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Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

703–705

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Basse, Michael [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Martin Luthers Dekalogpredigten in der Übersetzung von Sebastian Münster.

Verlag:

Köln/Weimar/ Wien: Böhlau 2011. XXVI, 192 S. m. Abb. 26,0 x 17,5 cm = Archiv zur Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers. Texte und Untersuchungen, 10. Lw. EUR 37,90. ISBN 978-3412-20621-5.

Rezensent:

Albrecht Beutel

Dieses Meisterwerk kritischer Textedition ergänzt die Reihe der bereits edierten Frühschriften Luthers um ein wertvolles Glied. Damit erweitert der Band zugleich den Einblick in die Gärungsphase reformatorischer Theologie und speziell in den Ausformungsprozess der Gedanken, die dann mit der 1520 erschienenen Hauptschrift Von den guten Werken zu reifem Ausdruck gebracht worden sind.
Zwischen Juni 1516 und Februar 1517, also im näheren Vorfeld der Auseinandersetzung um Buße und Ablass, bot Luther in der Wittenberger Stadtpfarrkirche eine Predigtreihe über die Zehn Gebote. Sein lateinisches Manuskript, das zu Beginn des 18. Jh.s noch in den Händen von Valentin Ernst Löscher lag und auszugsweise in dessen »Reformations-Acta« Eingang fand, ist ebenso verloren wie die deutsche und lateinische Bearbeitung, die Luther Anfang September 1517 seinem Freund Johann Lang als Predigtvorlage zugesandt hatte. Die erste lateinische Druckausgabe, die im Juli 1518 in Wittenberg auf den Markt kam, erlebte zeitnah mehrere Nachdrucke und ging auch in die frühesten Sammelausgaben ein, die 1518 von Johannes Froben und 1520 von Adam Petri in Basel veranstaltet wurden.
Die erste deutsche Übersetzung dieser Vorlage gab Sebastian Münster (1488–1552) im Jahre 1520 an die Öffentlichkeit. Er wirkte damals als Korrektor im Basler Verlagshaus Petri. Zuvor hatte er über mehrere Jahre hinweg in Tübingen das Lektorat für Philosophie und Theologie am Generalstudium des Franziskanerordens versehen und dabei auch Johannes Reuchlin und Philipp Melanchthon kennen gelernt. Später avancierte Münster zu einem der be­deutendsten Hebraisten seiner Zeit – er lehrte in Heidelberg, da­nach in Basel – und erwarb sich im Alter darüber hinaus den Ruf eines hervorragenden Kosmographen.
Die von Münster erstellte Übersetzung der frühen Dekalogauslegung Luthers basierte auf der in Basel 1518 und 1520 publizierten lateinischen Druckfassung, bezog daneben aber auch andere Überlieferungsvarianten noch ein. In seiner Textübertragung erwies Münster souveräne Selbständigkeit: Lokale Anspielungen und Be­zugnahmen, die auf konkrete Anlässe in Wittenberg zielten, ließ er beiseite, und als biblischen Referenztext benutzte er nicht wie Luther die Vulgata, sondern die hebräische Urfassung.
Dem von ihm übersetzten Werk Luthers maß Münster höchste Bedeutung zu: Es seien darin, gab er in einer kurzen Vorrede kund, »also geistlich / christlich vnd Ewangelisch die .x. gebot erklert / das man des glychen nit fint / wiewol vil lerer darüber geschriben hant« (3). Tatsächlich sollte sich diese frühe Dekalogauslegung als Keimzelle der wenig später von Luther ausgearbeiteten Lehre von den guten Werken erweisen. Bereits hier galt dem Reformator das erste Gebot, dessen Auslegung fast ein Drittel des gesamten Textes beansprucht, als theologisch zentral: »Das erst gebot begrifft in im alle andre gebot. Vnd also welcher das erst helt / der helt sy all / vnn welcher der andern eins nit helt / der helt auch das erst nit« (65). Auch die im Anschluss an Augustin herausgestellte triadische Struktur, gemäß der die Gebote der ersten Tafel darauf verweisen, wie sich Herz, Mund und Werk des Menschen in rechter Weise vor Gott ausnehmen sollen, desgleichen die reiche, lebensweltlich konkretisierte Profilierung der von Gott geforderten Gebotserfüllung oder auch die durchweg seelsorgerliche Grundierung dieser Elementarkatechese: All dies entfaltete Luther nicht erst in der Hauptschrift von 1520, sondern in breiter materialer Durchdringung bereits hier.
Der in Dortmund lehrende Kirchen- und Theologiehistoriker Michael Basse, Schüler des unlängst verstorbenen Bonner Reformationshistorikers Karl-Heinz zur Mühlen, präsentiert das von Münster erstellte Übersetzungswerk in einer vorbildlichen Edition. Mit zweifelsfreien Gründen konnte er für die beiden 1520 in Basel erschienenen Textausgaben, die jeweils rasch Nachdrucke erfuhren, das entstehungsgeschichtliche Abhängigkeitsverhältnis nachweisen. Der diplomatisch getreu wiedergegebene Textbestand wird durch drei Anmerkungsapparate erläutert: Deren erster dokumentiert die in den Urdruck eingefügten Marginalien, der zweite verzeichnet die abweichenden Lesarten späterer Drucke, der dritte bietet knappe, präzise Zitatnachweise, Sacherklärungen und Kommentare. Die bereits von Münster erstellte ausführliche Materialübersicht (5–12) hat der Herausgeber durch ein detailliertes Bibelstellen-, Personen- und Sachregister hilfreich ergänzt.
Auch für die jetzt vorliegende kritische Edition bleibt der Ratschlag, den Sebastian Münster einst seinen oberdeutschen Lesern gegeben hatte, unvermindert in Geltung: »Durchliß du das buch / so wirstu finden ein rechten christenlichen vnd ewangelischen lerer« (3).