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Ausgabe:

Mai/2012

Spalte:

560–562

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Yasin, Ann Marie

Titel/Untertitel:

Saints and Church Spaces in the Late Antique Mediterranean. Architecture, Cult, and Community.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2009 (reprinted: 2010). XXI, 338 S. m. zahlr. Abb. 24,7 x 17,4 cm Greek Culture in the Roman World. Lw. £ 62,00. ISBN 978-0-521-76783-5.

Rezensent:

Katharina Greschat

Die Untersuchung hat eine recht lange Entstehungsgeschichte, die bis in das Jahr 1999 zurückreicht. Die beharrliche Arbeit am Thema hat sich ganz offensichtlich gelohnt, denn es ist ein grundsolide gearbeitetes und sehr gelehrtes Buch herausgekommen, das nicht zuletzt dank seines subtil komponierten Spannungsbogens auch höchst interessant zu lesen ist. Ann Marie Yasin, die gegenwärtig als Associate Professor of Classics and Art History an der University of Southern California lehrt und forscht, behandelt eine enorme Fülle an frühchristlichen Kirchen im gesamten Mittelmeerraum, doch geht es ihr nicht allein um die Bauwerke. In ihren Augen stehen diese nicht an und für sich, sondern in ständiger Interaktion mit denen, die sie seinerzeit erbaut und genutzt haben. Ganz konkret handelt es sich um Kommunikationsräume zwischen Gott und den Christen, zwischen den Christen untereinander und zwischen den Generationen: »Specifically, it [the book] argues for an understanding of saint’s cults as a powerful means of extending pre-existing notions of corporate identity, intensifying social hierarchies, and connecting local Christian groups to larger earthly and heavenly communities« (6). In diesem Satz ist im Grunde das ganze Programm des Buches enthalten, denn Y. versteht die spätantike Heiligenverehrung als eine Art von Katalysator bzw. Brennpunkt für alle genannten Beziehungen, die sich dementsprechend auch in den Kirchenräumen abbilden. Zugleich legt sie Wert darauf, die Untersuchung nicht regional zu begrenzen, und entscheidet sich damit für ein bekanntes Modell zum Verständnis des mediterranen Kulturraums, das diesen als eine regional differenzierte Einheit wahrnimmt. Dabei versteht es sich fast von selbst, dass sie einen interdisziplinären Zugang wählt und den zu untersuchenden Raum als einen sozial konstruierten beschreibt: »… space is a medium, not merely a container for action« (10).
So kommen in einem ersten Kapitel (Churches before architecture: approaches to sacred space in the early Christian world, 14–45) noch gar keine sichtbaren Kirchenbauten vor. Vielmehr muss vorher gegenüber der von Mircea Eliade vorgetragenen Unterscheidung von Heilig und Profan, die auch Peter Browns wichtiger Darstellung in The Cult of Saints zugrunde liegt, geklärt werden, dass es hier weniger um heilige Zentren im Sinne von Platzhaltern oder Wohnsitzen von Göttern oder dem Göttlichen geht. Ungleich wichtiger erscheint es Y. daran festzuhalten, dass die frühen Christen diese Vorstellung in Abgrenzung gegenüber ihrer Umwelt zwar vehement und wortreich ablehnten, gleichzeitig aber sehr wohl einen durch das Ritual und die christliche Kommunikation als heilig konstruierten Raum kannten: »Christian assembly places were differentiated from the profane not because they embodied the divinity, but because they contained Christians and Christian ritual« (37).
Damit ist die Grundlage für das zweite Kapitel gelegt (Commemorative communities: the dead in early Christian churches, 46–100), in dem nun das gemeinschaftliche Totengedenken als eine wichtige Konkretion christlicher Versammlung und christlichen Rituals beschrieben wird. Indem Y. zunächst auf das antike Totengedenken als gemeinschaftsstiftendes Tun im Kontext der Familie zu sprechen kommt, kann sie deutlich machen, inwiefern das Grab nicht nur ein Erinnerungsort, sondern auch ein Ort ritueller Aktivitäten und damit ein »Kultraum« war. Im Kontext der Gemeinde wurden wohl zunächst in einem liturgischen Rahmen die Namen der Verstorbenen verlesen. Im Anschluss daran ist es nur konsequent, dass Y. als erste materielle Bauwerke auf Begräbniskirchen eingeht, deren Funktion sie folgendermaßen beschreibt: »… funer­ary basilicas functioned as commemorative monuments for local communities of Christians« (100).
Ganz analog dazu geht es im folgenden Kapitel (Topographies of honor and piety: praying for the Christian benefactor, 101–150) um die große Gruppe römischer Inschriften, die die Erinnerung an einen Wohltäter bzw. Stifter wachhalten und damit Gemeinschaften auch über die Zeiten hinweg formen sollten. Ganz ähnlich – und darauf kommt es Y. an – handeln auch christliche Kirchenstifter und die Verfasser von Votivinschriften: »Just as the predominant feature of Greco-Roman votive texts was naming, which served to assert the dedicator’s membership and place within a pagan community, so the same principle applies to votive texts such as these found in Chris­tian church contexts« (119). Um das zu untermauern, eröffnet Y. ihrer Leserschaft einen ganzen Kosmos an Inschriften aus dem gesamten Mittelmeerraum, vornehmlich in Form von Fußbodenmosaiken, die zugleich die gemeindlichen Strukturen und regionalen Hierarchien abbilden. Doch kommt es ihr nicht nur darauf an, vielmehr meint sie nachweisen zu können, dass diese christlichen Inschriften insofern eine andere Funktion als ihre heidnischen Gegenstücke haben, als sie gleichzeitig auf das Gebet der Gemeinde abzielen: »Christian commemoration … sought immortality not only in men’s memory, but through it in heaven« (150).
Nun endlich ist der Boden für die Heiligen vorbereitet, die ab dem vierten Kapitel (At the center of it all? Framing space with saints, 151–209) ihren Auftritt haben. Allerdings geht es Y. nicht in erster Linie um die enge Verbindung von Reliquien und Altar, wie man zunächst annehmen könnte. Schließlich kommen – so ihre These – die Heiligen mindestens genauso oft auch in anderen ri­tuell geprägten Kontexten vor. Wiederum wird der Leser auf eine Reise durch eine Reihe von frühchristlichen Kirchen mitgenommen, die ihm deutlich machen, dass die Heiligenverehrung – und nicht nur das Heiligengrab – auch einen weiteren Fokus, häufig am Eingang des Raumes, bilden konnte: »Across the late antique world … one can find churches which did not merely aggrandize the solitary locus of the altar, but instead preserve multiple and distinct focal points for liturgical celebration and saint veneration« (189). Sowohl durch ihre Bilder als auch durch die Inschriften und Schreine gestalteten sie gemeinsam mit dem Handeln der Gläubigen den liturgischen Raum.
Dieser Gestaltung sind schließlich die letzten beiden Kapitel der Untersuchung gewidmet (What saints do in church, part I: focusing communal prayer, 210–239; What saints do in church, part II: community connections, 240–285), in denen nun sämtliche Fäden der vorangegangenen Abschnitte wie von selbst zusammenlaufen. Zum einen versteht Y. die immer wieder bezeugte Fürbitte der Gemeinde auch für die Toten in Verbindung mit der Gegenwart des Heiligen als treibende Kraft für deren Einzug in den Kirchenraum, was sie u. a. dank sorgfältiger Interpretation von Augustins De cura pro mortuis gerenda plausibel machen kann. Darüber hinaus bringt sie eine Fülle von archäologischem Material ins Gespräch, das sehr anschaulich macht, dass die Gegenwart von Heiligen: »… reminded all those entering to pray and offered themselves as effective recipients of the congregation’s appeals« (239). In gleichem Maße war es ihnen aber auch möglich, die gemeinsame Erinnerung der christlichen Gemeinde und ihre Identität durch die liturgische Verge­genwärtigung zu fokussieren, so dass sich die Gemeinde auch auf diese Weise in die gesamte Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen hineingenommen wissen konnte. Nicht zuletzt war sie schließlich auch geeignet, die Verehrung eines lokalen Heiligen mit anderen zu verknüpfen, um auf diese Weise noch größere christliche Netzwerke zu knüpfen.
Diese von Y. gewählte »socio-spatial perspective« (289) auf die frühen Kirchenbauten des Mittelmeerraums führt zu einer Reihe von überraschenden und weiterführenden Einsichten, abseits der in der Forschung ausgetretenen Pfade. Dabei gelingt es ihr, die in den unterschiedlichen Fachdisziplinen geführten Diskurse souverän zu bündeln und damit zugleich auch für jeden, der sich mit Theologie und Religionsgeschichte der Spätantike beschäftigt, zu erschließen. So kann man diesem mit großer Sorgfalt erarbeiteten Band nur einen möglichst breiten Leserkreis und eine intensive Diskussion auch unter europäischen Theologen und Religionswissenschaftlern wünschen.