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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

101–103

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Lülf, Franz

Titel/Untertitel:

Die Lima-Erklärungen über Eucharistie und Amt und deren Rezeption durch die evangelischen Landeskirchen in Deutschland.

Verlag:

Altenberge: Oros 1993. 378 S. 8o = Münsteraner Theologische Abhandlungen, 26. Kart. DM 64,80. ISBN 3-89375-081-9.

Rezensent:

Reinhard Hempelmann

Die Studie des katholischen Theologen wertet die Rezeption der Lima-Erklärungen in den deutschen Landeskirchen aus, konzentriert sich auf die Aussagen zu den Themenbereichen Eucharistie und Amt und verfolgt dabei ein klares Ziel, nämlich die Herausarbeitung der bleibenden Divergenzen angesichts zahlreicher Konvergenzen im multilateralen ökumenischen Verständigungsprozeß. Daß im Zusammenhang dieser Zielsetzung die Tauffrage weniger relevant ist, leuchtet ein. Der Deutungsperspektive des Vf.s entspricht seine Leitfrage: "Gegen welche Aussagen der Lima-Erklärungen wenden sich die evangelischen Landeskirchen in Deutschland und läßt sich hinter den einzelnen Kritikpunkten ein Grundproblem erkennen" (15)?

Im Teil A (17-94) wird das Lima-Dokument in seiner langen Vorgeschichte betrachtet, so daß Verständnis und Deutung der Erklärungen in den Teilen B und C (95-184) vor dem geschichtlichen Hintergrund der langjährigen Arbeit der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung ihre Konturen gewinnen. Vor allem der Accra-Text, bzw. seine Rezeption im Lima-Dokument, wie auch die Berücksichtigung der darauf erfolgten kirchlichen Reaktionen, werden zum Verständnis mit herangezogen. Der Vf. arbeitet heraus, daß die Rückbesinnung auf die Grundgestalt altkirchlicher Liturgien und eine trinitätstheologische Orientierung den Horizont für das darstellen, was heute im Zusammenhang ökumenischer Einigungsprozesse gemeinsam ausgesagt wird. Lima-Dokument und Lima-Liturgie werden als besondere "ökumenische Ereignisse" gewürdigt, zugleich weist der Vf. auf Grenzen der Verständigung hin, die sich in der theologischen Reflexion, im Bekenntnis, aber auch im konkreten liturgischen Vollzug zeigen.

Als Beispiel wird in diesem Zusammenhang die zum Abschluß der Konferenz in Lima begangene gemeinsame Eucharistiefeier genannt, bei der die orthodoxen und fast alle römisch-katholischen Teilnehmer nicht mit kommunizierten. Schwerpunkt der Ausführungen ist die Auswertung der Stellungnahmen der Landeskirchen (Teile D, E und F.). Obgleich die Reaktionen in Form und Inhalt wie auch hinsichtlich einer Gesamtbeurteilung stark differieren, ergibt sich nach Meinung des Vf.s ein relativ geschlossenes Bild der Kritik, wenn man sich den einzelnen Stellungnahmen zur Eucharistie- und Amtsthematik zuwendet, wobei die an der Lima-Erklärung geäußerte Kritik im wesentlichen bereits in den evangelischen Voten zum Accra-Text präfiguriert war. Herausgearbeitet werden u.a. folgende Kritikpunkte: Das Gegenüber von Christus und Kirche werde nicht deutlich genug hervorgehoben; zwar werde die Eucharistie als Gabe verdeutlicht, die Gott uns in Christus schenkt, doch im weiteren werde der Akzent eindeutig auf das Antworthandeln des Menschen gelegt; im Verhältnis zwischen Amt und Gemeinde komme es zu einer reduzierten Aufgabenbeschreibung der Gemeinde; mit der Empfehlung zur Übernahme des dreifach gegliederten Amtes in Bischof, Presbyter und Diakon werde die Tendenz wirksam, "gegenüber der Bindung an die Heilige Schrift einer späteren kirchlichen Entwicklung und Tradition argumentativ den Vorrang zu geben" (337).

Im Blick auf die evangelischen Antworten zur Eucharistie-Erklärung kommt der Vf. zu folgendem ernüchternden Ergebnis: "Die Eucharistie-Erklärung von Lima ist der Versuch, die verschiedenen Streitfragen im Bereich der Eucharistie in einen größeren Kontext zu stellen und auf diesem Weg eine Annäherung (Konvergenz) zwischen den Konfessionen zu erreichen. Die kirchlichen Reaktionen zeigen, daß dieser Versuch aus der Sicht der evangelischen Landeskirchen in Deutschland gescheitert ist" (262). Ähnlich ernüchternd fällt das Fazit des Vf.s hinsichtlich der Reaktionen auf die Frage des Amtsverständnisses aus: "Das reformatorische Amtsverständnis ist in der Lima-Erklärung über das Amt zwar nicht verschwiegen worden, doch spielt es nach Ansicht der evangelischen Landeskirchen in Deutschland hinsichtlich der Konzeption der Erklärung keine entscheidende Rolle" (332). Die Konsequenz dieser Ergebnisse ist für den Vf., die hinter den Kritikpunkten stehende "fundamentale Differenz" ins Auge zu fassen. Im Anschluß an M. Seils sieht er in den evangelischen Antworten auf Lima drei Grunddaten evangelischer Theologie zur Wirkung kommen: die Hervorhebung des bleibenden Gegenübers der Heiligen Schrift gegenüber der Kirche, Tradition und Amt, die Wortbestimmtheit des evangelischen Sakramentsverständnisses und die zentrale Stellung der Rechtfertigungslehre bzw. die evangelische Anwendung der Rechtfertigungslehre auf die Ekklesiologie. Vor allem der zuletzt genannte Punkt markiert nach Ansicht des Vf.s die in den evangelischen Stellungnahmen zu den Lima-Erklärungen zum Ausdruck kommende Grunddifferenz, der im Fortgang des ökumenischen Gesprächs mehr Aufmerksamkeit zu widmen sei vor allem "in der Frage der Stellung der Rechtfertigungslehre und ihrer Bedeutung für das Verständnis um Eucharistie und Amt wie auch der ekklesiologischen Implikationen" (348).

Die Relevanz der Arbeit dürfte vor allem darin liegen, anhand der Lima-Rezeption aufgezeigt zu haben, daß eine vorschnelle Vergleichgültigung weiterbestehender Differenzen im Verständnis und Vollzug von Eucharistie und Amt in der gegenwärtigen Gesprächssituation nicht weiterführend sein kann. Insofern wird mit Recht ökumenischer Realismus angemahnt und deutlich gemacht, daß das ökumenische Erkenntnis bisher organisierende Paradigma der Ergänzung bedarf. Konsens- und Konvergenztexte rufen geradezu zwangsläufig Stellungnahmen hervor, die, je nach Standort, entweder erfreuliche Annäherungen konstatieren oder die Ergebnisse als unrealistische Einheitsbemühungen bei fortbestehenden Grunddifferenzen abwehren. Insofern sind fundamentaltheologische Fragestellungen und die Frage nach Grundkonsens und Grunddifferenz notwendig. Die vom Vf. vorgenommene Konzentration der Differenz im Verständnis der Rechtfertigung, wie vor allem am Schluß der Untersuchung angedeutet, steht jedoch immer noch in Gefahr, die Unterschiede zwischen Konfessionen von einzelnen Unterscheidungslehren her zu verstehen. Richtiger dürfte sein, die im Dialog zutage tretenden kontroversen Themen als Ausdruck einer jeweils unterschiedlichen Gesamtkonzeption des Christlichen zu begreifen. Die gut lesbare und klar gegliederte Arbeit stellt gerade in ihrer einseitigen Perspektivik auf die unbewältigten Differenzen einen nachdenkenswerten Beitrag dar. Die deskriptiv gehaltenen Ausführungen lassen dem Leser verborgen bleiben, welche Überzeugungskraft der Vf. dem evangelischen Argumentationsfiguren ­ etwa in der Frage des Amtes ­ beimißt.