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Ausgabe:

Mai/2012

Spalte:

581–583

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Barth, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

Authentisch glauben. Impulse zu einem neuen Selbstverständnis des Christentums.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2010. 416 S. 21,5 x 13,5 cm. Kart. EUR 39,95. ISBN 978-3-579-08099-4.

Rezensent:

Reinhold Bernhardt

Die in diesem Band zusammengestellten, zum Teil bereits publizierten, zum Teil noch unveröffentlichten Beiträge kreisen um das Lebensthema Hans-Martin Barths: die Suche nach einem authentischen Glauben. Authentizität versteht sich dabei als Verbindung von intellektueller Klarheit, spiritueller Tiefe und existentieller Tragfähigkeit. Sie ist jeweils neu an den Herausforderungen des zeitgeistigen Kontexts zu gewinnen. Die Aufsätze, deren Entstehungszeitraum sich über 40 Jahre erstreckt, stellen einen Längsschnitt der theologischen Entwicklung B.s in Auseinandersetzung mit solchen Herausforderungen dar: vom Ringen mit der Religionskritik Feuerbachs und der Beschäftigung mit der Theismuskritik der Gott-ist-tot-Theologie über die Suche nach Annäherungen zwischen den christlichen Konfessionen und nach einer evangelischen Spiritualität bis hin zu seiner wegweisenden Dogmatik im Kontext der Weltreligionen und seinem vielfachen Engagement im interreligiösen Dialog – besonders mit dem Islam und dem Buddhismus.
Der Rückbezug auf die Theologie Luthers zieht sich dabei wie ein roter Faden durch die Suchbewegungen nach authentischem Glauben. Vor allem das Theologumenon von der Verborgenheit Gottes, die Betonung der Kenose und Kondeszendenz sowie das trinitarische Verständnis Gottes bilden die tragenden Teile der Antworten B.s auf die in den Artikeln behandelten Fragen. Die (ökonomische) Trinitätslehre steht im Mittelpunkt seines Plädoyers für eine »met-a-theistische« Theologie (106 ff.), die – gegen den Theismus – den »Gott der Metaphysik« (122) für tot erklärt und – gegen den Atheismus – die schöpferische, heilshafte und vollen­dende Gegenwart Gottes in der Welt zur Sprache bringen will. »Die Soteriologie muss die Ontologie bestimmen, nicht umgekehrt« (ebd.), so lautet der Grundsatz dieses Programms.
Daraus ergibt sich die durchgehende Bezogenheit der Theologie B.s auf die Anthropologie, wobei auch hier weniger (existenz-) philosophische Erhellungen als vielmehr psychologische Zugänge zum Selbstverständnis, zum Lebensvollzug und zur Lebenswelt der Menschen bestimmend sind. Immer wieder nimmt er alltagssprachliche Begriffe der menschlichen Existenzdeutung auf, führt sie »zu Bade« (Luther) (119), um sie als zeitgemäße Sprachformen für die Theologie zu gewinnen. So etwa die Begriffe »Verschwendung«, »Selbstverwirklichung«, »Identität«, »Sinn«, Offenbarung als »Schlüsselerfahrung« usw.
Der Band ist in fünf Teile gegliedert, die jeweils eine Dimension des Glaubensverständnisses akzentuieren: Im ersten Teil (»Nachdenklicher Glaube«) finden sich grundlegende Beiträge, die Glauben in Beziehung zu menschlicher Projektion thematisieren, Vergleiche mit buddhistischen Auffassungen anstellen, nach einer plausiblen Auslegung der Christologie als dem zentralen Glaubensinhalt fragen und die Befreiung der christlichen Theologie aus metaphysischer Gefangenschaft fordern.
Der zweite Teil (»Glaube im Vollzug«) kreist um die Identitätskonstitution des Glaubenden im Blick auf die Praxis des Glaubenslebens. Nach einer Reflexion auf die glaubende Daseinsbewältigung angesichts des Leidens entwickelt B. eine positive Deutung und Zuordnung der Begriffe »Selbstverwirklichung Gottes« und »Selbstverwirklichung des Menschen«, plädiert für eine trinitätstheologische, auf die Konstitution personaler Identität bezogene Weitung der Rechtfertigungsbotschaft, fragt im Blick auf Gal 2,20 nach dem »Ich« des Glaubens und nach der Kategorie »Wert« in Bezug auf den Glauben.
Die Beiträge des dritten Teils (»Inspirierender Glaube«) lassen sich mehr oder weniger dem Themenfeld »Heiligung« zuweisen. Dabei kommt die seelsorgerliche Intention der Theologie B.s am deutlichsten zum Vorschein. Zunächst stellt er die Gnaden-»Verschwendung« Gottes den (entsprechend den »Grundformen der Angst«) einseitig verkürzten Antworten der Menschen auf die angebotene Fülle des Lebens gegenüber. Darin liegt ein interessanter Ansatz zu einer metamoralischen Sündenlehre. In seinen Überlegungen zur Sinnfrage sichtet B. zunächst philosophische und literarische Begründungen und Bestreitungen von Sinn, um dann aufzuzeigen, wie der christliche Glaube diese Frage nicht nur be­antwortet, sondern auch relativiert. Der Sinn des Lebens besteht darin, »sich durch die Frage nach Sinn immer wieder über diese Frage hinaustragen zu lassen« (237). Im Artikel »Wege aus der Krise des Gebets« plädiert B. für ein Verständnis des Gebets im Sinne einer »aptitudo passiva«, als Sich-der-Gegenwart-Gottes-Über­las­sen. Dies korrespondiert dem Geschenkcharakter des Glaubens, wie er dann im folgenden Beitrag zum sola fide reflektiert wird. Am Ende dieses Teils stehen ökumenische Erwägungen zur Interdependenz von Lehre und Spiritualität, die dazu anregen wollen, den Dialog über die Lehrunterschiede einzubetten in eine konfessionstranszendierende Spiritualität, die bei den Beteiligten von einer »anima oecumenica« getragen ist.
Dass die Besinnung auf Wesen, Inhalt und Vollzug des Glaubens immer auch mit Kontroversen und Abgrenzungen verbunden ist, wird im vierten Teil (»Glaube in Konfrontation«) deutlich. Hier geht es um religions- und missionstheologische Themen. Nach einer Gegenüberstellung religionswissenschaftlicher und theologischer Religionsdeutungen setzt sich B. mit Daisetz T. Suzukis Vergleich zwischen Shin-Buddhismus und Christentum auseinander. Die fünf von Suzuki genannten Vergleichspunkte führen zu einer kritischen Selbstreflexion des christlichen Glaubensdenkens und zur Herausarbeitung von dessen Proprium. In ähnlicher Weise führen die sich daran anschließenden Überlegungen zur Wahrheitsfrage im Blick auf den Islam zur Bestimmung des spezifisch christlichen Wahrheitsverständnisses. Dieses besteht nach B. in der Transzendierung einer propositionalen hin zu einer existentiellen Auffassung.
Wenn er in diesem Zusammenhang dafür plädiert, die Theologie der Religionen nicht als »eine an Satzaussagen orientierte theologische Metatheorie über das Verhältnis der Religionen zu einander« zu entfalten, sondern als »eine ›Theologie des Glaubens‹, die zur Darstellung bringt, wie die nichtchristlichen Religionen samt ihren einzelnen Aussagen im Licht des Wirkens des dreieinen Gottes zu stehen kommen« (318), dann zieht er damit allerdings den Unterschied zwischen der bekenntnishaften Explikation des christlichen Glaubens und der theologischen Reflexion auf diese Explikationen ein. Immer wieder begegnet diese Rückführung der »second-order-language« auf die »first-order-language«, weshalb nicht wenige Passagen dieses Buches in der Sprache der Verkündigung geschrieben sind.
Im letzten Teil (»Lernbereiter Glaube«) sind drei theologiegeschichtliche Studien zu Adolf von Harnack, Ludwig Feuerbach und August Tholuck zusammengestellt. Der Beitrag zu Tholucks Auseinandersetzung mit der islamischen Mystik endet mit einer Charakterisierung des Erweckungstheologen, in der sich B.s eigenes theologisches Profil spiegelt: »Die Spiritualität diente ihm als selbstverständliches Medium für die Begegnung von Religionen … Wenn er dabei nicht den Boden unter den Füßen verlor, so lag dies einerseits an seiner Einbindung in die Tradition reformatorischer Theologie, andererseits aber daran, dass er etwas ahnte vom Wesen der Liebe und von der unendlichen, unüberbietbaren Größe Gottes.« (393)
Der Band löst ein, was der Untertitel verspricht: Er gibt wertvolle »Impulse zu einem neuen Selbstverständnis des Christentums«.