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Ausgabe:

Mai/2012

Spalte:

550–551

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schlosser, Jacques [Ed.]

Titel/Untertitel:

Paul et l’unité des chrétiens.

Verlag:

Leuven: Peeters 2010. IX, 251 S. 23,9 x 16,8 cm = Colloquium Oecumenicum Paulinum, 19. Kart. EUR 46,00. ISBN 978-90-429-2312-6.

Rezensent:

Walter Klaiber

Im September 2008 fand in der Abbazia di San Paolo fuori le Mura in Rom das 20. Colloquium Oecumenicum Paulinum statt, das seit dem Jahr 1968 katholische, orthodoxe und protestantische Exegeten zusammenführt, um sich gemeinsam mit der Botschaft des Völkerapostels zu beschäftigen. Die Vorträge, und anfänglich auch die Diskussionen, sind in Berichtsbänden dokumentiert. War das erste Kolloquium dem kontroversen Thema Glaube und Heil gewidmet, so war für das 40-jährige Jubiläum das Thema Paulus und die Einheit der Christen gewählt worden. Der vorliegende Band enthält die dort gehaltenen Vorträge, aber nicht die Diskussionen, drei in Englisch, je zwei in Französisch und Deutsch und einer in Italienisch (mit einer englischen Zusammenfassung).
Nach einer Einführung in die Thematik durch den Herausgeber steht am Anfang der Beitrag von Udo Schnelle »Die Einzigkeit Gottes und die Einheit der Glaubenden bei Paulus« (5–32). In aller Deutlichkeit, ja fast schmerzlicher Schärfe arbeitet Schnelle die Spannung zwischen der von Paulus »postulierten Einheit« und der »faktischen Trennung« heraus, die durch die paulinische Interpretation des Evangeliums nicht nur gegenüber dem Judentum, sondern auch dem judenchristlichen Zweig des Christentums entstand. Sein Fazit: »Am Ende der grundlegenden Epoche des frühen Christentums steht nicht die Einheit, sondern die bleibende Entzweiung« (31).
Daniel Marguerat, »L’évangile paulinien de la justification par la foi« (33–81), untersucht in seinem umfangreichen Artikel einmal mehr die Kernstellen der paulinischen Rechtfertigungslehre (Gal 3,10–14; Phil 3,4–11; Röm 3,21–31). Er geht dabei methodisch sehr sorgfältig vor und nimmt auch die Anliegen der New Perspective auf, kommt aber im Ergebnis der Linie der »klassischen« Interpretation, wie sie durch Käsemann modifiziert wurde, sehr nahe. Sein Lösungsvorschlag zu der exegetischen Crux von Gal 3,10 scheint mir äußerst hilfreich zu sein (43). Bemerkenswert ist auch sein Vorschlag das Thema »Gericht nach den Werken bei Paulus« ganz vom Zentrum seiner Theologie, dem Primat der Gnade und der durch den Glauben gewonnenen Freiheit zu verstehen (81).
Ein sehr viel begrenzteres Feld untersucht Stefano Romello in »L’unità all’interno di una comunità locale (Fil 1,27–2,4)« (83–103). Er sieht in Phil 1,27–2,4 zwei verschiedene Konzeptionen von Einheit, nämlich die Einheit im Einsatz für das Evangelium (1,27–30) und die innere Einheit der Gemeinde, die in Chris­tus eines Sinnes ist. Beide Konzeptionen sind aufeinander bezogen, wobei wirkliche Einheit nicht aufgezwungen werden kann, um das Zeugnis glaubhafter zu machen. Sie muss aus der geisterfüllten Dynamik der Liebe entstehen, die im Gehorsam Christi bis zum Tod ihr unerreichbares Vorbild findet (2,5–11).
In seinem Beitrag »Taufe und Einheit: paulinische Tauftheologie in Gal 3,26–29« (105–139) zeigt Gerd Häfner, dass das Verb βαπτίζειν trotz gelegentlicher metaphorischer Verwendung in den meisten Fällen den Taufakt im Blick hat. Die Christusgemeinschaft, die durch die Taufe begründet wird, ist auch Grund für die Einheit der Christen trotz aller Verschiedenheit. Gegen den Trend der Forschung plädiert Häfner – m. E. zu Recht – dafür, die Vorstellung von der Gemeinde als Leib Christi nicht nur als gelegentlich verwendete Metapher, sondern als grundlegende Wesensbestimmung der christlichen Gemeinde zu betrachten.
In ähnlicher Weise sucht Christopher Tuckett in seinem Aufsatz »The Church as Body of Christ« (161–191) einen Weg zwischen einem rein metaphorischen und einem »realistischen« Verständnis dieser Vorstellung aufzuzeigen. In den paulinischen Hauptbriefen wird mit ihr die »Einheit in Verschiedenheit« der Ortsgemeinde beschrieben. Für Paulus ist auch die Einheit der Christenheit als Ganzer wichtig, aber von ihr spricht er nicht mit dem Bild vom Leib. Das ist anders in den Deuteropaulinen, die Tucket zufolge Paulus gerade in diesem Punkt sachlich sehr nahe stehen, wenn auch die sprachlichen Differenzen auf eine unterschiedliche Verfasserschaft weisen.
Zwischen diesen beiden Aufsätzen steht die Arbeit von John Fotopoulos »Greco-roman Dining, the Lord’s Supper, and Communion in the Body of Christ« (141–159). Fotopoulos zeigt die Bedeutung des Herrenmahls im Kontext antiker Gastmahlkultur auf und zeichnet anschaulich den sozialen Hintergrund der Probleme in Korinth nach. In seiner Interpretation der Texte aus 1Kor 10 und 11 verbindet er sehr schön die soziale und die sakramentale Dimension des Mahls.
Der letzte Beitrag zum Thema stammt von Raymond F. Collins und ist überschrieben mit »Constructing a Metaphor. 1 Corinthians 3,9b–17 and Ephesians 2,19–22«. Collins bietet eine sehr genaue Analyse des bildspendenden Hintergrunds des Bildes vom Bau und seiner unterschiedlichen Funktion in 1Kor 3 und Eph 2. Trotz dieser Unterschiede ist beiden Stellen die Betonung der Einheit und die theozentrische Argumentation gemeinsam.
Zum Abschluss zeichnet der Herausgeber in »Exégèse paulinienne et dialogue œcumémique« die Geschichte der Kolloquien und das Ringen um ein gemeinsames Verstehen der Theologie des Paulus nach und bezieht dabei auch Dokumente vergleichbarer Unternehmen mit ein. Die ermutigenden Ergebnisse führen ihn zu dem Vorschlag, den Dialog mit der jüdischen Paulusexegese zu intensivieren. Dass er dazu als Meinung des Paulus die Feststellung von D. Aune referiert, Gott habe zwei gleich wertvolle Wege zum Heil vorgesehen, das Gesetz für die Juden, Christus für die Heiden (237), scheint mir freilich problematisch.
Die Aufsätze selbst zeigen trotz unterschiedlicher Akzentsetzung ein hohes Maß an Konsens unabhängig von der konfessionellen Beheimatung der Verfasser. In manchen Fragen kehren sie eher zu traditionellen Positionen zurück, tun dies aber nach methodisch sorgfältiger Auseinandersetzung mit neueren Ansätzen. Der Band ist Exegeten wie Ökumenikern gleichermaßen zu empfehlen.