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Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

680–682

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Rabens, Volker

Titel/Untertitel:

The Holy Spirit and Ethics in Paul. Transformation and Empowering for Religious-Ethical Life.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XVI, 378 S. 23,5 x 15,2 cm = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 283. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-149895-4.

Rezensent:

Folker Blischke

Das Lesen oder Hören der paulinischen Briefe evoziert immer die Frage, wie die vielfältigen ethischen Maßstäbe und konkreten Einzelmahnungen in der ethischen Praxis des in Christus Lebenden umgesetzt werden können: Wie stellt sich Paulus den mit der Taufe einsetzenden Prozess der ethischen Neuorientierung vor, und mit welchem Verständnis werden seine Adressaten die paulinischen Mahnungen gehört haben? Die von Volker Rabens an der London School of Theology eingereichte und nun veröffentlichte Dissertation rückt die Vorstellung des Geistes und seines Wirkens in den Mittelpunkt der Beantwortung dieser Frage. Ausgangspunkt ist dabei die insbesondere durch die religionsgeschichtliche Schule eingebrachte und bis heute in der paulinischen Forschung verbreitete Grundannahme einer stofflich-materiellen Natur des Geistes, der die Getauften erfüllt und ihr Sein grundlegend verändert. Da die darin übereinstimmenden Forschungspositionen Be­griffe wie »Substanz« oder »ontologisch« gleichwohl unterschiedlich definieren, führt der Vf. diese unter dem Modell »Infusion-Transformation« zusammen.
In einem ersten Hauptteil der Studie verfolgt der Vf. das Ziel einer umfassenden Klärung, ob die paulinische Vorstellung des Geistwirkens in der Ethik tatsächlich mit dem Verständnis von »Infusion-Transformation« adäquat beschrieben werden kann. Dafür wird zuerst kurz der hellenistische (25–35) und ausführlicher der jüdische (35–78) Vorstellungshorizont des Geistbegriffs untersucht. Zwar lässt sich insbesondere in der stoisch geprägten Philosophie das Konzept eines Geistes als materieller Substanz nachweisen, doch Verbindungslinien des Geistgedankens in den ethischen Bereich im Sinne einer Transformation des Einzelnen bestehen nicht. Bei der Untersuchung jüdisch geprägter Schriften wie der Septuaginta, den Qumranschriften sowie Joseph und Aseneth wird das Fehlen jedweder Spekulation über einen materiellen oder immateriellen Charakter des Geistes konstatiert, die sich allein bei Philo zeigen lässt. Diejenigen Stellen dieser Schriften, die von den Befürwortern eines »Infusion-Transformation-Modells« als Beleg für ihre These herangezogen werden, charakterisiert der Vf. als methaphorische und symbolische Sprache, so dass keine Hinweise auf die Vorstellung einer ontologischen Transformation nachzuweisen sind. Damit ist für das Modell von »Infusion-Transformation« weder ein hellenistischer noch ein jüdischer Hintergrund belegbar. Die daran anschließende Untersuchung einiger zentraler Paulustexte aus dem 1. Korintherbrief (6,11; 10,3–4; 12,13; 15,44) führt zu dem Ergebnis, dass für Paulus an keiner Stelle der Gedanke eines substanzhaften Geistes nachgewiesen werden kann, der die Ge­tauften seinshaft verändert (80–120). Gleichwohl zieht der Vf. die Möglichkeit in Betracht, dass die paulinischen Aussagen über den Geist in der Rezeption durch die Adressaten im Sinn von »Infusion-Transformation« verstanden werden konnten.
Da sich das seit der religionsgeschichtlichen Schule verbreitete Modell als nicht tragfähig erwiesen hat, wird in einem zweiten Hauptteil ein neuer Zugang entwickelt: »Religious-Ethical Em­-powerment by the Relational Work of the Spirit« (121). Hauptthese dieses Ansatzes ist die Vorstellung, dass in der paulinischen Theologie der Geist relational wirkt: Er führt den Getauften näher zu Gott und zur Gemeinde. Der Geist bewirkt damit die Transformation der Beziehung (relationship) zu Gott und Christus auf eine neue Ebene, wodurch der Getaufte zu neuem ethischen Handeln ermächtigt (empowerment) wird. Zur Einführung dieser These wird in einem ersten Kapitel dieses zweiten Hauptteils (121–145) umfassend dargelegt, welch überragenden Stellenwert der Gedanke eines Beziehungsverhältnisses sowohl zu Gott als auch zu den Mitgetauften in allen wichtigen Begriffen des paulinischen Denkens besitzt. Erst die relationale Kategorie der transformierten Beziehung lässt die paulinische Vorstellung der mit der Taufe und dem Sein in Christus beginnenden umfassenden Veränderung des Menschen verständlich werden, aus der dann die Fähigkeit eines veränderten ethischen Handelns erwächst. Zur Unterstützung seiner These weist der Vf. im darauf folgenden Kapitel nach, dass dieses relationale Verständnis eines »intimate relationsship with God and with the community of faith« (170) als Grundlage ethischen Handelns bereits bei Philo, in Qumran und anderen mit Ez 36 verbundenen Texten in Ansätzen erkennbar ist. Die konkrete exegetische Verifizierung der These wird im dritten Kapitel des zweiten Hauptteils vollzogen, in dem ausgehend von 2Kor 3,18 die ethische Transformation durch die geistgewirkte neue Beziehung zu Gott sowie auf Basis von Röm 8,12–17 die Ermächtigung zum ethischen Handeln ( ethical empowerment) herausgearbeitet wird. Der Geist beeinflusst das neue ethische Handeln dabei nicht nur durch die transformierte Beziehung zu Gott, sondern ebenso durch die enge Einbindung des Einzelnen in die Gemeinde, in der die Geistgaben zum ethischen Leben beitragen.
Die Implikationen dieses neuen relationalen Zugangs zur Verbindung von Geistwirkung und Ethik für die paulinische Pneumatologie und Ethik werden dann im zusammenfassenden 3. Hauptteil gezogen, an den sich als Appendix ein über 50 Seiten umfassender Forschungsbericht anschließt.
Die ausführliche Auseinandersetzung mit der materiell-substanzhaften Vorstellung des Geistes und einer seinshaften Veränderung des Getauften sowie der neu entwickelte relationale Zu­gang zum Verhältnis von Geist und Ethik bei Paulus bilden einen wertvollen Beitrag zur Erforschung der nach wie vor umstrittenen Frage, wie Paulus sich selbst den Vollzug seiner ethischen Mahnungen vorgestellt hat. Die Kategorie der Beziehung eignet sich hervorragend, den dynamischen Charakter des neuen Seins in Christus zu beschreiben, das mit einem erneuerten ethischen Handeln verbunden ist. Die Vorstellung einer vom Geist gewirkten um­fassenden Transformation der Gottesbeziehung macht es zu­dem möglich, die alles umfassende Verbindung von Gott und Mensch im paulinischen Gedanken des Seins in Christus zu denken. Gleichwohl schließt m. E. der Beziehungsgedanke nicht aus, dass der vom Geist erfüllte Getaufte tatsächliche ontologische Veränderung erlebt. Angefragt werden könnte auch die eingeschränkte Auswahl der Texte mit hellenistischem Hintergrund, da sich im Blick auf eine Transformation der ethischen Möglichkeiten ver schiedene andere Vergleichstexte wie z. B. von Epiktet anbieten würden. Davon ausgehend ließe sich überlegen, ob Paulus die mögliche Rezeption seiner Theologie im Sinne von »Infusion-Transformation« bewusst oder unwissend in Kauf genommen hat.
Eine weitere Stärke des Buches besteht im klaren methodischen Zugang und der übersichtlichen, teilweise durch Skizzen unterstützten Aufbereitung der Thesen. Ohne in Wiederholungen zu verfallen, ist die Übersichtlichkeit beispielhaft. Über die vollständigen Indizes lässt sich zudem der ausgewogene und durchdachte Umgang des Vf.s mit Quellen und Sekundärliteratur gut nachvollziehen.