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Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

702–703

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

[Wollasch, Joachim]

Titel/Untertitel:

Wege der Erinnerung im und an das Mittelalter. Festschrift für Joachim Wollasch zum 80. Geburtstag. Hrsg. v. A. Sohn. M. Beiträgen v. G. Beech, H. Duchhardt, D. Geuenich, E. Hlawitschka, V. Huth, H. Kamp, J.-L. Lemaitre, R. Meßner, E. Palazzo, A. Sohn, R. Sprandel, R. Stichel, Ch. Stiegemann, H.-U. Thamer u. J. Wenta.

Verlag:

Bochum: Winkler 2011. XVI, 236 S. m. 1 Porträt u. Abb. 24,0 x 17,0 cm = Aufbrüche, 3. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-89911-138-5.

Rezensent:

Heinrich Holze

Die Festschrift erschien zum 80. Geburtstag des Münsteraner Mediävisten Joachim Wollasch. Mit ihr wird einer der bedeutendsten Vertreter der deutschsprachigen Mediävistik gewürdigt, dessen Beiträge die mediävistische Forschung in den letzten Jahrzehnten auf vielfache Weise geprägt haben. Mit ihrem Fokus auf der Geschichte des (früh-)mittelalterlichen Mönchtums sind sie auch von großer kirchengeschichtlicher Relevanz. In der von Gerd Tellenbach betreuten Freiburger Dissertation (1955) untersuchte W. das Themenfeld »Königtum, Adel und Klöster im 10. Jahrhundert«. In seiner Habilitation (1963) erweiterte er den Blick auf das Mönchtum des Mittelalters im Spannungsfeld zwischen Kirche und Welt. In der Folge erschienen zahlreiche Arbeiten zum frühmittelalterlichen Mönchtum, insbesondere zur Geschichte der Abtei Cluny und des cluniazensischen Klosterverbandes im 10. und 11. Jh. Mit dem Wechsel nach Münster (1974), wo er den Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte übernahm und das Institut für Frühmittelalterforschung zu einem Zentrum der internationalen Mediävistik ausbaute, widmete sich W. einem weiteren wichtigen Untersuchungsbereich, der Memorialüberlieferung sowie dem Verhältnis von Totengedenken und Traditionsbildung. Aus seiner Feder stammen zahlreiche Untersuchungen zur mittelalterlichen Erinnerungs- und Wissenskultur. Das zeigen seine Arbeiten zu den cluniazensischen Nekrologien und den Totenbüchern der Klöster, in denen sich das (liturgische) Totengedächtnis entfaltete. Den von ihm initiierten Forschungsertrag dokumentiert der Sammelband »Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Ge­denkens im Mittelalter« (1984).
Die Festschrift greift von den genannten Forschungsfeldern insbesondere den zuletzt genannten Themenbereich »Memoria« auf. Ihr Titel ist Programm: »Wege der Erinnerung im und an das Mittelalter«. Er zeigt, dass es den Autoren nicht allein um die Beschreibung und Deutung der mittelalterlichen Memorialkultur geht, sondern darüber hinaus darum, deren Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte bis in die Neuzeit zu erhellen. Die in vier Kapiteln zusammengestellten Beiträge stammen von einem Kollegium aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Polen und den USA. Sie repräsentieren die internationale Verflechtung der Mediävistik und die verschiedenen Fachrichtungen, die W. darüber hinaus durch seine Untersuchungen angeregt hat: Geschichte der Frühen Neuzeit, Zeitgeschichte, Kunstgeschichte, Byzantinistik und Theologie.
Im ersten Kapitel beschreibt Jean-Loup Lemaitre (Paris) die über 100-jährige Geschichte der Erforschung von Nekrologen und Leichenregistern, die von Léopold Delisle bis zu W. führt. Das zweite Kapitel versammelt unter der Überschrift »Wege der Erinnerung im Mittelalter« die meisten Beiträge dieser Festschrift. Sie lenken den Blick auf Stifter und Träger, Formen und Inhalte der Erinnerung und erhellen exemplarisch die verschiedenen Wege der Erinnerung im Mittelalter: in Chronistik und Genealogie, in Liturgie und städtischem Protokoll, in Bildung und Kunst. Hervorzuheben sind die Aufsätze von Dieter Geuenich (Duisburg-Essen) »Totengedenken im Mittelalter«, Reinhard Meßner (Innsbruck) »Die mittelalterliche Palmprozession als Weg des Gedenkens« sowie Rolf Sprandel (Würzburg) »Das Ratsprotokoll und andere Mittel der Erinnerung im Würzburg des 15. und 16. Jahrhunderts«. Diese und andere Beiträge zeigen die Breite des mittelalterlichen Memoria­diskurses, der sich auf politische und religiöse, städtische und monastische, bischöfliche und päpstliche Lebenswelten bezog. Das dritte Kapitel lenkt den Blick auf die in der Neuzeit geschaffenen Erinnerungsorte. Heinz Duchardt (Mainz) schreibt über den Freiherren vom Stein, die Walhalla und die mittelalterlichen Ge­schichtsschreiber und Eric Palazzo (Poitiers) untersucht die Erinnerung in Kunst und Liturgie des abendländischen Mittelalters bei französischen Schriftstellern des 19. und 20. Jh.s. Rainer Stichel (Münster) nennt als weiteres Beispiel den römischen Palazzo Barberini mit seinen imposanten Deckengemälden. Das vierte Kapitel knüpft daran an, indem es den Blick auf das Bild vom Mittelalter in den historischen Ausstellungen des 20. und 21. Jh.s richtet. Hans-Ulrich Thamer (Münster) entfaltet das Thema in grundsätzlicher Perspektive, während Christoph Stiegemann (Paderborn) auf die Paderborner Mittelalter-Ausstellungen eingeht. Beide Autoren gehen dabei den Fragen nach der Bedeutung und dem Wandel des Mittelalterbildes im kollektiven Gedächtnis Deutschlands und anderer europäischer Staaten nach.
Als Herausgeber der Festschrift zeichnet Andreas Sohn, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Paris und stellvertretender Direktor des Centre de Recherches sur les Espaces, les So­-ciétés et les Cultures, verantwortlich. Als Schüler von W. liegen auch seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte in der Kirchen- und Kulturgeschichte Europas. Die Tatsache, dass er seit 2001 an der Universität Paris lehrt, ist ein Hinweis auf die engen Verbindungen der deutschen Mediä-vistik zum französischen Kulturraum, die nicht zuletzt durch W. gefördert wurden. Zur vorliegenden Festschrift hat Sohn einen Aufsatz zur mittelalterlichen Erinnerungskultur am Beispiel der »Gedenkstiftung Saint-Urbain in Troyes (Champagne)« beigetragen, um an ihr exemplarisch die »Memoria des Papstes Urban IV. (1261–1264) in seiner Heimatstadt« zu erläutern. Eingeleitet wird die Festschrift durch eine von Sohn verfasste Würdigung des Jubilars, die dessen wissenschaftliches Wirken biographisch verortet. Damit wird diese Festschrift zu einem schönen Zeugnis eines großen Wissenschaftlerlebens, dem auch die evangelische Kirchengeschichte wichtige Einsichten und Anregungen verdankt.