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Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

669–671

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rüttenauer, Alban

Titel/Untertitel:

»Und ihr wollt das Land besitzen?« (Ez 33,25). Ezechiels Umgang mit repräsentativen Redensarten.

Verlag:

Würzburg: Echter 2011. 399 S. 23,3 x 15,3 cm = Forschung zur Bibel, 124. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-429-03384-2.

Rezensent:

Anja Klein

Die bei F. Sedlmeier an der Universität Augsburg angefertigte Dissertation beschäftigt sich mit Ezechiels Umgang mit repräsentativen Redensarten. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die öfter gemachte Beobachtung, dass volkstümliche Redensarten an thematisch wichtigen Stellen im Buch aufgegriffen werden. R. bedient sich eines kompositionskritischen Zugangs, um ausgehend von einer sprachlichen Analyse zu entscheiden, »ob die Redensarten eine gemeinsame Funktion besitzen, die sie für den Aufbau des Buches und seine theologische Botschaft erfüllen« (33). Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wird weiter gefragt, ob sich thema­tische Schwerpunkte erkennen lassen, wobei der Titel der Unter-suchung »›Und ihr wollt das Land besitzen?‹ (Ez 33,25)« bereits an­zeigt, dass der Landthematik besondere Bedeutung zugemessen wird. Mit dieser Themenstellung schließt die Dissertation eine Forschungslücke, da sämtliche im Ezechielbuch zitierten Aussprüche erstmals zusammen untersucht und in ihrer Bedeutung für die Gesamtkomposition ausgewertet werden.
Die Arbeit gliedert sich in drei Hauptteile. In der Einleitung (A., 15–35) werden im Anschluss an Einzelheiten zur formalen Gestaltung (15 f.) das Thema (17–26) und die methodischen Grundlagen (26–35) abgesteckt. Den Untersuchungsgegenstand bilden die »re­präsentativen Redensarten«, in denen die Adressaten der prophe­tischen Botschaft selbst zu Worte kommen. Der Begriff geht auf die von D. R. Clark (The Citations in the Book of Ezekiel, Nashville/ Tennessee 1984) eingeführte Kategorie des repräsentativen Zitats zurück, wobei R. aber ein weiter gefasstes Verständnis zu­grundelegt. Neben dem repräsentativen Charakter der Sprecher zieht er auch den redensartlichen Zug des Ausspruchs als Kriterium hinzu: »Zusammenfassend lassen sich die Redensarten also folgendermaßen charakterisieren. Durch die Einleitung werden sie zu Zitaten von konkreten Sprechern bestimmt, für deren Einstellung und Wesensart sie einen repräsentativen Charakter haben. Sie gehen über eine bestimmte, sie veranlassende Situation hinaus, indem sie eine allgemeine Deutung derselben bringen, durch die sie einer grundsätzlichen Lebensauffassung dienen sollen« (25 f.). Für die Untersuchung der einzelnen Redensarten verwendet R. einen kompositionskritischen Ansatz, den er in der Abwandlung eines Zitats von U. Berges als »diachron reflektierte und Diachronie reflektierende Synchronie« (26) beschreibt. Zwar wird die Literarkritik in der Kontextanalyse der jeweiligen Redensart nicht völlig vernachlässigt (26), aber angesichts der von R. konstatierten Probleme in der gegenwärtigen redaktionsgeschichtlichen Forschung soll das Modell von Zimmerli den Ausgangspunkt für die Analyse bieten. Mit dem Schwerpunkt auf der Kompositionskritik versteht sich die Studie als »nützliche Vorarbeit« (32) für folgende Untersuchungen der literarischen Funktion der Zitate. Was die historische Einordnung betrifft, rechnet R. zwar mit der Möglichkeit, dass die Texte nicht gleichzeitig mit den beschriebenen Ereignissen entstanden sind, aber diese Prämisse wird vorstehend da­durch eingeschränkt, dass grundsätzlich die Exilszeit als Sitz im Leben für diese Redensarten postuliert wird (22).
Der Hauptteil umfasst die Analyse der einzelnen Sprüche (B., 36–346) in jeweils vier Untersuchungsschritten: Am Anfang steht die Kontextanalyse, an die sich eine Übersetzung der Redensart mit textkritischen Anmerkungen anschließt. Darauf folgt eine detaillierte sprachliche Untersuchung des Spruches, während ein ab­schließender Abschnitt das inhaltliche Deutungspotential behandelt. Wo es sachdienlich erscheint, ist dieser Aufbau in einzelnen Fällen durch einen Exkurs erweitert, der sich z. B. bei Ez 11,15 mit den konkurrierenden Begriffen »Boden Israels« und » das Land« befasst (122–131) und in der Erörterung über die einzelne Redensart hinausgeht. Für den Hauptteil, der direkt in die Analyse der 38 einzelnen Sprüche einsteigt, wäre ein kurzer einleitender Abschnitt zum Textmaterial und seiner Verteilung in der Gesamtanlage des Buches hilfreich gewesen. Darauf geht allerdings ausführlich der abschließende Ergebnisteil ein (C. Gesamtaufbau der Redensarten und ihre theologische Aussage, 347–375).
Dieser stellt den Ertrag der Arbeit in sechs Unterabschnitten dar. Am Anfang steht die These, dass die Redensarten mit der Struktur des ganzen Buches verknüpft seien, wobei sie zumeist in antithetischem Verhältnis zu Ereignissen und Visionen des weiteren Zusammenhangs stünden (347–349). Den kompositorischen Höhepunkt bilde die Redensart in Ez 37,11, in der sich die resignierte Stimmung der Exulanten äußere, die als Bedingung für die An­-nahme der Heilsbotschaft zu interpretieren sei (350). Von hier aus entwickelt R. den Aufbau und Zusammenhang der Redensarten untereinander (352–361): Er stellt eine Verbindung zwischen den Sprichworten am Anfang und denen relativ am Ende fest, wobei die Mitte durch die Redensart in Ez 24,19 gebildet werde (355 f.). Von diesen Eckpunkten ausgehend entwickelt er eine Gliederung in fünf Blöcke, die als »Akte« bezeichnet werden (357) und in denen sich die Entwicklung des eigenen Volkes und besonders der Exilsgemeinde abzeichne (356). Als sprachliche Besonderheit der Re­densarten wird anschließend der grammatische Personengebrauch hervorgehoben (363–365). Der Abschnitt »Theologische Aussage in Hinblick auf Bewältigung der Krise des Exils« (365–372) stellt im Anschluss heraus, dass inhaltlich die Erneuerung des Volkes von den Exilierten her im Mittelpunkt stehe (366). Das Land als Verheißungsziel bleibe Hauptbezugspunkt (367), wobei es aber als etwas Heiliges dargestellt werde, dessen Inbesitznahme wie der Zugang zum Heiligtum an bestimmte Bedingungen geknüpft sei.
Abschließend entwirft R. »Ezechiels Heilsdialektik entlang der Redensarten« (372–375). Un­terschieden werden drei Phasen in Ezechiels Programm, die von der Überwindung falscher Widerstände über die Bewahrung der eigenen religiösen Identität zur Offenheit für die überraschenden Wege Gottes führten. Eine Zusammenfassung der Hauptaussagen in Thesen (376–379), ein Stellenregister sowie das Literaturverzeichnis beschließen die Arbeit.
Die Stärke der Studie liegt in der kompositionskritischen Zu­sam­menschau sämtlicher Redensarten, die einen wertvollen Beitrag für das Verständnis des Buches leistet. In der weitgehenden Beschränkung auf diese methodische Ausrichtung, der in forschungsgeschichtlicher Hinsicht die Orientierung am Modell von Zimmerli entspricht, liegt nach Meinung der Rezensentin aber auch eine Schwäche der Arbeit. So findet eine Auseinandersetzung mit der neueren Forschung nur in Ansätzen statt. Aktuelle Diskussionspunkte wie z. B. das Verhältnis von Pap. 967 und MT werden nur gestreift, ohne dass daraus Konsequenzen für die eigene literarische Analyse gezogen würden (370 f.). Dabei wäre die abweichende Stellung der Kapitel 38 f. in Pap. 967, die hier anders als im MT vor dem von R. postulierten Höhepunkt 37,11 stehen, nicht ohne Relevanz für die Fragestellung. Es sei auch generell die Anfrage erlaubt, ob die Ergebnisse der kompositionskritischen Studie mit einer literarhistorischen Differenzierung nicht deutlich an Profil gewonnen hätten. So stellt sich z. B. im Hinblick auf den für sämtliche Redensarten vorausgesetzten exilischen Sitz im Leben die Frage, ob das Deutungspotential der Redensarten nicht gerade in ihrer Übertragbarkeit auf spätere historische Situationen wie die Dias­pora liegt. Fairerweise muss allerdings noch einmal betont werden, dass R. seine Arbeit als »Vorarbeit« für weitere Analysen angelegt hat – umso mehr sei der sorgfältigen Aufarbeitung des Materials in dieser Studie eine weite Beachtung und Rezeption in der Forschung gewünscht.