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Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

647–649

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Howard, Thomas Albert

Titel/Untertitel:

God and the Atlantic. America, Europe, and the Religious Divide.

Verlag:

Oxford/New York: Oxford University Press 2011. XIII, 256 S. 21,6 x 13,8 cm. Geb. £ 26,00. ISBN 978-0-19-956551-1.

Rezensent:

Johannes Wischmeyer

Das Verhältnis der Europäer zu den Vereinigten Staaten kennzeichnet eine merkwürdige Ambiguität: Wie kommt es, dass die Neue Welt unsere kulturellen Orientierungen in solchem Maß dominiert, wir aber gleichzeitig die öffentliche wie private Religionspraxis in den USA aufgeklärt-distanziert missbilligen? Die Frage steht seit einiger Zeit wieder auf der Tagesordnung: Nach den wechselseitigen Irritationen im Gefolge des 11. September 2001 sucht die Öffentlichkeit nach Erklärungen für die auf beiden Seiten des Atlantik auffällig unterschiedlichen Wertorientierungen. Hinzu kommt, dass der Zusammenhang zwischen Modernisierung und Säkularisierung, der lange Zeit den Religionsdiskurs bestimmte, inzwischen weithin infrage gestellt wird: Vielen gilt nicht mehr die plurale und vitale Religiosität in den USA, sondern die für weite Regionen des »alten Kontinents« charakteristische Tendenz zu religiös-spiritueller Indifferenz als im globalen Maßstab erklärungsbedürftige Ausnahme.
Albert Thomas Howard betont also zu Recht die Aktualität seines Sujets, wenn er den Versuch unternimmt, die lange Vorgeschichte der europäischen Wahrnehmungen der Vereinigten Staaten und ihrer Religion zu rekonstruieren. Konzeptionell stellt er sich in die Tradition der Arbeiten von Mark A. Noll, der wie kaum ein anderer – stets mit aktuellem religionspolitischem Bezug – die Dynamiken des religiösen Denkens in den USA historisch aufgeschlüsselt hat (vgl. nur ›America’s God: From Jonathan Edwards to Abraham Lincoln‹, Oxford 2002). Gleichzeitig knüpft er an den von Hartmut Lehmann propagierten Ansatz einer transatlantischen Religionsgeschichte an, der freilich trotz einer ganzen Reihe kirchenhistorischer Veröffentlichungen methodisch noch unterbestimmt erscheint. Vielleicht ist es zu viel gewollt, wenn H. überdies den Anspruch erhebt, durch den Blick auf die europäischen Dis­-kurse über »amerikanische Religion« eine Langzeitgenealogie des Säkularisierungstheorems zu finden und letzteres damit als eurozentristisch zu relativieren (129–135). Es ist nur wenig damit ge­wonnen, der europäischen Säkularisierung eine eigenständige amerikanische Version gegenüberzusetzen (204).
Präsentiert werden Außensichten auf den Stellenwert, den die Religion bei der Ausformung der US-amerikanischen Gesellschaft einnahm. Beobachtern aller ideologischen Lager erschien diese seit jeher neuartig und fremd: Das auf dem Freiwilligkeitsprinzip basierende Religionsrecht und die öffentliche Anerkennung des Sektierertums waren beinahe ohne Parallele in Europa. Tocqueville brachte das Paradox auf den Punkt: Wie waren die strikte Trennung von Staat und Kirche vereinbar mit einem beträchtlichen Einfluss der Religion auf Politik und Gesellschaft? Anders als Tocqueville sah die Mehrzahl der europäischen Kommentatoren die US-amerikanischen Konstellationen negativ, und so ist H.s Monographie auch als eine Geschichte des – religiös oder säkular konnotierten – Antiamerikanismus zu lesen. Ablehnung der nordamerikanischen Kultur vereinte in der Sache immer wieder rechte und linke Ideologen, auch wenn diese ganz unterschied­liche Kritikpunkte vorbrachten: Die Konservativen – eng­-lische Tories, deutsche Romantiker und französische katholische Reaktionäre – geißelten die revolutionäre Privatisierung der Religion und die Verleugnung des Prinzips gottverliehener Herrschaft. Ihrer Wahrnehmung nach erhielten die USA hierfür eine direkte Quittung in Form von Irreligiosität, einem ungebildeten und gefallsüchtigen Klerus sowie fragwürdigen, auf ein Massenpublikum zielenden Missionskampagnen und Sekten. Für den protestantischen Leser besonders interessant ist, wie H. den Wandel katholischer Positionen im Verlauf des 19. Jh.s nachzeichnet: Während Lamennais der Kirche in der jungen nordamerika­nischen Republik noch gute Chancen ausrechnete, kam es später zu immer schärferen römischen Verdammungen des »Amerikanismus« (67–84). Linksliberalen Säkularisten (H. hat die französischen Positivisten, Hegel, die Marxschule sowie die republikanischen 1848er im Blick) erschienen die USA zwar aufgrund ihrer modernen politischen Verfassung als ein Gemeinwesen, das prinzipiell an der Spitze des Fortschritts marschieren musste, aber die bigotte Tugendtyrannei der Yankees und ganz allgemein die sichtbare Persistenz der Religion waren ihnen in einer Muster­-demokratie ein Dorn im Auge. H. arbeitet, besonders in der Auseinandersetzung mit den frühen Soziologen, schön heraus, dass dabei immer auch ein tiefes Misstrauen gegenüber jeder Form von Pluralismus im Spiel war. Europäische Intellektuelle jeder Couleur konnten sich, so der implizite Vorwurf, nur eine uniforme Religion als vinculum societatis vorstellen und blieben deswegen dem US-amerikanischen Modell gegenüber von Beginn an ignorant. Ihre ge­meinsame Stoßrichtung ging gegen den als veräußerlicht und intellektuell anspruchslos empfundenen amerikanischen Laissez-faire-Liberalismus (11), dem man eine werkgerechte Funktionalisierung der Religion im Zeichen des Kapitalismus unterstellte.
H.s Leistung besteht vor allem darin, die konvergierenden Momente in der Amerikakritik der ideologischen Antipoden herausgearbeitet zu haben. Allerdings konzentriert er sich dabei zu sehr auf eine Rechts-Links-Dichotomie. Indem sich H. an den beiden entsprechenden Meistererzählungen abarbeitet, vernachlässigt er den gemäßigten Liberalismus Englands und Deutschlands und dessen jeweils ganz eigene Wahrnehmung der USA – auch in Theologenkreisen war eine zwar kritische, aber stets an intellektuellen und kulturellen Neuigkeiten von jenseits des Atlantik interessierte und zu selektiven Übernahmen bereite Einstellung weit verbreitet, wie man anhand eines Meinungsführers wie zum Beispiel Isaak A. Dorner zeigen könnte.
Anschließend präsentiert H. das Denken zweier transatlantic personalities (138), die sich, obgleich selbst Europäer, in ihrem jeweiligen Jahrhundert vom negativen Mainstream absetzten, die Möglichkeiten der US-amerikanischen Gesellschaftsordnung und Religionsverfassung erkannten und diese als adaptionsfähiges Zukunftsmodell propagierten:
Philip(p) Schaff, deutschstämmiger reformierter Vermittlungstheologe, und der französische Neuthomist Jacques Maritain stehen für eine Wertschätzung der politischen Prinzipien kirchlicher Freiwilligkeit und personaler Religionsfreiheit. Anders als Konservative und Säkular-Progressive, so suggeriert H., erkannten Schaff und Maritain die Konsistenz des amerikanischen Modells – vor allem deswegen, weil sie sich vom antiinstitutionellen Freiheitsbegriff der deutschen Romantik (51) emanzipierten und die zeitgenössisch populären Konzepte von Freiheit und Fortschritt theologisch produktiv aufgriffen und mit den empirischen Gegebenheiten einer äußerst heterogenen Gesellschaft zu verbinden vermochten (147–151.175). Beide legitimierten beispielsweise das Demokratieprinzip mit theologischen Argumenten, sei es als historische Folge des reformatorischen Priestertums aller Gläubigen (156) oder aber als anthropologisch angemessene Verfassungsform des menschlichen Geistes (179).
Die engagierte Monographie weist die Kirchen- und Theologie­geschichtsschreibung auf ein weites Feld noch kaum bearbeiteter Themen: Dazu zählen etwa der um 1870 einsetzende »Amerikanisierungs«-Diskurs in Kirche und Theologie. (Das Schlagwort »Amerikanisierung« wurde übrigens auch als Argument in positionellen Konflikten verwendet. Otto Baumgarten, den H. wegen seines »Engländerei«-Artikels in RGG1 als Amerikafeind präsentiert [9], wurde zum Beispiel in anderem Zusammenhang von Altliberalen als rücksichtsloser ›Amerikanisierer‹ des kirchlichen Lebens verunglimpft.) Weitere Desiderate, auf die H.s Monographie verweist, sind die begriffsgeschichtliche Rekonstruktion ethischer Konzepte wie Freiheit, Gesellschaft, Universalismus, Sekte, Kultur versus Zivilisation und Humanität in transnationaler Perspektive, außerdem die Beschäftigung mit Akteuren und Strukturen des trans­-atlantischen kirchlich-religiösen Kulturtransfers.