Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

692–694

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Steenberg, Matthew Craig

Titel/Untertitel:

Irenaeus on Creation. The Cosmic Christ and the Saga of Redemption.

Verlag:

Leiden/Boston: Brill 2008. XIV, 244 S. 24,4 x 16,8 cm = Supplements to Vigiliae Christianae, 91. Geb. EUR 101,00. ISBN 978-90-04-16682-0.

Rezensent:

Rolf Noormann

Die vorgelegte Studie basiert auf der Ph. D. Thesis des Vf.s, deren Titel ihren Inhalt genauer wiedergibt als der etwas blumige Buchtitel: »Cosmic Anthropology: Genesis 1–11 in St Irenaeus of Lyons, with special reference to Justin, Theophilus and select Gnostic contemporaries« (University of Oxford 2004). Der Vf. untersucht die irenäische Deutung von Genesis 1–11, erhebt freilich zugleich den An­spruch, erstmals eine umfassende Darstellung der irenäischen Schöpfungstheologie vorzulegen. Die Untersuchung orientiert sich an der irenäischen Rezeption von Gen 1–11: Der Vf. analysiert in den Kapiteln 2 bis 5 die irenäische Deutung der Schöpfungsgeschichte in Gen 1, der zweiten Darstellung der Erschaffung des Menschen in Gen 2, der Sündenfallgeschichte in Gen 3 sowie der re­zipierten Abschnitte aus Gen 4–11. Vorangestellt sind in Kapitel 1 grundlegende Aspekte der irenäischen Schöpfungstheologie, die sich keinem bestimmten Textabschnitt zuordnen lassen. Darüber hinaus nimmt der Vf. den historischen Kontext mit in den Blick, indem er als Referenzpunkte ausgewählte gnostische Quellen (insbesondere ApocJoh und EvVer), Justin und Theophilus sowie jüdische Quellen heranzieht (vgl. 9–20). Eine kurze Zusammenfassung schließt die Untersuchung ab. Im Anhang bietet der Vf. Hinweise zu den verwendeten Textausgaben und zur Datierung der irenäischen Schriften sowie tabellarische Übersichten zur irenäischen Verwendung von Gen 1–11 und der beiden Darstellungen der Er­schaffung des Menschen. Eine Bibliographie und ein Sachindex sind beigefügt.
Die Untersuchung folgt einem systematisch-theologischen An­satz, der in der Einleitung (1–9) vorgestellt wird: »Creation and the life of human race: The contours of Irenaeus’ cosmic anthropology.« Der Vf. begründet dies Verfahren mit einem grundlegenden me­thodologischen Problem: Irenäus besitze offenkundig eine »consis­tent theology of creation« (C. R. Smith), äußere sich aber nirgends konzentriert zu diesem Thema, vielmehr finde sich seine »investigation of creation […] everywhere throughout his works as a scat­-tered but consistent story« (1). Die Einzelheiten seiner »protological convictions« seien daher nur »through a synthesis of his varied comments on creation, cosmology and anthropology as scattered throughout his corpus« zu ermitteln (3 f.). Entscheidend für das Verständnis der irenäischen Kosmologie ist für den Vf. seine Interpretation der entsprechenden biblischen Texte, genauer: von Gen 1–11 (5). Weshalb der Vf. diesen Abschnitt zur Grundlage seiner Untersuchung macht und nicht Gen 1–2 allein oder die von Irenäus rezipierten biblischen Schöpfungsaussagen insgesamt, bleibt un­klar. Mit seiner Studie will der Vf. eine Forschungslücke schließen: Zwar werde die Zentralität der Schöpfung für die irenäische Theologie häufig betont, »yet to this day there exists no focussed attempt at reading the author’s varied cosmological and anthropological statements within a larger interpretive framework on creation and the human person« (4). Freilich folgt hier eine – notwendige – Präzisierung: »In the most definitive sense, it is not the cosmos that stands at the heart of his thought, but the human person« (6). Alle Bewegungen der Schöpfung seien durch die Menschheit bestimmt und auf sie bezogen, Ziel sei das menschliche Wachstum und Heil. »Cosmology is bound up in soteriology, and as soteriology is intrinsically bound up in the life of the human person, so does the whole thrust of creation become, in a word, anthropocentric« (6). Die menschliche Entwicklung aber finde ihren Höhepunkt im inkarnierten Jesus Christus. Hierin sieht der Vf. auch den Anthropozentrismus der irenäischen Schöpfungstheologie begründet: »For Irenaeus, the human person is at the centre of creation because Christ is the Lord of creation.« Seine Anthropologie sei deshalb »a ›cosmic anthropology‹.« (7) Umgekehrt sei »the story of ›man and the in­-carnation‹« der Rahmen, innerhalb dessen der einzigartige Ansatz der irenäischen Schöpfungslehre allein recht verstanden werden könne (8). Damit aber stehe sie zugleich in einer eschatologischen Perspektive, werde doch das Schöpfungshandeln Gottes am Menschen erst im Eschaton zur Vollendung gebracht (8 f.). Der skizzierte systematische Ansatz bestimmt die gesamte Darstellung, auch wenn sie weithin von den rezipierten Genesistexten ausgeht.
Das irenäische Verständnis der Schöpfung ist Gegenstand der ersten drei Kapitel. Das erste Kapitel: »Creation’s Stage: The Back-ground to Irenaeus’ Protology« (21–60) thematisiert drei aus der Tradition überkommene theologische Aspekte, die laut Vf. die irenäische Interpretation der biblischen Schöpfungsgeschichte be­stimmen: die Güte Gottes als »motivation and cause of creation« (22–38), die Vorstellung der Creatio ex nihilo (38–49) sowie den Chiliasmus (49-60). In den ersten beiden Aspekten sieht der Vf. die »two foundation stones of Irenaeus’ approach to creation« (49). Die platonischen Hintergründe der Verankerung der Schöpfung in der Güte Gottes werden freilich kaum reflektiert, obwohl der Vf. entsprechende irenäische Äußerungen anführt (33). Einen bemerkenswerten Akzent setzt er bezüglich der Lehre von der Creatio ex nihilo: Irenäus lehre die Erschaffung jedes einzelnen Geschöpfes aus dem Nichts, da der kosmologische Christus nur so tatsächlich jeden einzelnen repräsentieren könne. Der Chiliasmus wird berück­sichtigt, weil Irenäus, wie der Vf. mit Recht betont, die Schöpfung von vornherein in eschatologischer Perspektive sieht und Eschatologie und Protologie für ihn »two aspects to a single story« sind (49).
Das zweite Kapitel: »›The Work of His Hands‹: The Creation of the Cosmos« (61–100) ist der irenäischen Interpretation von Gen 1 gewidmet. Den Schwerpunkt bildet eine Analyse des ›trinitarischen‹ Ansatzes der irenäischen Schöpfungstheologie: »›Trinity‹? Creation as an act of Father, Son and Spirit« (62–84). Irenäus finde in Gen 1,26 die biblische Begründung für seine Überzeugung »that the unfolding cosmogony and anthropogony are the actions of this triune God« (84). Der Rest des Abschnitts ist der irenäischen Deutung weiterer Aspekte von Gen 1, insbesondere der heilsgeschichtlichen Interpretation der Schöpfungstage, gewidmet (84–100). Die Überschrift des Kapitels scheint irreführend: Faktisch geht es in den herangezogenen irenäischen Texten primär um die Erschaffung des Menschen, nicht des Kosmos. So dürfte auch die These des Vf.s unhaltbar sein, Irenäus rede keineswegs nur, wie in der Forschung meist vertreten, im Blick auf die Erschaffung des Menschen, sondern auch im Blick auf die Erschaffung der Welt von den »Händen Gottes« (vgl. 104 mit Anm. 11).
Thema des dritten und längsten Kapitels: »Dust and Life: The Creation of the Human Person« (101–152) ist »the ›second creation account‹« in Gen 2, der von Irenäus wie von Theophilus »as an expanded reflection on creation’s most potent event: the formation of humankind« verstanden werde (102). Nachdem noch einmal »the triune creation«, diesmal bezogen auf die Menschheit, thematisiert worden ist (103–108), erörtert der Vf. am Genesistext entlangge-hend grundlegende Aspekte der irenäischen Anthropologie. Den Schwerpunkt bildet hier die Formung des Menschen aus Staub der Erde und göttlichem Odem (111–138). Hier thematisiert der Vf. die großen kontroverstheologischen Themen zur Zukunft der menschlichen Sarx und zur Frage der anfänglichen bzw. zukünftigen Unsterblichkeit des Menschen. Weitere Aspekte sind die irenäische Deutung der Paradiessituation und des Verhältnisses des Menschen zur außermenschlichen Schöpfung (138–152).
Das vierte Kapitel: »History Transformed: Humanity’s Transgression« (153–193) untersucht Irenäus’ Interpretation von Gen 3, also der sog. Sündenfallgeschichte. Mit Recht betont der Vf., dass der menschliche Ungehorsam für Irenäus die Geschichte der Entwicklung des Menschen hin zur erst noch zu erreichenden Vollkommenheit zwar radikal verändert, aber nicht aufhalten kann. Das Verbot des Erkenntnisbaumes solle den Menschen dazu anleiten, seine schöpfungsgemäßen Grenzen einzuhalten, und sei daher weder Test noch Versuchung (154–169). Da der Mensch in seinem kindlichen Zustand leicht durch den Teufel zu täuschen sei, übertrete er das göttliche Gebot (169–176), bereue es jedoch sogleich (176–183). Die Antwort Gottes sei Ausdruck seiner umgreifenden Barmherzigkeit: Die Bestrafung des Menschen diene seiner Besserung und ermögliche seine zukünftige Rettung (183–192).
Das fünfte Kapitel: »Stumbling to Perfection: Life After Eden« (195–212) bietet einen kurzen Durchgang durch die irenäische Re­zeption von Gen 4–11, die zum eigentlichen Thema kaum noch etwas beiträgt. Die abschließende »Conclusion« (213–216) resümiert die irenäische Interpretation von Gen 1–3(11) im Horizont der drei in Kapitel 1 vorgestellten Grundvoraussetzungen seiner Schöpfungstheologie.
Insgesamt bietet der Vf. eine im Wesentlichen zuverlässige Darstellung der irenäischen Auslegung von Gen 1–3, die grundlegende Aspekte seiner Schöpfungslehre sowie seiner Deutung der »Sündenfallgeschichte« im Horizont seiner inkarnatorischen und heilsgeschichtlichen Theologie interpretiert, freilich kaum wesentlich neue Erkenntnisse zutage fördert. Christologische Bezüge wirken gelegentlich überzeichnet; nicht selten sind sie Folge der Herauslösung schöpfungstheologischer Aussagen aus christologisch-soteriologischen Zusammenhängen. Mit Recht stellt der Vf. jedoch heraus, dass die irenäische Theologie insgesamt und damit auch seine Schöpfungstheologie von der Erfahrung der Inkarnation und der Hoffnung auf die zukünftige Wiederherstellung der gesamten Schöpfung geprägt sind.