer den Lebensweg des Tübinger Theologen schweizerischer Herkunft in diesem Buch noch einmal nacherlebt, wird einerseits anerkennend das Haupt neigen, vor so viel Bereitschaft, an der Aufbruchstimmung des Konzils hartnäckig festzuhalten und alle Na-ckenschläge, inklusive des Versuchs der Existenzvernichtung 1980, einfach wegzustecken. Andererseits wirkt das folgenlose Rechthaben dieses klugen und medienwirksamen Denkers und Formulierers aber auch deprimierend und frustrierend. Beim Lesen so vieler Sätze der Sorte »Das habe ich bereits 1977 geschrieben« schleicht sich das Bild von jenem Grabstein eines Verkehrstoten in den Kopf, auf dem geschrieben stand: »Er hatte Vorfahrt«. K. hat Recht und er hatte es schon vor mehr als 30 Jahren. Neues also gibt es nicht, aber ein lesenswertes Zeitzeugnis legt K. noch einmal vor.