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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

100 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Jenson, Robert W.

Titel/Untertitel:

Unbaptized God. The Basic Flaw in Ecumenical Theology.

Verlag:

Minneapolis: Fortress Press 1992. V, 153 S. 8o. ISBN 0-8006-2607-9.

Rezensent:

Harding Meyer

Der Autor, ein international bekannter nordamerikanischer Lutheraner, hat hier eine überaus bedenkenswerte Studie vorgelegt, an der nicht nur der Titel aufhorchen läßt. Es geht um eine sowohl höchst kenntnisreiche als auch tiefgreifende Reflexion über die ökumenischen Dialoge der letzten drei Jahrzehnte, besonders zwischen Lutheranern und Anglikanern einerseits und Katholiken andererseits. Sie nimmt dabei die gegen Mitte der 80er Jahre wiederauflebende Debatte um eine katholisch/ protestantische "Grunddifferenz" auf, führt sie aber in einer überraschenden Form und Argumentation weiter, ja stellt sie gewissermaßen auf den Kopf: Was den ökumenischen Dialog erschwert und im Blick aufs Ganze unbefriedigend erscheinen läßt, ist keine bislang unüberbrückte, vielleicht sogar unüberbrückbare "Grunddifferenz", sondern letzten Endes ein "gemeinsamer Grundirrtum", (115), ein "unheilvoller Konsens" (108; vgl. 8). Das ist die These des Buches. Was führt den Vf. zu dieser These, und worin besteht diese, wie er sagt, "unheilvolle Einmütigkeit"?

Die ersten zwei Drittel des Buches sind einer Beschreibung und Prüfung der in den Dialogen erreichten Konvergenzen gewidmet: Rechtfertigung, Realpräsenz, eucharistisches Opfer, kirchliches Amt, Bischofsamt, Primat, heilsvermittelnde Funktion der Kirche. Die Unerläßlichkeit dieses Konsensbemühens wird unterstrichen. Die erreichten Konvergenzen werden nicht in Frage gestellt, sondern zumeist bestätigt. Dennoch steht alles im Zeichen einer Vergeblichkeitserfahrung (experience of frustration). Das ist der Grundton der Darstellung, der bereits in der Einleitung gesetzt wird. Diese Vergeblichkeitserfahrung ergibt sich nicht erst angesichts der ausbleibenden kirchlichen Rezeption der Dialogergebnisse. Sie liegt bereits in den Dialogergebnissen selbst. Kein erreichter Konsens ist ohne bleibende Ungewißheit, offene Fragen, Befürchtungen, Ambiguität, ja fortdauernden Dissens. Das Trennende scheint sich lediglich zu verlagern: tritt es in einer Kontroversfrage zurück, taucht es in einer anderen erneut auf. Konsens wird zwar erreicht, aber zugleich entzieht er sich immer wieder. Was ist der Grund dieser "immer neuen Trennungsdialektik" (111, 112)? Davon handelt das Buch in seinem letzten Drittel. Die Frage, um die es letzlich geht, ist die der Vermittlung zwischen damals und heute, also die Frage der "Überlieferung" (tradition) oder Vergegenwärtigung des Christusgeschehens durch die Zeiten und damit auch die Frage nach der Identität der Kirche in der Geschichte. Hier gibt es die "katholische" Antwort, nach der die zeitliche Kontinuität durch Institutionswerdung des Ereignisses gewährleistet wird, und die "protestantische" Antwort, nach der die Vergegenwärtigung des Vergangenen letztlich institutionsfreien Ereignischarakter hat. Aber statt hier eine oder die letzte katholisch/protestantische "Grunddifferenz" zu sehen, meint der Vf., daß diese sich entgegenstehenden Alternativen in einem "gemeinsamen Grundfehler" (shared basic flaw) wurzeln, der jene beiden Alternativen, an denen das Konsensbemühen immer wieder scheitert, hervortreibt, und dessen Überwindung darum eine "gemeinsame theologische Aufgabe" (108) darstellt.

Dieser "gemeinsame Grundfehler" ist ein aus dem griechisch-hellenistischen Denken überkommenes vorchristliches ("ungetauftes") Gottesverständnis, das die Zeit als gottfremd (time as outside God) und Gott als zeitlos (immune to time) versteht. Der Vf. versucht zu zeigen, daß auch die altkirchliche Christologie (Chalcedon; Tomos Leonis) mitsamt der nachfolgenden westlichen Christologie diesem Grundfehler verhaftet bleibt. Die Folge ist, daß die zeitlich-geschichtlichen Wirklichkeiten des Glaubens und der Kirche nicht als das erfaßt werden können, was sie sind: als Wirklichkeiten, die im erhöhten Christus, dem Gott-Logos selbst gründen und ihm als sein "Leib", d.h. als in seiner Welthingewandtheit (availability) zugehören. Entweder ­ so die protestantisch-nestorianische Versuchung ­ werden sie vom Erhöhten "getrennt", oder ­ so die katholisch-monophysitische Versuchung ­ sie werden mit ihm "vermischt", bzw. identifiziert. Beide entgegengesetzen Tendenzen, an denen sich das Konsensbemühen immer wieder reibt und oft zu zerreiben droht, ergeben sich aus dem "gemeinsamen Grundfehler": einem vorchristlichen, "ungetauften" Gottesverständnis, das Zeit und Geschichte nicht wirklich in sich aufgenommen hat und darum die Gemeinschaft der Kirche nicht als "Leib des Logos", d.h. als den Logos selbst in seiner Zugewandtheit zu uns zu sehen vermag (126 f.).

Ansätze zur Überwindung jenes "Grundfehlers" sieht der Vf. in Luthers Christologie (unio hypostatica) und in einem trinitarisch-pneumatologischen Verständnis von Kirche, wie es vor allem in den orthodoxen Kirchen des Ostens begegnet. Er weiß aber, daß es hier nicht um bloße theologische Korrekturen und Fortschreibungen geht, sondern letztlich um Gewinnung und Geschenk einer "neuen Glaubenstiefe" (146).