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Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

711–713

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Dawson, Christopher

Titel/Untertitel:

Enquiries into Religion and Culture. With an Introduction by R. Royal.

Verlag:

Washington: The Catholic University of America Press 2009. VII, 296 S. 21,3 x 13,7 cm = The Works of Christopher Dawson. Kart. £ 23,07. ISBN 978-0-8132-1543-3.

Rezensent:

Arnulf von Scheliha

Das Buch enthält 15 zwischen 1918 und 1933 entstandene Aufsätze von Christopher Dawson, die erstmals 1933 gemeinsam publiziert wurden. Die Wiederveröffentlichung steht in Verbindung mit der von Don J. Briel verantworteten Reihe »The Works of Christopher Dawson« und wurde für diesen Zweck von Robert Royal mit einem Vorwort versehen, dessen Introduction auf wenigen Seiten instruktiv in das Denken Dawsons einführt.
Christopher Henry Dawson (1889–1970) studierte in Oxford Ökonomie, Soziologie und Geschichte. 1914 konvertierte er zum römischen Katholizismus. Er wirkte als Lecturer für Kulturgeschichte am University College, Exeter. Von 1947 bis 1949 war er Gifford Lecturer in Edinburgh, von 1958 bis 1962 versah er den Charles Chauncey Stillman Chair für römisch-katholische Studien an der Harvard University. Er gilt als der bedeutendste englischsprachige römisch-katholische Historiker des 20. Jh.s.
Geschichtsphilosophisch setzt sich D. in gleicher Weise kritisch mit Liberalismus und historischem Materialismus auseinander. Grundlegend ist für ihn die Einsicht, »that the society or culture which has lost its spiritual roots is a dying culture, however pros­perous it may appear externally« (XVIII). Während der Liberalismus die Funktion der Religion auf das Individuum beschränkt und damit Säkularisierung und Rationalisierung der Gesellschaft Vorschub leistet, eliminiert der Kommunismus sowohl das Indivi­duum, als auch die Religion. Der Einzelne wird hier vom sozialen Mechanismus der Ökonomie absorbiert und die Religion gilt nur als Epiphänomen gesellschaftlicher Zustände. Weil die materialis­tische Ökonomik die unverzichtbare Bedeutung der Religion verdrängt, nimmt sie kompensatorisch selbst quasi-religiöse Züge an. D. zielt daher auf eine Entflechtung beider Faktoren. »Religion can no more be reduced to economics than economics can be reduced to religion. Each is an independent factor with its own formal prin­-ciple.« (XIX) Diese Unabhängigkeit schließt eine interdisziplinäre Kooperation ausdrücklich ein, weil Theologen und Soziologe nbeim Verstehen ihrer Gegenstände aufeinander angewiesen sind. Denn »social phenomena are conditioned by both material and spiritual factors« (XX), so dass Soziologie und Theologie »ought not to be either hostile or indifferent to one another. Each can help the other so long as it observes its own limits and respects the autonomy of the other in its own field« (XXI).
Die Beiträge finden sich in drei Sektionen. Die erste beinhaltet vier Aufsätze, in denen sich D. mit den großen geistigen Strömungen der Zeit auseinandersetzt: »The New Leviathan«, eine Auseinandersetzung insbesondere mit den faschistischen Strömungen in den europäischen Nationalstaaten der 20er Jahre, »The Significance of Bolshevism«, »The World Crisis and the English Tradition« und »The Passing of Industrialism«. Die fünf Beiträge in Sektion II sind kulturgeschichtlich angelegt: »Cycles of Civilisation«, »Religion and the Life of Civilisation«, »Civilisation and Morals«, »The Mys­-tery of China« und »Rationalism and Intellectualism«. Eine eher religionsgeschichtliche Perspektive verfolgt D. in den sechs Beiträgen der Sektion III: »Islamic Mysticism«, »On Spiritual Intuition in Christian Philosophy«, »St. Augustine and His Age«, »Christianity and Sex«, »Religion and Life« und »The Nature and Destiny of Man«. Insgesamt vermittelt das Buch einen interessanten Einblick in die intellektuellen Diskurse der Zwischenkriegszeit, in denen D. sich weltanschaulich und ideenpolitisch klar positioniert. Drei Beispiele dafür seien hervorgehoben.
Nach D.s Ansicht stehen mehrere Erben bereit, um den liberalen Individualismus und den von ihm entfesselten ökonomischen Rationalismus mit seinem sozialen Konformitätsdruck abzulösen. Neben dem Sozialismus und der katholischen Soziallehre sind es die europäischen Faschismen, denen D. in ideeller Hinsicht gewisse Sympathien entgegenbringt, auch wenn sie sich, wie er betont, faktisch machiavellistisch gebärden und einen militanten Nationalismus hervorbringen. Was sie aber leisten könnten und müssten, wäre die gebotene »subordination of both politics and eco­-nomics to a principle of spiritual order which is the source alike of political authority and social function« (15).
D.s gesellschaftliche Ideale werden gut deutlich in »Christian­ity and Sex«. In seiner kulturhistorischen Retrospektive will D. herausarbeiten, dass sich in der prähistorischen Zeit die patriarchale Familienstruktur gegen das Matriarchat durchgesetzt hat, weil es kulturproduktiver ist. In der Spätantike droht es sich aufzulösen, weil die patres familiarum das Leben für den Staat, für die Sexualität und für die Familie voneinander trennen. »The re-constitution of Western civilisation was due to the coming of Christianity and the re-establishment of the family on a new basis.« (227) Auf dem Fundament der grundsätzlichen Gleichheit der Geschlechter wird von der mittelalterlichen Kirche die lebenslange und wechselseitige Bindung der Menschen in Ehe und Familie sakramental begründet, einschließlich der wechselseitigen sexuellen Obligationen. Das Geschlechterverhältnis ist differenziert gestaltet. Der Vater »is head of the household« (226), die Rolle der Frau wird durch die spiritu­ ellen Ideale der Gottesmutter und der Virginität gestärkt. Diese Balance wird schon durch die Reformation aufgehoben. Sie folgt zwar weiter patriarchalen Mustern, aber durch ihre Kritik am Marienglauben und durch den rationalen Zugang zur Sexualität wird sie zum Auftakt jener Auflösung der geltenden Sexual- und Familienmoral, durch die D. die Gegenwart gekennzeichnet sieht. Hedonismus und Romantizismus verstärken jeweils auf ihre Weise diesen Trend, der in den liberalen und sozialistischen Gesellschaften noch politisch gefördert wird. Das Ergebnis ist, dass sich Partnerschaften auf Zeit, die Emanzipation der Frau, sexuelle Freizügigkeit und Verhütung allgemein durchsetzen. In dem sittlichen Substanzverlust, der am Niedergang der Familie als der organischen Keimzelle der Gesellschaft manifest wird, sieht D. die größte Krise der Menschheitsgeschichte. Deren Lösung wird nach D. vor allem mit einer Stärkung des Staates verbunden sein, der nämlich für die Folgen dieser Entwicklung einzustehen hat, insbesondere in der sozialen Unterstützung von Alleinlebenden und in der Er­ziehung von Kindern, die außerhalb des Familienverbandes leben.
Mit dieser Prognose hatte D. durchaus Recht, wenngleich seine Empfehlung zur Vermeidung dieser Entwicklung, nämlich die strikte Orientierung an der katholischen Lehre, schon damals nicht zeitgemäß war: »the resistance of Catholicism to the hedonism and in­dividualism […] condemns contraception as an unnatural at­tempt to divorce the sexual activity from its biological function; it forbids irregular sexual intercourse, because it involves the separation of sex from its proper social organ; and it is opposed to divorce and remarriage, because they destroy the permanence of the mar­-riage bond and thus break down the organisation of the family as the primary sociological unit.« (220) Dass sich mit den »new social units« auch Aufbau und Pflege sittlicher Substanz verbinden kann, konnte und wollte D. nicht erkennen.
Seiner Zeit in gewisser Weise voraus ist der materialreiche und differenzierte Aufsatz »Islamic Mysticsm«, in dem D. verschiedene muslimische Strömungen analysiert und mit christlicher Mystik vergleicht. D. kommt zu dem Ergebnis, dass trotz aller Fehler und berechtigter Kritik »the Sufi movement remains one of the great witnesses outside Christianity to the religious needs of humanity« (156). Darin ist er sogar dem liberalen Protestantismus überlegen: »In fact, Sufism in its extreme development may be regarded as the most perfect and consistent type of an universalist or undenominational religion which has ever been achieved. It seems paradoxical to suggest that the dancing dervish is a truer undenominationalist than the Liberal Protestant, but it is justified by the fact that his undeno­minationalism is the direct outcome of his religious experience, whereas in the other case it is an artificial construction.« (155)
D.s Untersuchungen zur religiösen Kulturgeschichte sind im besten englischen Wissenschaftsstil geschrieben und anregend zu lesen. Es will aber beachtet sein, dass sie inzwischen selbst in die Kulturgeschichte des Christentums eingegangen sind und ihrerseits einer kritischen Untersuchung bedürfen.