Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

675–677

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jackson, T. Ryan

Titel/Untertitel:

New Creation in Paul’s Letters. A Study of the Historical and Social Setting of a Pauline Concept.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XIII, 232 S. 23,0 x 15,4 cm = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 272. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-149999-9.

Rezensent:

Folker Blischke

Die Rede von der »Neuen Schöpfung« gehört zu den einprägsamen und wirkungsgeschichtlich bedeutenden theologischen Aussagen des Apostels Paulus, gleichwohl er den Begriff καινὴ κτίσις allein in Gal 6,15 und 2Kor 5,17 verwendet. Den theologischen Inhalt des mit diesem Begriff verbundenen Konzeptes im Denken des Apostels Paulus und seine Funktion innerhalb der Briefargumentationen möchte T. Ryan Jackson in seiner an der University of Cambridge unter der Betreuung von Graham N. Stanton entstandenen und nun veröffentlichten Dissertation neu verständlich machen.
Ausgangspunkt ist eine kritische Durchsicht der Forschungspositionen seit der Reformationszeit, die sich grundsätzlich auf zwei verschiedene Ansätze zurückführen lassen. Das aktuell insbesondere von M. Hubbard vertretene kosmologische Verständnis be­wertet den Begriff der neuen Schöpfung im Gesamtzusammenhang von Schöpfung und Erneuerung der gesamten Welt. Demgegenüber identifiziert die u. a. von U. Mell befürwortete anthropologische Interpretation die neue Schöpfung als ein den jeweils Einzelnen veränderndes Geschehen. Als eine Unterkategorie der an­thropologischen Sichtweise wird die Neuschöpfung des Einzelnen bei manchen paulinischen Auslegern auf die erneuerte Gemeinschaft erweitert, so dass von einer anthropologisch-kollektiven Deutung zu reden ist. Gegen diese sich jeweils allein auf einen Blickwinkel beschränkenden Interpretationen entwickelt der Vf. seine These, das Konzept der neuen Schöpfung als Ausdruck »of his eschatolo­gically infused soteriology which involves the individual, the community and the cosmos« (6) zu verstehen. Alle drei Dimensionen gehören im Denken des Apostels Paulus als Aspekte seiner Soteriologie zusammen. Sie haben ihren gemeinsamen Ursprung in der jü­dischen Tradition und erhalten ihre Ausprägung in der Auseinandersetzung mit der imperialen Ideologie der römischen Kaiserzeit.
Als Beweis dieser These wird in einem 1. Hauptteil der historische und soziale Kontext der neuen Schöpfung im Alten Testament (Kapitel 2), in der frühjüdischen Literatur (Kapitel 3) und in der imperialen Ideologie (Kapitel 4) analysiert. Hauptzeuge für die Vorstellung der neuen Schöpfung im Alten Testament ist das Buch des Propheten Jesaja, das vom Vf. in Anlehnung an das vorausgesetzte pauli­nische Verständnis als einheitlich interpretiert wird. Nach der Analyse der direkt vergleichbaren Vorstellungen des neuen Himmels und der neuen Erde in Jes 65,17; 66,22 kann auf diese Weise dargestellt werden, dass das bei Deuterojesaja stärker anthropologisch interpretierte erneuernde Handeln Gottes gleichberechtigt neben der bei Tritojesaja vorherrschenden Sicht der Erneuerung des Kosmos steht. Diese anthropologisch-kosmologische Verbindung des Jesaja-Buchs ist für den Vf. das Fundament, auf dem das paulinische Konzept der neuen Schöpfung aufbaut. Die sich im nächsten Kapitel anschlie ßende Darstellung des Einflusses apokalyptischer Schriften im Frühjudentum und die Analysen des Jubiläenbuches sowie ausgewählter Schriften der Qumranliteratur können belegen, dass sich in den frühjüdisch bezeugten eschatologischen Erwartungen von Gottes Eingreifen ebenfalls »a strong connection between the cosmol­o­gical, communal an anthropological emphases« (58) findet. Neben dieser bedeutenden Gemeinsamkeit besteht aber der Unterschied, dass die paulinische Eschatologie Teil seiner mit Kreuz und Auferstehung manifestierten Soteriologie ist. Stellen das Jesajabuch und die frühjüdischen Texte also den Traditionshintergrund des paulinischen Vorstellungskreises von der Neuen Schöpfung dar, so bildet die imperiale Ideologie der römischen Kaiserzeit die Negativfolie, da sich Paulus mit ihr intentional auseinandersetzt. Für den Vf. wuss­te Paulus darum, dass der mit dem Römischen Reich einsetzende Friede von Teilen der Bevölkerung als Beginn einer neuen Welt verstanden wurde. Dieser Vorstellung stellt Paulus sein Konzept einer in das soteriologische Rettungswerk Christi integrierten neuen Schöpfung entgegen.
Im zweiten Hauptteil des Buches werden die direkten paulinischen Belege der neuen Schöpfung in Gal 6,11–18 (Kapitel 5) und in 2Kor 5,11–21 (Kapitel 6) sowie die inhaltliche Parallele in Röm 8 (Kapitel 7) analysiert. Der Vf. geht davon aus, dass der Begriff καινὴ κτίσις in Gal 6,15 bei den galatischen Hörern kosmologisch als Neue Schöpfung verstanden wurde, die mit Tod und Auferstehung Chris­ti bereits begonnen hat. Dieser christologische Fokus inkludiert aber zugleich die Auswirkung des kosmologischen Ereignisses auf den jeweils Einzelnen. Die Verbindung von anthropolo­gischer und kosmologischer Sicht wird auch in 2Kor 5,17 deutlich. Hier hat zwar das anthropologische Verständnis ein Übergewicht, doch lässt sich mit Verweisen auf Jesaja zeigen, dass die Neuschöpfung des Einzelnen zugleich die Transformation in eine neue Seinsweise darstellt, die kosmologisch zu denken ist. Das neue Leben in Christus »means to have transferred from the life of the old age to the life of the new through participation in Christ’s own death and resurrection« (143). Wie der Gegensatz zur imperialen Ideologie und die Verbindung zu Jesaja zeigen, ist καινὴ κτίσις auch hier Ausdruck der eschatologisch beeinflussten Soteriologie des Apostels. Auch wenn der Begriff der neuen Schöpfung nicht im Römerbrief erscheint, nimmt für den Vf. auch Röm 8 den paulinischen Gedanken auf, dass sich das Erlösungshandeln Christi auf den Kosmos und den Menschen bezieht.
Mit ihrer argumentativen Kraft gelingt es der vorgestellten Studie, die Interpretationsalternativen kosmologisch und anthropologisch zu überwinden und in einer eschatologisch geprägten Soteriologie zusammenzuführen. Damit folgt der Vf. einer Tendenz der neueren Paulusforschung, jenseits strikter Alternativen den Deutungsreichtum der paulinischen Theologie in der Christologie zu vereinen. Anzufragen ist dabei allerdings, ob die stark betonte Einheitlichkeit der paulinischen Vorstellung der καινὴ κτίσις bei einem stärkeren Einbezug der jeweiligen Gemeindesituation nicht etwas zurückhaltender zu bewerten ist. Positiv hervorzuheben ist weiterhin der Versuch, die allgemeine Vorstellung einer imperialen Ideologie zu erhellen und ihren Einfluss auf die von Paulus in­-tendierte Rezeption seiner Schriften zu prüfen. Dem Vf. gelingt es überzeugend, die von Paulus durchgeführte Implementierung jü­discher Traditionen in das kulturelle Milieu der griechisch-rö­mischen Welt aufzuzeigen. Während die detailreiche Erhellung des frühjüdischen Hintergrundes und die vorsichtigen Überlegungen zum apokalyptischen Einfluss ausgesprochen positiv zu bewerten sind, sollte die Methode angefragt werden, das Prophetenbuch Jesaja allein synchron in der vermuteten Sicht des Paulus zu interpretieren. Aufgrund der darin enthaltenen großen Vielfalt an Vorstellungen besteht die Gefahr, dass das Ziel der Untersuchung das Ergebnis bestimmt. Auch mit diesen Anfragen ist »New Creation in Paul’s Letters« ein lesenswertes und durch die vollständigen Indices leicht zu erschließendes Buch, das den Gedanken der Neuen Schöpfung als einen wichtigen Baustein der paulinischen Theologie fundiert und überzeugend erschließt.