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Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

700–701

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Roldán-Figueroa, Rady

Titel/Untertitel:

The Ascetic Spirituality of Juan de Ávila (1499–1569).

Verlag:

Leiden/Boston: Brill 2010. XVI, 265 S. 24,0 x 15,8 cm = Studies in the History of Christian Traditions, 150. Geb. EUR 99,00. ISBN 978-90-04-19204-1.

Rezensent:

Ulrike Treusch

Rady Roldán-Figueroa, seit 2007 Assistant Professor of Historical Studies an der Baylor University (Waco, Texas), hat sich bereits in seiner nichtveröffentlichten Arbeit zu Casiodoro de Reina as Biblical Exegete: Studies on the 1569 Spanish Translation of the Bible, mit der er 2005 an der Boston University zum Th. D. promoviert wurde, mit Theologie und Spiritualität Spaniens im 16. Jh. befasst. Seine 2004 bis 2010 entstandene und in der arrivierten Reihe Studies in the History of Christian Traditions erschienene Monographie knüpft an diesen Forschungsschwerpunkt an.
Johannes von Ávila (1499–1569), der »Apostel von Andalusien«, wirkte nicht nur als Prediger und Kirchenreformer, sondern be­gründete auch die »Avilista«-Spiritualität im Spanien des 16. Jh.s. Damit nimmt sich der Vf. eines bedeutenden Theologen an, der erst um 1970, dem Jahr seiner Heiligsprechung, Gegenstand vermehrter, auch nichtspanischer Studien wurde. Auf Grundlage dieser Studien und der Quelleneditionen, darunter die kritische Gesamtausgabe (2000–2003), unternimmt der Vf. den Versuch einer zusam­menfassenden Darstellung der Spiritualität des Johannes von Ávila – ein gelungener Versuch.
Im Vergleich zu früheren Studien konzentriert sich der Vf. auf Ávila als Seelenführer und die Entwicklung seiner »asketischen Spiritualität«, deren Inhalte, Adressaten und Rezeption. »The aim of this book is to trace the development of Juan de Ávila’s ascetic spirituality in its interaction with sixteenth-century Spanish so­-ciety.« (27) Denn, so die These des Vf.s, die Spiritualität Ávilas beschränke sich nicht auf eine Anleitung zum geistlichen Leben, sondern kritisiere zugleich – vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Sohn eines jüdischen Konvertiten – Rassismus und ri-gide gesellschaftliche Strukturen im Spanien des 16. Jh.s.
Entwicklung und Inhalte der asketischen Spiritualität Ávilas, wie sie in Predigten, Briefen und Lebensregeln für Kleriker und Laien Ausdruck fand, entfaltet der Vf. in sieben Kapiteln. Dabei bestimmt er den Terminus »asketisch« nicht explizit, doch wird deutlich, dass Askese im ursprünglichen Wortsinn als Einübung zu verstehen ist. Denn Kern der Spiritualität Ávilas ist ein Programm geistlicher Übungen, deren Herzstück das »mental« oder »silent prayer« ist, das stille Gebet des Einzelnen. Dieses stille Gebet, wie es auch Ignatius von Loyola (von Ávila beeinflusst) lehrte, stellt Ávila, verbunden mit einer Anleitung zur Meditation über die Leiden Christi und zur Selbsterforschung, ins Zentrum seiner Spiritualität.
Die ersten drei Kapitel führen in deren Entwicklung ein: So rekonstruiert der Vf. in Kapitel 1 aus vier erhaltenen Briefen eine Lebensregel für Kleriker, denen Ávila einen festen Tagesablauf mit Zeiten des mental prayer und geistlicher Lektüre empfahl. Analog dazu untersucht der Vf. in Kapitel 2 die Breve regla de vida Cristiana (1556), eine Regel für Laien, die einem ähnlichen Muster wie die Kleriker-Regel folgt, und in Kapitel 3 die erstmals 1556 erschienene Schrift Audi, filia, ein Handbuch für religiöse Frauen in der Tradition eines mittelalterlichen Jungfrauen-Spiegels. Dabei zeigt der Vf. überzeugend auf, dass Ávila das Ziel der geistlichen Übungen nicht in einer mystischen Ekstase sah, die auf die sakramentale Heilsvermittlung der Kirche verzichtete (wie dies die zeitgenössische, als häretisch verurteilte Bewegung der spanischen Alumbrados vertrat), sondern in der Abtötung des Selbst (»anihilación«, 107) und in der Selbsterkenntnis.
Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Diskussion über den Sakramentsempfang der Laien, die der Vf. in Kapitel 4 (zu) detailliert von der Alten Kirche bis zum 16. Jh. darstellt, zeigt sich Ávila als ein Vertreter häufiger Laien-Kommunion (Kapitel 5). Sein Eintreten für die tägliche Eucharistie verband er mit Sozialkritik: Denn zum rechten Sakramentsempfang (»bien comulgar«, 164) gehöre auch das Absehen vom eigenen sozialen Status sowie eine innere Reinheit (»limpieza«, 192) in Abgrenzung zu einer bloßen Reinheit des Blutes (»limpieza de sangre«, 194), womit Ávila sich gegen die zeitgenössische Verurteilung sog. unreinen Bluts der zum Christentum konvertierten Juden wendet. In der Analyse ausgewählter Predigten über den Heiligen Geist erläutert der Vf. in Kapitel 6 Ávilas Lehre von der Vereinigung der menschlichen Seele mit dem Heiligen Geist (»espirituación«, 195), im letzten Kapitel Ávilas Vorstellung vom öffentlichen Amt (»public service«, 211) als einer geistlichen Übung und Berufung für die Verantwortungsträger der spanischen Gesellschaft, König und Adel.
Diese theologischen und sozialkritischen Aspekte der Lehre Ávilas vom geistlichen Leben erarbeitet der Vf. schlüssig aus den Quellen und ordnet sie abschließend in die Forschungsdiskussion über eine spanische Konvertiten-Spiritualität ein, wobei er auf Ab­schnitte aus seiner unveröffentlichten Dissertation rekurriert. Er sieht die asketische Spiritualität Ávilas als organischen Ausdruck seiner Abstammung von Konvertiten und als sozialreformerische Antwort auf Vorbehalte gegenüber den »judeoconversos« (240). Ob die auf den vorausgehenden 240 Seiten dargestellte Spiritualität Ávilas unter diesem einen, unbestritten wichtigen, Aspekt zusam­mengefasst werden kann, wäre zu diskutieren.
Doch der Vf. bietet mit seiner Studie eine sorgfältig erarbeitete Darstellung der Lehre Ávilas vom geistlichen Leben und verortet diese plausibel im Kontext der spanischen Gesellschaft des 16. Jh.s. Kleine Desiderate wie der Wunsch nach einer expliziten Definition von »asketischer Spiritualität« schmälern nicht die Leistung der Arbeit. Der gut lesbare, sorgfältig Korrektur gelesene Text mit einem hilfreichen (Namen-)Register und einschlägigen Literaturhinweisen ermöglicht Theologen, Historikern und Hispanisten einen leichten Zugang. Dass die spanischen Quellenzitate modernisiert wurden, irritiert den (deutschen) Leser zunächst und ist wohl Verlagsvorgaben geschuldet, trägt aber ebenso zur Lesefreundlichkeit bei wie die Übersetzung spanischer Zitate ins Englische in Fußnote.
Der Einfluss Ávilas auf die Jesuiten, auf Theresa von Ávila, Johannes vom Kreuz u. a. sowie seine Rezeption des Trienter Konzils werden in der Arbeit angedeutet. Hier wäre die Einordnung des Denkens Ávilas in eine gesamteuropäische Spiritualitätsgeschichte wünschenswert – doch dies war nicht Aufgabe, Ziel und Möglichkeit der Arbeit, die eine vertiefende, weiterführende Studie zur Lehre vom geistlichen Leben des Johannes von Ávila und damit ein wichtiger Baustein der Spiritualitätsgeschichte des 16. Jh.s ist. Die Ankündigung Papst Benedikts XVI. im August 2011, er werde Johannes von Ávila zum Kirchenlehrer der römisch-katholischen Kirche ernennen, unterstreicht noch die Relevanz dieser Arbeit.