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Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

696–698

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Klueting, Edeltraud, u. Harm Klueting[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Fromme Frauen als gelehrte Frauen. Bildung, Wissenschaft und Kunst im weiblichen Religiosentum des Mittelalters und der Neuzeit. Öffentliche Internationale Tagung der Diözesan- und Dombi­bliothek Köln (1. bis 4. April 2009). Tagungsband.

Verlag:

Köln: Erzbi­schöfliche Diözesan- und Dombibliothek 2010. 376 S. m. Abb. gr.8° = Libelli Rhenani, 37. Kart. EUR 16,00. ISBN 978-3-939160-30-4.

Rezensent:

Esther Hornung

Die Herausgebenden stellen den Tagungsband »Fromme Frauen als gelehrte Frauen« in Kontinuität zu ihrem 2006 erschienenen Buch »Fromme Frauen – unbequeme Frauen? Weibliches Religiosentum im Mittelalter«. Kardinal Meisner betont in seinem apologetisch gehaltenen Vorwort, dass Frauen und Bildung in der Ge­schichte der (katholischen) Kirche keinen Widerspruch darstellen. »Man« bedürfe »keiner ›feministischen Theologie‹, um das zu er­kennen. »Man« müsse »nur ›genau hinsehen‹.« (9) Meisners Vorwort umreißt bereits Stärken und Schwächen des Buches.
Die Stärken liegen sowohl im gemeinsamen Oberthema, das einen großen Bogen von der Spätantike/Frühmittelalter bis heute erlaubt, als auch beim genauen Hinsehen in Bezug auf die Beitragenden: Georg Jenal beleuchtet in »Bildung und Wissen frommer Frauen in der Spätantike« (23–42) das Streben von sechs reichen aris­tokratischen Römerinnen im 4. bis 6. Jh. n. Chr. nach einem frommen und gebildeten Leben. Dabei zeigt er deren Beziehung zum sich formierenden koinobitischen Mönchtum auf. George Hardin Brown analysiert das Bildungsniveau von »Outstanding Religious Women Abbesses in Fourth-Century Mediterranean Lands and in Eighth-Century Northumbria« (43–59). Von archivarischer Expertise profitieren die Beiträge von Heinz Finger, Michael Embach und Helmar Härtel: Finger vermag »Spuren von Griechischkenntnissen in Frauenklöstern und Kanonissenstiften des frühen Mittelalters« (60–82) aufzuspüren. Es gelingt ihm, anhand der bedeutenden Reichsstifte Essen, Gandersheim und Chelles zu belegen, dass dort im Frühmittelalter Griechisch eine zentrale Rolle spielte. Im Laufe des Mittelalters jedoch hätten sich die quantitativen Spuren des Griechischen verloren, wobei einige qualitativ hochwertige Reste verblieben. Finger sieht den Grund dessen in der bedeutenden Po­sition dieser Konvente einerseits und im Fehlen der Mobilität von Frauenkonventen andererseits. Embach diskutiert in seinem Beitrag »Hildegard von Bingen (1098–1179)« (128–150) deren »kryp­tische Gelehrsamkeit« und »rhetorischen Sprachgestus«. Hierbei wirft er einen wohltuend sachlichen Blick auf die Äbtissin, indem er ihre Schriften »Scivias«, und »Liber compositae medicinae« so­-zial- und bildungsgeschichtlich einordnet. Illus­triert wird dieser Beitrag durch diverse Abbildungen. Einen spannenden Einblick in den Bildungsstand von Frauenklöstern ist Härtel mit »Fromme Frauen als Buchschreiberinnen und Buchmalerinnen im Sachsen des 12. und 13. Jahrhunderts im Spiegel ihrer kulturellen Schöpfungen« (151–192) gelungen: Indem er Handschriften aus Lamspringe, Neuwerk, Ebstorf und Lippoldsberg vergleicht, fördert er nicht nur die Beziehungen zwischen den Klöstern zutage, sondern auch kirchenpolitische Propaganda mittels Buchmalerei. Zahl­-reiche Bildbeispiele sind angehängt. Der Medizinhistoriker Klaus Bergdolt beleuchtet die »Heilkunde in mittelalterlichen Frauen­klöstern. Theologische, medizinische und pharmakologische Konzepte« (111–127).
Mit Elisabeth Hense und Edeltraud Klueting nähern sich zwei Terziarinnen der Frage nach Bildung bei mittelalterlichen Klosterfrauen aus unterschiedlichen Richtungen: Hense präsentiert »Hadewijch« als »eine theologische und mystische Schriftstellerin« (193–216). Dabei besticht der literaturkritisch angelegte Beitrag durch ausführliche Quellenzitate in Schrift und Bild, sowie systematisierende Tabellen. Klueting untersucht in »Fromme Frauen als Chro­-nistinnen und Historikerinnen« (217–230) die Funktion von Schwes­ternbüchern für die Geschichtsschreibung und Spiritualität in Frauenkonventen. Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass die Chronistik neben der ökonomischen Überlieferung auch der didaktischen Un­terweisung diente als Beförderung der Aufgabe der Memoria. Susanne Krauß kommt in »›In hoer hoexken ende in hoer boexken‹. Bildungsstandards in Frauengemeinschaften der Devotio Moderna« (231–253) zu einem ähnlichen Schluss: Obwohl die Devotio Moderna eine sehr heterogene Bewegung darstellte, habe es dennoch einige Gemeinsamkeiten gegeben: »Breite Kenntnis des Lateinischen, die tiefgehende theologische Studien überhaupt erst ermöglicht hätte, war weder üblich noch erwünscht.« (245) Zu viel Wissen galt als Laster. Lesen und Schreiben sollte der Kontemplation dienen.
Mit »Die gelehrten Jansenistinnen von Port-Royal« von Harm Klueting (253–273) und »›warffen auch mit latein stattlich umb sich‹: Die ›Englischen Fräulein‹ als Schulorden im 17. und 18. Jahrhundert« von Sr. Ursula Dirmeier CJ (273–295) werden zwei völlig disparate und doch in ihrer Verfolgungssituation vergleichbare frühneuzeitliche Frauengemeinschaften vorgestellt: Das Bildungs­ideal der Zisterzienserinnen von Port Royal war ursprünglich asketisch und pädagogisch motiviert: »wissen, Gott zu lieben und zu dienen« (261). Die eigentlichen intellektuellen Impulse gingen von den jansenistischen Gelehrten im Umfeld des Klosters aus. Im Zuge der Verfolgung kam dann in der Figur der »Historikerin« »Fran­çoise-Marguerite de Joncoux« (266) ein apologetisches Motiv hinzu, welches den intellektuellen Geist Port Royals schärfte. Dirmeier gibt einen Einblick in die gegenreformatorisch motivierten und doch für die damalige Zeit anstößigen Mädchenbildungsbestrebungen der Mary-Ward-Schwestern. Sie zeigt, welch schwierige Auswirkungen das Verbot der Schwesternschaft auf deren weitere Entwicklung in Bezug auf Gemeinschaft und pädagogisches Wirken bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation hatte. Der Aufsatz von Anneliese Kirchberg »Höhere Töchterschulen in und nach dem Kulturkampf. Bildung und Zivilcourage von deutschen Schwestern im ausgehenden 19. und 20. Jahrhundert« (296–312) argumentiert stark von Verfolgungsszenarien her. Auf dieser Folie wirken die wechselvollen Geschicke der »Schwestern Unserer Lieben Frau« über Französische Revolution, Kulturkampf, Nationalsozialismus und DDR hinweg wie eine Heldinnengeschichte katholischer Mädchenbildung. Der Beitrag von Monique Luirard »Enseignement et laïcité. Les religieuses ensei­-gnantes en France au XXe siècle« (313–328) bietet einen geschichtlichen Überblick über die spannungsvolle staatsrechtliche Diskussion und Stellung der katholischen religiösen Schulen im laizistisch organisierten Frankreich vom 19. Jh. an bis heute. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz schließt den Band mit einen systematischen Beitrag zu »Edith Stein – Philosophin und Karmelitin« (329–347) ab.
Die Schwächen des Buches liegen im konservativen Fokus auf Frauengeschichte und die zwar verständliche, aber doch zu schnelle Konzentration des Begriffes »fromme Frauen« auf »weibliche[s] Religiosentum«. Hat es etwa nicht auch außerhalb dessen fromme Frauen gegeben? Mir scheint, dass hier die Apologetik für das weibliche geistliche Gemeinschaftswesen und die assoziative Verbindung mit dem Vorgängerband diese Engführung hervorgerufen haben.