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Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

641–642

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bernhardt, Reinhold, u. Klaus von Stosch [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Komparative Theologie. Interreligiöse Vergleiche als Weg der Religionstheologie.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2009. 349 S. 22,5 x 15,0 cm = Beiträge zu einer Theologie der Religionen, 7. Kart. EUR 26,00. ISBN 978-3-290-17518-4.

Rezensent:

Alf Christophersen

Das religionstheologische Terrain ist umkämpft. Religiöse Lehrgehalte werden kritisch reflektiert und ihre Praxisformen fokussiert, Wahrheitsansprüche offensiv vertreten, eher unterschwellig aufrechterhalten oder sogar aufgegeben. Die Gesamtlage ist diffus. Wie kaum ein anderes theologisches Feld ist die Religionstheologie Schauplatz ideologisch aufgeladener Auseinandersetzungen, die oftmals nur den Rang einer »interreligiösen Gebrauchstheologie« erreichen. Stets aufs Neue wird der Versuch unternommen, festgefahrene Fronten zu überwinden, um über das inzwischen klas­-sische Dreierschema von »Exklusivismus«, »Inklusivismus« bzw. »Superiorismus« oder »Pluralismus« hinauszukommen. Das Konzept einer sogenannten komparativen, also vergleichenden Theologie nimmt einen besonderen Stellenwert ein.
Vertreter komparativer Theologie wollen sich von der herkömmlichen vergleichenden Religionswissenschaft abgrenzen, um, wie der Harvarder Theologe und Religionswissenschaftler Francis X. Clooney 1995 repräsentativ festhielt, eine vom Christentum ausgehende »constructive theology from and after comparison« zu erarbeiten. Die Bemühungen um eine komparative Theologie stellen den klassischen Fall eines Vermittlungsversuchs dar, in dem auf dem Weg über konkrete Anwendungsfelder umfassende positionelle Grabenkämpfe entschärft werden sollen.
Zur Versachlichung der kontrovers ausgetragenen religions­theologischen Debatten trägt seit 2005 die von Reinhold Bernhardt (Basel) herausgegebene Reihe »Beiträge zu einer Theologie der Religionen« bei. Konsequent werden hier die aktuellen Entwicklungen begleitet. Bernhardt tritt für das Modell eines »mutualen Inklusivismus« ein, mit dem er exklusivistische und pluralistische Ansätze ausgleichen will. Zusammen mit dem katholischen Systematiker Klaus von Stosch (Paderborn) präsentiert er als siebten Band seiner religionstheologischen Beiträge die Ergebnisse einer Konferenz, die im Herbst 2008 bei Basel stattfand. Die zwölf Aufsätze erlauben einen konstruktiven Einblick in das Laboratorium »komparative Theologie«, es eröffnet sich ein Dialog- und Forschungsfeld, das weniger vom bloßen Austausch bereits feststehender Ein sichten zu leben scheint als vielmehr vom offenen Ringen um Verständigung. »Geradezu programmatisch«, betonen die Herausgeber in ihrem Vorwort, verzichte die komparative Theologie »darauf, die unterschiedlichen Wahrheitsansprüche der Religionen auf einer perspektivenunabhängigen Ebene bewerten und versöhnen zu wollen« (7 f.). Nur von den konkreten Überzeugungen »be­stimmter religiöser Gruppen« (8) aus werde die Wahrheitsfrage thematisch, nicht unter dem universalen Blickwinkel einer Religion als solcher. Gefragt sei eine interreligiöse und -kulturelle Multiperspektivität, in der Theologien verschiedener Religionen ins Gespräch gebracht werden können, aber auch eine Auseinandersetzung mit der vergleichenden Religionswissenschaft stattfindet.
Der Sammelband gliedert sich in vier Teile: Den Einstieg bilden »Programmatische Perspektiven« (15–120).
Zunächst entfaltet K. von Stosch (»Komparative Theologie als Hauptaufgabe der Theologie der Zukunft«) ambitioniert das Anforderungsprofil an eine komparative Theologie, die dem Anspruch genügen könne, gerade auch im akademischen und schulischen Lehrbetrieb eine zentrale Funktion auszuüben. Disziplinenübergreifend müsse die Theologie ihre eigene konfessionelle Binnenperspektive überschreiten, um dann auch »das Gefühl der Angst zu entmachten, das aus der Einsicht in die Kontingenz der Genese des eigenen Wahrheitsanspruchs folgt« (19). An Wittgenstein geschult beschreibt von Stosch den Sprachspielcharakter theologischer Sys­teme, der davon zehre, dass Antworten auf tatsächlich gelebte Fragen entworfen werden müssten, die der Tiefengrammatik religiöser Überzeugungen gerecht zu werden hätten. Ein offener Dialog könne nur dann möglich sein, wenn »sich die komparative Theologin in ihrem Vorgehen immer der eigenen Verwundbarkeit und der Reversibilität bzw. Fallibilität ihrer Urteile bewusst« (28) sei. Hinzu komme die Notwendigkeit, die Diskurse immer auch von einem Beobachter, einer »Instanz des Dritten« (31), kritisch begleiten zu lassen zu lassen.
Robert C. Neville (Boston) wendet sich in seinem Beitrag den »Philosophische[n] Grundlagen und Methoden der Komparativen Theologie« zu. Keith Ward (Oxford) setzt sich dann mit ihrem »Programm, Perspektiven und Ziele[n]« auseinander. Ulrich Winker (Salzburg) beschreibt mit Blick auf Neville und Ward vertiefend »Grundlegungen Komparativer Theologie(n)«, dabei lässt er seine Überlegungen auf die Normativitätsproblematik theologischer Aussagen zulaufen. Komparative Theologie kehre »die apriorische Wahrheitsvermutung der Apologetik um und investiert sie in andere Religionen, um dort ebenfalls nach Wahrheit und Problemlösungen zu suchen« (97). Mit »Reflexionen zu Ort und Ansatz« einer solchen Theologie als Ausdruck »Interkulturelle[r] Übersetzung in religiöser Mehrsprachigkeit« rundet Norbert Hintersteiner (Dublin) das Bild ab.
Im zweiten Teil stehen »Exemplarische interreligiöse Vergleiche zwischen Christentum und Islam« (121–200), im dritten »zwischen Christentum und Buddhismus« (201–312) auf dem Programm.
Pim Valkenberg (Baltimore, MD) untersucht das Offenbarungskonzept im Islam, K. von Stosch und Christine Niggemann (Engelskirchen) folgen »Spuren muslimischen Offenbarungsdenkens in Orhan Pamuks Das neue Leben«. Die Theodizeefrage in Islam und Christentum ergründet Anja Middelbeck-Varwick (Berlin). James L. Fredericks (Los Angeles) akzentuiert »Buddhistische Re­flexionen zur Trinität« und Michael Hüttenhoff (Saarbrücken) vergleicht Aspekte christlicher und buddhistischer Anthropologie. Jürgen Mohn (Basel) kontrastiert das christliche Zeitverständnis am Beispiel Augustins mit dem buddhistischen, das er anhand Dōgens umreißt. Seine Überlegungen versteht er als Beitrag zur Beschreibung der »Komparatistik als Position und Gegenstand der Religionswissenschaft«. Mohns Aufsatz ist deshalb von besonderer Relevanz, da er in Abgrenzung zu religionstheologischen Reflexionen und Analysen einen dezidiert religionswissenschaftlichen Standpunkt verteidigt. Nachdrücklich weist Mohn auf die unterschiedlichen Verortungen der Wahrheitsfrage hin, wenn er betont: »Die Religionswissenschaft ist nicht von dem Wahrheitsanspruch im Rahmen des wissenschaftlich möglichen Wahrheits­dis­kurses enthoben, aber von der Wahrheitsentscheidung befreit: Sie übt sich in Wahrheitsabstinenz.« (273)
Im Schlussteil des Bandes (315–338) kommentiert zusammenfassend und aus komparativ-theologischen Ansätzen distanziert gegenüberstehendem Blickwinkel Christiane Tietz (Mainz) die Ergebnisse der dokumentierten Konferenz. Die Stärke der »Dialogkonzepte in der Komparativen Theologie« erkennt sie darin, dass das »angstfreie Gespräch mit dem Gegenüber« befördert werde, gehe es doch um Zuhören und Verstehen. Dabei legt Tietz jedoch großes Gewicht darauf, dass konfessionelle Theologie, die »von der Unverfügbarkeit des göttlichen Handelns und der Genese religiöser Überzeugungen« ausginge, darauf beharren müsse, dass von den Dialogpartnern methodisch nicht erwartet werden könne, »die eigene vertraute Position auf alle Fälle am Ende des Dialoges aufzugeben« (337 f.). Diese Haltung scheinen die im vorliegenden Sammelband vertretenen Autorinnen und Autoren zu teilen.
Die Summe der Beiträge zeigt ein theologisches Arbeitsgebiet, dessen Akteure sich langsam aus noch vorsichtig tastenden Anfängen herausbewegen, im Bewusstsein, dass gerade von der Wahrheitsfrage nicht abstrahiert werden kann. Aber auch ein Ringen um die Begriffe Religion und Vernunft durchzieht den Sammelband, da offenkundig auch eine komparative Theologie bei aller Freude am Detail auf tragende Allgemeinbegriffe nicht verzichten mag.