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Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

707–709

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Holder, R. Ward [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Westminster Handbook to Theologies of the Reformation.

Verlag:

Louisville: Westminster John Knox 2010. XXI, 218 S. 22,8 x 15,6 cm = The Westminster Handbooks to Christian Theology. Kart. £ 19,99. ISBN 978-0-664-22398-4.

Rezensent:

Christoph T. Nooke

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Janz, Denis R.: The Westminster Handbook to Martin Luther. Louisville: Westminster John Knox 2010. XVII, 147 S. 22,8 x 15,6 cm = The Westminster Handbooks to Christian Theology. Kart. £ 19,99. ISBN 978-0-664-22470-7.


Die zwei zu besprechenden Werke sind in der Reihe The Westminster Handbooks to Christian Theology erschienen, die Studierenden wie Wissenschaftlern knappe und präzise Informationen zu ausgewählten theologischen Bewegungen und Personen in Form von lexikalischen Artikeln an die Hand geben will. Den durch diese Vorgaben gesetzten Herausforderungen sind die Verantwortlichen in unterschiedlicher Weise begegnet.
Denis R. Janz ist Provost Distinguished Professor of the History of Christianity an der Loyola University (New Orleans). Er richtet sein Handbook to Martin Luther nicht nur an Luther-Experten und Studierende, sondern auch an eine unspezifische Gruppe Interessierter, die sich aufgrund ihrer Suche nach dem Sinn des Lebens für klassische Denker interessieren. J. bietet in diesem von ihm allein verfassten Werk ausdrücklich seine Interpretation der Theologie Luthers. Dies schlägt sich in der Auswahl der Artikel wie in deren inhaltlicher Füllung nieder.
Das zweifellos anspruchsvolle und zwangsläufig selektive Unternehmen, Luthers Theologie in 58 Artikeln darzustellen, birgt die Gefahr der Schieflage, der J. auch nicht ganz entkommen ist. Beiträge wie »Antichrist«, »Freedom« oder »Augustin/Augustinismus« fehlen, dafür finden sich beispielsweise sowohl »Marriage« als auch »Divorce«. Viel Raum und Intensität wird auf den Komplex »Anfechtung«, »Faith« etc. verwendet. Und sofern der Umfang ein Indikator ist, scheint erwähnenswert, dass zu »Justification« (sechs Seiten) nur unwesentlich mehr zu lesen ist als zu »Women« (fünf Seiten).
Problematisch – gerade für ein Werk, das Orientierung bieten möchte – ist der durchgehende Verzicht auf Literaturverweise. Auch die angehängte, eigenwillige Literaturauswahl umfasst nur knapp zwei Seiten, gerade neuere deutschsprachige Beiträge fehlen. Dies scheint Programm zu sein: »I had to stop reading other people’s books to write my own!« (XI) Er habe stattdessen die Schriften Luthers selbst zu Wort kommen lassen wollen, was auch in einer hohen Dichte an Zitaten eingelöst wird, die sich über eine beachtliche Breite des Werks Luthers erstrecken. Teilweise sind die Zitate freilich unglücklich gewählt: So zitiert J. z. B. unter »Faith« lediglich den ersten Teil der Doppelthese aus der Freiheitsschrift, was zu Missdeutungen führen muss. Als Referenzedition wählt J. die American Edition/Luther’s Works und verzichtet auf Angaben der WA, deren Benutzung durch englischsprachige Kollegen er er­staunlicherweise auf eine Art »teutonic, wissenschaftliche snob­-bery« (XI) zurückführt.
Dass J. ein gelehrter Kenner Luthers ist, scheint in einigen Artikeln auf, die teilweise sehr differenziert und tief in die Thematik einführen. Daneben begegnen allerdings auch oberflächliche und unscharfe Darstellungen, so dass sich ein eher disparates Gesamtbild ergibt. Leider fehlen meist Querverweise, die in diesem verknappten Format des Handbooks Zusammenhänge hätten deutlich machen können. Während im Artikel »Anfechtung« z. B. auf »Sin« und »Faith« (im Übrigen ohne Bezug auf »Holy Spirit«) verwiesen wird, fehlen die entsprechenden Verweise in diesen Artikeln. Zum Gebrauch wäre zudem eine durchgehende klare und systematische Gliederung der Artikel hilfreich gewesen, die häufig fehlt. Positiv in dieser Hinsicht ist der Artikel »Theology« zu nennen, der allerdings inhaltlich wieder einige Unschärfen aufweist (beispielsweise: Luther sei Professor »for biblical interpretation« [129] gewesen). In der Darstellung zur Buße (»Penance«) vermisst man eine ausführlichere Würdigung der Bußanschauung Luthers in seinen Ablass-Thesen, die nur in aller Kürze abgehandelt werden. Stattdessen bietet J. – wie auch in einigen anderen Artikeln – eine chronologische Aufzählung der Äußerungen Luthers zum Thema.
Insgesamt wäre eine durchgehende historische, biographische und theologische Verortung der Theologie Luthers sicherlich vorteilhaft gewesen, auch einige Personenartikel hätten dazu aufgenommen werden können.
Etwas anders stellte sich R. Ward Holder, seines Zeichens Associate Professor of Theology mit einem Schwerpunkt in der Reformationsgeschichte am St. Anselms College (Manchester), in seinem Handbook to Theologies of the Reformation der Aufgabe, Komplexes zu elementarisieren, und geht das Projekt sinnvollerweise in Zusammenarbeit mit 34 Kollegen an. Er möchte mit diesem als Einstiegslektüre konzipierten Werk Studierenden Antworten auf Einzelfragen (Begriffe, Personen etc.) geben, die in seiner Wahrnehmung oft dem Ansinnen eines theologischen Studiums, zum Suchen nach den größeren Zusammenhängen anzuregen, im Wege stehen – also ein Nachschlagewerk. Die Kürze der Artikel (meist ca. 100–150 Wörter) fügt sich ebenso in diese Absicht wie die sinnvoll ausgewählten Literaturverweise am Ende jedes Artikels. Das angehängte Literaturverzeichnis umfasst nahezu 30 Seiten und deckt – bei Kritik an einzelnen Leerstellen (so fehlen auch hier vor allem neuere deutschsprachige Beiträge) – doch eine relative Breite ab. Besonders erwähnenswert und zur Animierung zu weiterer Lektüre sicherlich hilfreicher als die bei Janz gebotenen langen Zitate ist die zehnseitige Liste zentraler Quellentexte (vornehmlich in englischer Übersetzung).
Die thematische Breite der über 400 Artikel (auf 175 Seiten) er­streckt sich von wichtigen Personen (nicht nur Theologen) über Ereignisse (Reichstage etc.) bis hin zu zentralen theologischen Fragestellungen (»Christology« etc.). Dabei werden trotz der äußersten Kürze der Artikel doch insgesamt gedankliche Einordnungen in die historische Entwicklung ebenso geboten wie ein klarer Aufbau der einzelnen Artikel, die neben Worterklärungen und historischer Einordnung auch eine systematische Darlegung der verschiedenen Facetten des Themas bieten. Querverweise werden reichlich eingestreut, so dass sich die Redundanz trotz der verteilten Autorenschaft in engen Grenzen hält. Sicherlich sind an einigen Stellen Fragen an die Artikelauswahl zu stellen, doch erreicht das Werk eine breite Streuung, die auch auf Voraussetzungen reformatorischer Theologie eingeht: So finden sich u. a. Artikel zum Konziliarismus, zu Augustin, Aristoteles und Petrus Lombardus.
Dennoch enthalten einige Artikel auch Unschärfen: Der Artikel »Blessed Exchange« geht nicht auf die für Luthers Verwendung dieser Formel so zentrale Freiheitsschrift ein. Die »Communication of Properties« wird hinsichtlich der mittelalterlichen Entstehung dieses Begriffs behandelt, kaum aber in ihrer Bedeutung für die spätreformatorische Diskussion. Einblick in eine Forschungsdis­kussion bietet der Artikel »Confessionalization«, wobei fraglich ist, ob die Diskussion einer Forschungsthese für die Erstinformation weiterführend ist und nicht besser der Prozess der Konfessionalisierung selbst hätte erklärt werden sollen.
Insgesamt illustrieren beide Werke die Schwierigkeit, komplexe Entwicklungen und Sachverhalte in Form knapper Artikel dem Anfänger darzustellen. Dass in der Elementarisierung Chancen für den Einsteiger wie den Experten bestehen, ist ebenso unzweifelhaft wie die Gefahr, hier durch falsche Raster eine Schieflage zu erzeugen. Holder hat mit seiner Herangehensweise die Anforderungen aufs Ganze gesehen deutlich besser gemeistert. Angesichts der Fülle an anerkannten und selbsternannten Experten auf diesem Gebiet ist es ein mutiges und schon allein deshalb zu honorierendes Unterfangen, sich dieser Herausforderung trotz der sicher zu erwartenden Kritik zu stellen.