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Ausgabe:

Mai/2012

Spalte:

588–589

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Barth, Friederike

Titel/Untertitel:

Die Wirklichkeit des Guten. Dietrich Bonhoeffers »Ethik« und ihr philosophischer Hintergrund.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XIV, 451 S. 23,4 x 16,0 cm = Beiträge zur historischen Theologie, 156. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-150591-1.

Rezensent:

Kirsten Busch Nielsen

In ihrer von Hans-Richard Reuter betreuten und von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 2009/2010 angenommenen Dissertation möchte Friederike Barth die ethische Konzeption Dietrich Bonhoeffers systematisch-theologisch erschließen.
Die Vfn. beabsichtigt, die philosophischen Hintergründe von Bonhoeffers theologischer Ethik zu ergründen, indem sie davon ausgeht, dass Ethik (1940–1943) »am ehesten als eine sehr eigenständige, mit den Mitteln philosophischer Denkformen konzipierte Luther-Auslegung unter den Bedingungen der Moderne zu verstehen ist« (5). Mit ihrer breit angelegten, kaum auf Einzelthemen konzentrierten Monographie möchte sie ein Desiderat der Bonhoeffer-Forschung einlösen. Sie erkennt dabei die methodische Schwierigkeit, dass Bonhoeffer in seiner fragmentarisch gebliebenen Ethik seinen Diskurs zur Rezeption und Ab­grenzung seiner Position weitgehend verdeckt durchführt. Dieses betrifft die Ethik in gleicher Weise wie anderen Schriften, besonders Akt und Sein.
Um der Komplexität des Materials sowie der ethischen Konzeption Bonhoeffers gerecht zu werden, muss die Vfn. selektiv und entschlossen vorgehen. So vollzieht sie die Untersuchung in drei Schritten. Teil A fokussiert auf »Die Erkenntnis des Guten« durch eine Analyse und Interpretation des Kapitels »Die Liebe Gottes und der Verfall der Welt«. Teil B untersucht »Grund und Vollzug des Guten« auf der Grundlage von »Die Geschichte und das Gute [2. Fassung]«. Teil C, der sich mit den »Formen des Guten« beschäftigt, bezieht sich auf »Das Ethische und das Christliche als Thema«, »Das konkrete Gebot und die göttlichen Mandate« und auf bestimmte Passagen aus zwei weiteren Ethik-Kapiteln.
Durch diese Vorgehensweise möchte die Vfn. auf der einen Seite die sachliche Verbundenheit dreier struktureller Wesenselemente unterstreichen – epistemologische Grundlegung, Handlungsorientierung und Konkretisierung des dem konkreten Willen Gottes gegenüber verantwortlichen Tun – und auf der anderen Seite den diese drei Elemente verbindenden Grund aufzeigen. Dieser Grund ist, behauptet die Vfn., die »offenbarte …, Welt und Mensch umgestaltende … Christuswirklichkeit als der Repräsentation des ›Guten‹« (7). Das Thema der christlichen Ethik, das von Bonhoeffer selbst als das »Wirklichwerden der Offenbarungswirklichkeit Gottes in Christus unter seinen Geschöpfen« (Ethik, 34) beschrieben wird, wird von der Vfn. kurz und prägnant als die »Wirklichkeit des Guten« (7) benannt.
Neben diesen drei Hauptteilen des Buches finden sich noch zwei selbständige, jedoch höchst relevante Exkurse zu Bonhoeffers Kritik der liberalen Theologie und zu seinem Zeit- und Geschichtsbegriff. Zur Charakteristik des Buches sei noch die thematisch fokussierte und keineswegs ausufernde Bibliographie zu nennen. Auch das Sachregister sollte hervorgehoben werden. Es ist lobenswert schlank gehalten und leitet den Leser direkt zu Bonhoeffers Auseinandersetzung mit Einzelthemen hin, ungeachtet der komplizierten Architektur und Genese der Ethik. Es ist ein kleiner, aber wertvoller Aspekt des Buches, dass es in dieser Weise ein grundlegendes wissenschaftliches Hilfsmittel für kommende Bonhoefferinterpreten darstellt und genauso auch für Leser, die sich mit Bonhoeffers Denken zum ersten Mal beschäftigen möchten.
Anhand der knappen Dreiteilung der Untersuchung gelingt es der Vfn., gut überschaubar die philosophischen Landschaften zu erkunden, in denen sich Bonhoeffer bewegt. Die Bestandsaufnahme bekommt eine besondere Tiefe, indem die Vfn. ihre Analyse regelmäßig in den Kontext früherer Bonhoefferwerke stellt und dadurch Entwicklungen im Werk Bonhoeffers ermittelt. Die Vfn. stellt besonders Bonhoeffers Rezeption von Nietzsche, Hegel und Kierkegaard, von der Lebensphilosophie und vom dialogischen Personalismus heraus. Die Auswahl dieser Betonungen ist zwar kaum originell und wurde bisher in der Forschung schon häufiger erörtert, aber in Bezug auf die Ethik kommen sie notwendigerweise besonders zur Geltung. Weil Ethik das letzte als Ganzes konzipierte Werk Bonhoeffers ist, beleuchtet die Dokumentation der Schritte »nach vorne« im Werk Bonhoeffers auch die Schritte »zurück«. Gewisse Seiten der frühen Theologie Bonhoeffers bekommen durch die Analyse der Wirklichkeit des Guten wichtige Nuancen. Dieses gilt insbesondere der theologischen Anthropologie. Ein kleines Kapitel zu Bonhoeffers Rezeption der politischen Theorie (Weber und Machiavelli) wirft ein interessantes und aus der Sicht der Rezensentin neues Licht auf Interessensfelder der breiteren Öffentlichkeit an Bonhoeffers Denken. Dieser Beitrag der Vfn. ist be­sonders willkommen zu heißen.
Mit Die Wirklichkeit des Guten betritt die Vfn. in mehrerlei Hinsicht Neuland. Mit ihrer These, dass Bonhoeffers christologisch fokussierter und offenbarungstheologisch angelegter Ansatz in ethischer Perspektive schlicht eine Frage des Guten ist, stellt die Vfn. die Interpretation der Ethik in den Rahmen einer allgemeinen Diskussion über theologische Ethik – einen Rahmen, in welchem die Ethik bisher nur selten gesehen oder rezipiert worden ist –, ohne dass dadurch das theologische Spezifikum und die dogmatische Identität der Ethik aus dem Blick geraten. Hierdurch wird die Vfn. der Ethik gerecht und eröffnet zugleich die Möglichkeit, dass Bonhoeffers Werk in heutiger Zeit gelesen, interpretiert und kritisiert werden kann, ungeachtet seiner Zeitgebundenheit und seines in gewisser Weise altmodischen Gepräges. Die Orientierung an einer Kombination von systematisch-theologischer Analyse und Aufdeckung des philosophiegeschichtlichen Hintergrunds ist kein Novum in der Bonhoeffer-Forschung; andere neuere Untersuchungen verfahren ähnlich. Es ist jedoch neu, dass jetzt auch die Ethik in dieser Weise untersucht wird. Damit trägt die Vfn. zur Fortführung der Forschung bei. Die philosophiegeschichtliche Darlegung der Ethik im Lichte der philosophischen Hintergründe seiner Vorläufer ist gelungen und ist in sich selbst äußerst lobenswert. In einem umfangreichen und komplexen Feld behält die Vfn. die Balance, so dass die Interpretation nicht in analytischen Details versinkt. Kraft der Solidität, die hier nicht nur für die historische Bonhoeffer-Forschung, sondern auch für eine differenzierte, heutige systematisch-theologische Rezeption der Ethik zum Tragen kommt, wird die Vfn. in besonderer Weise das Wort in der theologisch-ethischen Diskussion ergreifen können. Dazu soll ihr der Mut nicht fehlen.