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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

94–99

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wahl, Heribert

Titel/Untertitel:

Glaube und symbolische Erfahrung. Eine praktisch-theologische Symboltheorie.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien-Herder 1994. 630 S. 8o. Kart. DM 78,­. ISBN 3-451-23153-0.

Rezensent:

Hans-Günter Heimbrock

Symboltheorien sind seit langem in verschiedenen theologischen und philosophischen Disziplinen, aber auch in Sozial- und Kulturwissenschaften zu Schlüsseltheorien avanciert. Allerdings ist nach einem wahren Boom von Veröffentlichungen, in welchen nicht selten Symbole zu Heils- und Zaubermitteln stilisiert wurden, seit einiger Zeit die kritische Prüfung und Bilanzierung im Gang. Das vorliegende opus magnum des bekannten Theologen und Psychoanalytikers, eine gekürzte Fassung (!) seiner 1993 von der katholisch-theologischen Fakultät München angenommenen praktisch-theologischen Habil.-Schrift (und nicht Diss., wie im CIP-Vermerk 4!), stellt bereits nach Umfang und Intention einen Beitrag zu grundlegender Klärung dar. Auf dem hier zur Verfügung stehenden Raum ist es nicht möglich, der sehr gediegenen Arbeit in allen grundlegenden Aussagen, geschweige denn der Fülle ihrer Einzelresultate gerecht zu werden. Stattdessen muß sich die Rezension auf Grundinformationen zum Inhalt sowie auf den Versuch eines Gesprächs mit dem Autor in wenigen, zentralen Fragen beschränken.

In einem ausgedehnten Gang 1 Einleitung: Auf der Suche nach dem Symbolischen ­ Prospekt einer Reise (13-87) umreißt der Vf. zunächst Absicht und Umriß seiner geplanten "Reise" in das Feld des Symbolischen. Die Arbeit beginnt mit einer tour d’horizon durch den neueren Forschungsstand, erörtert etymologische Befunde, markiert als praktisch-theologischen Theorierahmen den von Peukert, Mette u.a. entwickelten Ansatz einer auf emphatischem Praxisverständnis aufruhenden Handlungstheorie, dem die eigene Arbeit als "Theorie symbolischer Erfahrung" eingeordnet werden soll. Etwas unglücklich, weil immer wieder zu Vorgriffen gezwungen, erläutert Wahl dabei seine eigenen Intentionen. Im Unterschied zu inflationärem und eher beschwörendem Gebrauch des terminus "Symbol" intendiert die Arbeit eine reflektierte Auseinandersetzung, die gegen "Re-Mythifizierung" ebenso wie gegen "ideologische ’Diabolisierung’" gerichtet ist. Abgelehnt werden auch konkretistische oder überhistorisch-wesenhafte Bestimmungen des Symbols. Da nach W. das Spezifische des Symbolischen darin zu sehen ist, "daß emotionale Erfahrung psychisch in Vorstellungen und Gedanken transformiert wird" (35), soll als Erschließungshilfe zunächst und vor allem zeitgenössische Psychoanalyse herangezogen werden. Eine mit Hilfe dessen zu bewährende Hauptthese der Arbeit geht davon aus, "daß ein Bild... symbolisch, d.h. nicht vieldeutig, sondern bedeutungsreich, nur erfahren werden kann, wenn seine Botschaft... mit den subjektiven Bedürfnissen der Individuen auf authentische, nicht-entstellte Weise zusammenstimmen kann" (15). Im theologischen Interesse folgt später die weitere Analyse im kulturellen Kontext der "Lebensform christlichen Glaubens" (61).

Die "Psychoanalytische Grundlegung: Symbol und Beziehung ­ Symbol und Erfahrung" in Kap. 2 (88-247) vollzieht W. in vier Schritten. Auf der Grundlage neuerer "Selbstpsychologie" (vor allem Kohutscher Prägung) wie unter Einbeziehung moderner psa. Kleinkindforschung wird innere Strukturbildung auf Grund von Interaktionen und ihre fortschreitende Transformation als psychogenetische Basis des Umgangs mit symbolischen Repräsentanzen (= Bedeutungen) entwickelt. Es ergibt sich dabei, daß "Protodialoge" über generalisierende Modellszenen als "Basisstruktur für jede spätere symbolische Erfahrung" (112) anzusehen sind. Mit Hilfe von Bions genetisch struktureller Theorie des Denkens erschließt W. zweitens symboltheoretisch über Ric¦ur hinaus Neuland, indem symbolische Erfahrung in ihrer Verschränkung von kognitiven und emotinonalen Aspekten als Dialektik von Gegebenem und Entzogenem, als Denken und Erfahrung der Abwesenheit des symbolisch Präsenten, als Repräsentanz des nicht Anwesenden entwickelt wird. Im dritten Schritt wird mit Hilfe von Winnicotts Theorie der "Übergangsphänomene" der kreative Akt von Symbolbildung aufgezeigt. Indem auch W. die (theologisch schon mehrfach rezipierte) These von Kreativität und Spiel als Anfang von Religion aufnimmt, zeigt er jedoch gleichzeitig, wie solche individuelle Symbolproduktion gerade auf eine Basis von kulturellen Sinn-Vorgaben angewiesen bleibt. Viertens leitet W. von Lorenzers Interaktionstheorie die prozessuale Eigenart symbolischer Erfahrung vom Konzept der "szenischen Interaktionsformen" her. Eine ausführliche Zwischenbilanz hält in 13 Thesen und Erläuterungen noch einmal die wesentlichen Erträge und theologische Bezüge des Kapitels fest, so die Grundeinsicht, daß "Symbol" ein Relationsbegriff ist, der sinnvoll nur im Kontext von Interaktionen zwischen Subjekt und abwesendem Anderen gebraucht werden kann, daß also von vornherein von einer "triadischen Beziehungs- und Erfahrungsstruktur" (224) auszugehen ist.

Nach gründlicher psa. Analyse des Selbst als dem subjektiven Pol eines relational entwickelten Symbolbegriffs will W. im 3. Kapitel Hermeneutische Erprobungen: Symbol und Zeichen ­ Symbol und Metapher ­ Symbol und Mythos ­ Symbol und Symptom (248-498) mit Hilfe weiterer kulturwissenschaftlicher Konzepte das Selbst-Objekt in den Vordergrund rücken. Mittels semiotischer, linguistischer, philosophischer und nicht zuletzt tiefenpsychologischer Theorien werden Struktur und Funktion des Symbol-Zeichens herausgearbeitet. In differenzierten (und wiederum nicht ganz mühelos lesbaren) Referaten wird zudem einerseits die Parallelität und Anschlußfähigkeit vor allem der auf psa. Selbstpsychologie begründeten Symbolkonzeption herausgearbeitet, werden andererseits daran die jetzt herangezogenen Theorien gemessen, werden schließlich drittens praktisch-theologische Orientierungspunkte (z.T. in weit über jeweilige Theorie hinausgehender Weise) formuliert. Im gesamten Kapitel, das mit seinen vielen gründlichen Rekonstruktionen unterschiedlicher Symboltheorien eine eigene imposante Leistung innerhalb des Buches darstellt, wird nicht nur die zuvor genetisch erhobene Grundstruktur der Symbolerfahrung nun komparativisch weiter profiliert. Darüberhinaus gewinnt auch sukzessive W.s symbolkritisch verstandenes Konzept der "Diabole" (als Formeln, die sich bei genauerer Prüfung eben die Differenz unterschlagende Fehlform erweisen) genauere Konturen.

Die Gliederung mutet vielleicht etwas überraschend an, weil sie nicht theoriegeschichtlich, sondern eher sektoriell angelegt ist. Aus dem Blickwinkel selbstpsychologischer bzw. symboltheoretischer Betrachtung sind m.E. die theoriegeschichtlichen Leistungen der nur ausschnitthaft herangezogenen Konzeptionen nicht immer hinreichend gewürdigt. Diese Problematik zeigt sich z.B. am Umgang mit Ric¦ur, an dessen Hermeneutik des Doppelsinns Kritik geübt wird, jedoch auf der Basis eines völlig anderen psa. Theoriestands als desjenigen, auf den Ricoeur sich ­ insbesondere im Freud-Buch ­ bezieht. Das Entsprechende gilt für Cassirers strukturgenetische Kulturphilosophie und für die scharfsinnige Auseinandersetzung mit S. Langers Symboltheorie.

Prägnant wird im Abschnitt zu Freud die Spannung zwischen den Schwächen des im Wesentlichen am neurotischen Substitut orientierten Symbolverständnisses und zugleich der Leistung, die Genese und Bedingungen von Symbolpraxis genauer herausgearbeitet zu haben, verdeutlicht. Daß allerdings der kulturtheoretische und kulturkritische Ansatz auch der Symboltheorie Freuds nur en passant und in der Auseinandersetzung mit Lincke (zur Abwehr dessen überzogener Religionskritik) eher gestreift wird, dürfte mit einer Grundentscheidung W.s zusamenhängen (s.u.).

Auch die Rekonstruktion von Jung bietet scharfsinnige Kritik, die manche Leistungen, vor allem aber Schwächen der Symbolkonzeption aufweist: den Hang zum Dualismus und zur gnostische Spiritualisierung, weiter Subjekt-Verlust und Tendenzen zumTotalitätsdenken. Wie der Autor zeigen kann, setzt Jung an Stelle der für symbolische Erfahrung so bedeutsamen Differenz eine "Psychologie der Introversion"(489), die im Unbewußten aufgehobene Spaltung, welche in vermeintlicher Omnipotenz des Subjekts alle Bedürftigkeit negiert, gleichzeitig aber in unkontrollierbare Abhängigkeit von der Macht des Unbewußten gerät. Eingehend wird die implizite Theologie und gerade von Jung unterstellte Konvergenz zwischen Komplexer Psychologie und Katholischer Theologie und Frömmigkeit kritisiert.

Bei allen Rückfragen im Detail ist dieses gesamte Kapitel des Buches interessant und wegweisend, insofern für eine symboltheoretisch orientierte Psychoanalyse wie für Praktische Theologie die Notwendigkeit und Möglichkeit erwiesen werden, eigene Arbeit zu weiterer Profilierung (sprach-)philosophischer, semiotischer und kulturtheoretischer Reflexion zu unterziehen.

Die vorstehenden psychoanalytischen Erkundungen, in die zunehmend auch theologische Überlegungen eingeflossen sind, sollen im Kapitel 4 Praktisch-Theologische Konkretisierungen: Symbol und Glaubenspraxis (499-615) mit dem Interesse geprüft werden, ob und wie gut sich "das ’Muster’einer transzendental-pragmatischen Theorie symbolischer Erfahrung für eine praktisch werdende Theologie" eigne (501). Praktische Theologie wird hier entworfen und verfolgt in der Kombination von Rahner und psychoanalytischer Symboltheorie als Theorie der Ermöglichung gelungener Symbolpraxis. In Anlehnung an psychoanalytisch zentrale Begriffe der "Modellszene" bzw. der "Interaktionsszene" geht es jetzt um den Entwurf von "symbolischen Beziehungshandeln in einer gemeinsamen Modellszene gelingenden Lebens" (504). Das rückt Sakramententheologie und -praxis neu ins Blickfeld, darüberhinaus aber auf der Basishypothese einer durchgängig symbolischen Erfahrungsstruktur des Glaubens insgesamt alle Glaubenspraxis. Im Interesse des Interaktionsgedankens darf nach W. das mittels Symbol-Zeichen befreiende Erfahrung präsentierende Handeln der Kirche weder mit dem Handeln Gottes identifiziert werden, noch kann die Differenz zwischen aktuell individueller und lebensgeschichtlicher eigener Erfahrungsmatrix und tradierten Modellen fremder Erfahrung (und den in der Tradition u.U. deformierten Modellen) übersehen werden.

Die Darstellung verfährt hier in zwei großen Schritten. Zunächst wird Gestaltung christlichen Lebens als ’Koinonia’ in ihrer Funktion als ’Spiel-Raum’, als Selbstobjekt-Matrix, über kirchliche Binnenräume hinaus in gesellschaftlicher Wirksamkeit erörtert. Dabei fungiert Koinonia als kritischer Begriff der, ­ im Sinne der vorgetragenen Symboltheorie (!) ­ "eine nur symbolisch erfahrbare Gegenwirklichkeit" bezeichnet (517). Das schließt Kritik an den Möglichkeitsbedingungen realisierter communio-Erfahrungen und Selbst-Kritik an narzißtisch verengten Modellen von Gemeinde, die ihre Verpflichtung zu stellvertretender und irdisch nur fragmentarischer Symbolpraxis christlicher Freiheit aus dem Blick zu verlieren drohen, ausdrücklich ein.

Der größere Teil des Kapitels greift sodann eine der zentralen "Modell-Szenen" christlicher Symbolpraxis (Liturgie und Sakramente) auf und entwickelt sie als Ermöglichung von Beziehungserfahrung. "Die sakramentale Gemeinschaft verbindet mit dem abwesenden Jesus, der als Christus im Geist selbstobjektal präsent ist und anders nicht erfahren werden kann" (587). Im Sinne kritischer Unterscheidung zwischen ’Symbol’ und ’Diabol’ beharrt W. auch hier darauf, daß Sakramente als "Formen symbolischer Erfahrung" durchaus unterschiedlich gebraucht werden können. Psychoanalytisch wie theologisch ist darauf zu insistieren, daß "Bedeutungsgehalt" und "Praxisgestalt" zusammen gehören. Ziel gelungener Symbolerfahrung und -praxis ist Ermöglichung von Partizipation, die aber nicht durch belehrende diskursive Deutung herstellbar ist. Präzisierende theologische Überlegungen grenzen Sakramente als Vollzug symbolischer Erfahrung gelungener Transformation von Selbstobjekt-Beziehung ab gegen Einebnung der Differenz und des fundamentalen Bezugs auf Abwesenheit durch ’anthropologische Grundsymbole’ oder enthistorisierenden Verzicht auf den Rückbezug zum Ursprung in der "Ur-Modellszene" der Praxis Jesu. Um dies gerade zu wahren, ist trinitarische, insbesondere pneumatologische Auslegung notwendig.

Die Darstellung wird abgeschlossen durch Skizzierung pastoraltheologischer Konsequenzen in Thesenform. Dabei zeigt sich in vielen Hinweisen nicht nur die Praxisrelevanz sondern eben auch die fundamentaltheologische Leistungsfähigkeit des Ansatzes: Mit einer solchermaßen symboltheoretisch begründeten Theologie kann die schiefe Alternative in der Geltungsfrage zwischen Subjektivismus (Glaube bloß selbst gemacht) und Objektivismus (Glaube nur übersubjektive Tradition) als ebenso sachlich unangemessen wie praktisch unfruchtbar erwiesen werden. Die Rolle von Kirche wird in Analogie zu Winnicotts Beschreibung der ’hinreichend guten Mutter’ zur Gewährung von Übergangsräumen, in denen Lebenspraxis im Sinne Jesu erfahrbar wird, entworfen ­ freilich mit eschatologischem Vorbehalt, daß sie nicht selbst das Reich Gottes verwirklichen kann. Als "Grundthema" der Arbeit, das mit vielen "Variationen" vorgetragen wird, ergibt sich die Bemühung zu zeigen, wie Kirche durch erfahrbare Praxis "in der Fülle und Vielfalt ihrer symbolischen Modellszenen paradigmatisch die eine Ur-Szene immer neu schöpferisch ’einspielen’ und aktualisieren soll: die redemptiv-befreiende Verbindung des bedürftigen Menschen mit dem selbstobjektal-beziehungswilligen Gott Jesu Christi, der sie initiiert und durchträgt und sie zugleich ­ als wahre Liebes-Beziehung ­ dem Risiko schöpferisch freier Übernahme oder Ablehnung aussetzt" (614).

Der Autor stellt Leserinnen und Leser mit diesem sehr komplexen Werk vor eine gewiß mühevolle Aufgabe, und bei der Lektüre stellt sich mir gelegentlich die Frage, ob sich W. mit seinem sehr weit abgesteckten Programm nicht zu viel zugemutet hat. Allerdings ist über alle Rückfrage im Detail zunächst der in theologischer wie psychoanalytischer Hinsicht mannigfaltigen Leistung dieses Werkes Respekt zu zollen. Eine solch informierte, präzise und gediegene Darstellung steht in der an Publikationen nicht eben armen neueren Symbolforschung verschiedener Disziplinen einzigartig da ! Sie markiert einen Fortschritt in der Symboltheorie, insofern sie in einer breiten und differenzierten Analyse der Psychogenese von Symbolen aufgrund von Selbstpsychologie und vor allem aufgrund von Winnicotts Paradox den Zusammenhang von Symbolrezeption und -produktion zeigen kann. "Symbol-Zeichen" als "Träger potentieller symbolischer Bedeutung"(165) sind zu begreifen als produktive, transformatorische (nicht ersetzende !) Reaktion des Subjekts auf einen Mangel, als Gewahrwerden der Differenz, ohne die sie zu "Diabolen" werden.

Genau mit diesen Einsichten kann W. zugleich seine praktisch-theologische Symboltheologie entfalten. Auf der trinitarisch begründeten und angemessen relativierten Basis (vgl. die Fußnote 526!), daß Gott als empathische Matrix, als Transformation von frühen Selbstobjekt-Beziehungen interpretiert werden kann, entwirft W. als Aufgabe für Praktische Theologie, "Menschen durch eine ihnen gemäße, zuträgliche christliche Praxis zu symbolischer Erfahrung ihres Glaubens zu befähigen, die selber symbolische Praxis ist und wieder zu Glaubenspraxis führt." (69) Der Autor warnt vor dem vorschnellen Kurzschluß von der "Fundamentalpsychologie" zur "Fundamentaltheologie"; er selbst vollzieht den Brückenschlag zwischen beiden Bereichen gelegentlich erstaunlich rasch, etwa auch mit dem psychologisch gebrauchten Begriff des "Diabol". Die Psychoanalyse wird u.a. zwar hinsichtlich ihrer impliziten Theologie bzw. deren Säkularisaten kundig und präzise durchleuchtet ­ etwa beim "Mystiker" Bion oder dem "Amateurtheologen" Winnicott ­ aber im ganzen nicht theologisch kritisiert, sondern "konkretisiert". So werden psa. erhobene Zusammenhänge zunächst eher illustrativ schon durchlaufend in Kap. 2 kommentiert, dann ausführlich erst in Kap. 4 theologisch gewendet. Als sachlich zentrales und zukünftig weiter auszuarbeitendes Scharnier stellt er aber m.E. zu Recht den Zusammenhang einer psa. aufgewiesenen Qualität symbolischer Erfahrung als Differenzerfahrung und transzendentaltheologischen Konzepten von Rahner bis Peukert heraus.

Hinter dem gesamten Entwurf steht ein bestimmtes Korrelationsmodell. Die herangezogene Psychologie erhebt "menschliche Selbstobjekt-Bedürftigkeit" als "anthropologisch aufweisbare Grundstruktur" (477); diese kann theologisch beantwortet werden durch "Symbol-Zeichen als transformierte Selbstobjekt-Beziehung" (478). "Mit der durchgängigen Korrelierbarkeit von Selbstobjekt-Vorgabe und dem ’Zuvorkommen’ der Gnade (in der konkreten Lebenspraxis) erfährt die praktisch-theologische Zuspitzung auf die ’Pointe’ christlichen Erfahrungshandelns und pastoraler Praxis der Kirche (Rahners mystagogischer Grundintention entsprechend) auch inhaltlich-gestalthaft eine humanwissenschaftliche Fundierung und Präzisierung, deren Prinzipien, Strukturmerkmale und Kriterien sich ihrerseits auch theologisch sehen und verantworten lassen" (603).

Die Lektüre des Buches regt in alledem freilich auch zu Rückfragen an und lädt zum Weiterdenken in verschiedener Richtung ein.

1. Angesichts eines solchen opus magnum mit wahrhaft interdisziplinärem Ansatz die Frage zu stellen, was fehle, mag absurd klingen, läßt sich aber wohl dennoch nicht ganz umgehen. Und sie richtet sich nicht nur auf den fehlenden Sach- und Personenindex. Bei allem unverkrampft ökumenischen Horizont der Arbeit und allem erkennbaren Bemühen W.s um angemessene Einbeziehung neuerer protestantischer Symboltheologie wäre es für die eigene Arbeit hilfreich gewesen, auch neuere Interpretationen reformatorischer, insbesonderer lutherische Sakramentenlehre zum Zusammenhang von Wort und Wirkung aufzunehmen. In dieser Hinsicht ist mittlerweile von P. Biehl u.a. gründliche Arbeit geleistet worden. Angesichts der in symbol- wie entwicklungstheoretischer Hinsicht breiten Diskussion um Zusammenhänge zwischen emotionaler und kognitiver Entwicklung mag man ferner Bezugnahme auf Piaget vermissen. Aber die Arbeit ist insgesamt wohl so breit angelegt, daß in einzelnen Bereichen nicht immer der Diskussionsstand berücksichtigt werden konnte, etwa zur theologischen und religionspsychologischen Relevanz der Übergangsobjekte (Winnicott, vermittelt durch Pruyser), zur Ritualproblematik (Erikson), aber auch zur Symboldidaktik. Auch fällt auf, daß US-amerikanische Literatur im Bereich der Psychoanalyse sehr viel ausgiebiger herangezogen worden ist als in der Theologie.

2. Die Psychoanalyse wird (insbesondere mit Winnicott) zutreffend als Kulturtheorie bezeichnet, ihr Beitrag vor allem zur Rekonstruktion personaler und interpersonaler Beziehungen entfaltet. Religion wird als Teil kultureller Kommunikation thematisiert, wobei allerdings der Kulturbegriff noch unscharf und ­ trotz entsprechender Kritik an Winnicott ­ gefährlich individuumzentriert bleibt (vgl. 240, wo Gesellschaft und Kultur eher sekundäre Ausweitungen darstellen). Religionskritik als Kulturkritik Freuds wird nicht wiederholt. Und auch bei Lorenzer ist nicht primär die gesellschaftskritische Sozialisations- und Kulturtheorie akzentuiert.

Diese Einseitigkeit wiederholt sich auf der theologischer Ebene. Obwohl W. erklärtermaßen nicht binnenkirchliche Theologie entwickeln will, steht Gemeinde in seinem Entwurf etwas isoliert da. Wäre nicht, so möchte ich fragen, für die Erneuerung christlicher Symbolpraxis auch die Frage nach den gesellschaftlichen Zerfallsmechanismen von Symbolen im Prozeß der Moderne erheblich ? Daß es in sozialgeschichtlicher und alltagsweltlicher Hinsicht betrachtet Bedingungen von "Symbolverarmung"und "Zerstörung der symbolischen Erfahrung .. durch gesellschaftlich-kulturelle und kirchliche ’Produktion von Unbewußtheit’"(541) gibt, wird lediglich genannt, anders als etwa bei Freud und Lorenzer jedoch nicht weiter verfolgt. W. "setzt auf die Möglichkeit, Beziehungserfahrungen modellhaft-analog zu szenisch konfigurierten Symbol-Zeichen umzugestalten" (611). Nicht eingehender analysiert, (wenn auch oft genannt) werden aber gesellschaftliche Wirklichkeiten, Bedingungen, die dieser Möglichkeit gegenüberstehen. Bei allem Recht der These 609, in der W. auf Reklamation von Symbolunfähigkeit als kirchliche Abwehrstrategie verweist, frage ich: Hätte nicht praktisch-theologische Symboltheorie stärker zugleich kritisch nach den Zwängen und Begrenzungen, die zu eingeschränkter Erfahrungsfähigkeit führen, zu fragen ?

3. Versucht man, sich dem in der Arbeit entwickelten Verständnis Praktischer Theologie in methodologischer Hinsicht zu nähern, so gibt es unterschiedliche und z.T. in Spannung zueinander stehende Stränge der Argumentation. W. tritt mit Peukert und Mette bereits im 1. Kapitel (68 u. 69) für eine Handlungstheorie mit emphatischem Praxisverständnis und der Erweiterung des ekklesiologischen Horizonts ein. Für den Autor legt sich allerdings später ­ im 4. Kapitel ­ "symboltheoretisch eine modifizierte kommunikations- und handlungswissenschaftliche Konzeption nahe". Die eigene Arbeit wird dabei als "kritisch-,transzendentalpragmatische’ Reflexion der Ermöglichung bzw. Behinderung symbolischer Erfahrungspraxis" bezeichnet (499). Jedoch beruft er sich dabei merkwürdigerweise ausdrücklich auf das Modell funktionaler Handlungstheorie sensu Zerfaß (1974), das von Peukert (zumindest implizit) kritisiert worden ist.

Zugleich enthält jedoch die weitere Durchführung insbesondere des pastoraltheologischen Schlußkapitels interessante Anregungen in handlungstheoretischer Sicht, die ebenfalls zu notieren sind. Dort gibt es zumindest Ansatzpunkte, das handlungstheoretische Paradigma, auf das sich W. als Theorierahmen explizit beruft, implizit zu überschreiten oder zumindest zu modifizieren. Dies geschieht einmal mit Schneiders Gemeindetheorie, womit über die Psychoanalyse hinaus als Ausgangspunkt christlicher Praxis menschliche Grundbedürfnisse nach Beziehung und Möglichkeit der Aushandlung einbezogen werden (vgl. 522). Es geschieht zum anderen dort, wo die Darstellung mit Volp in den Überlegungen zur Sakramentenlehre darauf insistiert, daß die angemessene Wahrnehmung symbolischen Handelns den Aspekt der Situation stärker berücksichtigen muß (vgl. 558). Es wäre lohnend, die damit jeweils angedeuteten Linien methodologisch weiter auszuziehen.

4. Der kirchlichen Praxis ins Stammbuch schreibt W.: "Kultiviert werden muß nicht das mitgebrachte... Bedeutungswissen, sondern der Übergangs-Erfahrungsraum selbst" (591). Die Stoßrichtung dieser These, daß intellektuelle Klärung über die Bedeutung von Symbolen, zumal in Bezug auf Gottesdienst und Liturgie, lebendige Partizipation an dem, worauf auch theologische Information immer nur verweisen kann, eher verhindert, ist deutlich und zu begrüßen. Eines der praktisch-theologischen Probleme dieser gewichtigen und wegweisenden Arbeit dürfte aber darin liegen, zukünftig die entsprechenden Gestaltungsformen einer "Praxis-Elementarisierung" (376) zu finden.