Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

82–84

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Courth, Franz

Titel/Untertitel:

Die Sakramente. Ein Lehrbuch für Studium und Praxis der Theologie.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 1995. XXI, 360 S. gr.8o. geb. DM 78,­. ISBN 3-451-23651-6.

Rezensent:

Gunther Wenz

Im siebenten Buch des zweiten Teils seiner Lebenserinnerungen "Dichtung und Wahrheit" beklagt Goethe in epischer Breite die nach seinem Erfahrungsurteil mangelnde Fülle und Konsequenz protestantischen Gottesdienstes. Verantwortlich dafür sei, daß der Protestant zu wenig Sakramente habe. Pflege des symbolischen Sinns müsse daher als eine ekklesiologische Notwendigkeit erster Ordnung erkannt werden. Der Christ, so der Olympier, "muß gewohnt sein, die innere Religion des Herzens und die der äußeren Kirche, als vollkommen eins anzusehen, als das große allgemeine Sakrament, das sich wieder in so viel andere zergliedert und diesen Teilen seine Heiligkeit, Unzerstörlichkeit und Ewigkeit mitteilt".

Seinem entscheidenden Sinn nach liegt Goethes Grundsatz auf einer Linie mit C.s inhaltsreichem Lehrbuch für Studium und Praxis der Theologie, welches nach eigenen Worten "die Grundinhalte des katholischen Sakramentenverständnisses darbieten und wichtige Interpretationen in Vergangenheit und Gegenwart zur Sprache bringen" (VII) will. Die "Bedeutung des Symbols für das menschliche Leben" (6) zu erarbeiten, gilt C. angesichts der entzauberten Welt des Säkularismus als theologisches Gebot der Stunde. Zwar erlaube der "Hinweis auf die Verwurzelung symbolischer Erkenntnis im Menschheitsbewußtsein... keine vorschnelle Identifizierung mit dem christlichen Sakramentsverständnis" (8 f.); dennoch sei dieses in seiner Eigenart nur dann recht zu würdigen, wenn der Mensch ­ mit Ernst Cassirer zu reden ­ nicht nur als animal rationale, sondern ebenso als animal symbolicum verstanden und ernst genommen werde.

Auf der Basis dieser anthropologischen Einsicht entfaltet C. in einem ersten Kapitel die sog. Allgemeine Sakramentenlehre, welche in enger Verbindung mit der Ekklesiologie die "die sakramentalen Vollzüge der Kirche verbindenden Fragen" (74) reflektiert. Die Rede ist zunächst von Jesus Christus als Ursakrament, sodann von der, wie es heißt, universalen Sakramentalität der Kirche, als deren Explikationsgestalt schließlich jenes siebenfache Spektrum in Betracht kommt, welches nach Maßgabe verbindlich gewordener römisch-katholischer (und ostkirchlicher) Tradition die Lehre von den sog. Einzelsakramenten zu bedenken hat. Zwar gesteht C. zu, daß die Siebenzahl der Sakramente angesichts der ursprünglichen Geschichte des Sakramentsbegriffs schwer zu begründen sei. Doch lasse neben anthropologischen Konvenienzargumenten die enge theologische Verbindung von Christologie, Ekklesiologie und Sakramentenlehre die spätestens in Trient lehramtlich definitiv gewordene numerische Festlegung als plausibel erscheinen. Vorausgesetzt ist dabei ein Verständnis der Einsetzung der Sakramente, welches den Stifungsgedanken nicht lediglich historisch, sondern in einem theologisch umfassenderen Sinn auffaßt und zusammen mit dem irdischen auch den erhöhten und im Geist wirksamen Christus in die Überlegungen einbezieht. "Daß die Sakramente von Jesus gestiftet sind, besagt demnach: Wie die Kirche insgesamt im völkerumgreifenden Heilswillen und -wirken Jesu wurzelt, so auch diese Zeichen. Sie stehen für sein durch konkrete Ereignisse geformtes Leben, Sterben und Auferstehen; hier haben sie ihren geschichtlichen Anstoß und ihren theologischen Grund." (51 f.)

Dieser Satz ist einerseits gewiß nicht falsch, andererseits aber doch in einem nicht unerheblichen Maße diskussionsbedürftig. In der Perspektive evangelischer Sakramentenlehre wäre insbesondere zu prüfen, wie sich die christologisch-pneumatologischen resp. trinitätstheologischen zu den ekklesiologischen Aspekten der Sakramentenlehre genau verhalten. Im Falle C.s wird diese Prüfung dadurch erschwert, daß seine Argumentation ein bestimmtes begriffliches Differenzierungsniveau selten überschreitet und in kontroverstheologischer Hinsicht eher auf ökumenischen Ausgleich als auf das Geltendmachen traditioneller Gegensätze ausgerichtet ist, so sehr er zugleich uneingeschränkt an den Überlieferungen seiner Kirche festhalten will. Dieses Verfahren ist zwar sympathisch und möglicherweise auch dem Allgemeinverständnis zuträglich, birgt aber den Nachteil bestimmter Präzisionsdefizite und infolgedessen die Gefahr in sich, daß überkommene Divergenzen lediglich von einem dogmatischen Bereich in einen anderen verschoben werden: im gegebenen Fall von der Sakramentenlehre in die Ekklesiologie. Um es an einem konkreten Beispiel zu verdeutlichen: Wer bestimmte Vorbehalte oder auch nur ungestillte Klärungsbedürfnisse gegenüber der Formel hat, derzufolge die Kirche Jesu Christi in der römisch-katholischen subsistiert, dem werden naturgemäß auch die sakramentstheologischen Schlüsse, die aus der in der besagten Formel umschriebenen ekklesiologischen Grundannahme gefolgert werden, nicht ohne weiteres einleuchten. Aber das weiß auch C., wie der Schlußsatz seines sehr knappen und skizzenhaften Referates über das evangelische Sakramentenverständnis belegt, in dem die Hoffnung geäußert wird, "daß die bisher erzielten sakramentstheologischen Konvergenzen sich auch in ekklesiologischen Übereinkünften auswirken" (72).

Was die Ausführungen zu den Einzelsakramenten betrifft, die den bei weitem umfangreichsten Teil der Untersuchung ausmachen, so behandelt C., der als Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Philosophisch-theologischen Hochschule Vallendar lehrt, in klassischer Reihenfolge die Taufe als Grundsakrament, die Firmung als Sakrament der Sendung, die Eucharistie als Zeichen der Lebenshingabe Jesu, die Buße als Sakrament der Versöhnung, die Krankensalbung, die sakramentale Ordination und schließlich die christliche Ehe, die er sowohl als Christuszeichen als auch als Sakrament der Kirche deutet. Darauf kann hier, so lohnend dies wäre, im einzelnen nicht eingegangen werden. Gesagt werden soll lediglich, daß die gegebenen Informationen in bibeltheologischer und dogmengeschichtlicher Hinsicht sehr lehrreich und in dogmatischer Hinsicht pädagogisch gut aufbereitet sind. Was der Klappentext verheißt, geht im wesentlichen in Erfüllung: "Das Buch entfaltet die Grundlagen des katholischen Sakramentenverständnisses von seinen geschichtlichen Wurzeln bis hin zur gegenwärtigen Diskussion. Anschaulich und verständlich beschreibt C. alle sieben Sakramente, wobei die biblischen Grundlagen, frühkirchliche Deutungen, patristische und scholastische Theologie, der reformatorische Einspruch und die tridentinische Neubesinnung ebenso zur Sprache kommen wie gegenwärtige Erklärungsversuche und die ökumenische Dimension."

In bezug auf die erforderte ökumenische Verständigung mag es nicht ohne Nutzen sein, sich gelegentlich an die auf Augustin zurückgehende elementare Wesensbestimmung des Sakraments als sichtbares Wort und an die Tatsache erinnern zu lassen, daß auch das verbale Wort ohne sinnlich-leibhafte Anteile nicht faßbar ist. Die Kontrastierung einer Kirche des Wortes und einer Kirche des Sakraments erweist sich schon von daher als eine in jeder Hinsicht unangemessene Abstraktion. Ein Protestantismus ohne das verleiblichte Wort der Sakramente ­ da haben Goethe und C. zweifellos recht ­ ist ein kirchlicher Schemen, dem gottesdienstliche Fülle und Konsequenz abgehen. Als Schattenbild einer Kirche hätte indes ­ das dürfte C. genauso sehen ­ auch ein Katholizismus zu gelten, der auf wortlose oder beredte, bewußte bzw. unterbewußte Weise den Regreß in die Sphäre präverbaler Symbolik antreten wollte. Um aus darstellungstechnischen Gründen und aus Gründen ausgleichender ökumenischer Gerechtigkeit noch einmal Goethe zu zitieren ­ nicht "Dichtung und Wahrheit" diesmal, sondern die biographisch nicht minder bedeutsame "Italienische Reise"! Unter dem Datum des 3. November 1786 findet sich folgender Bericht über einen römischen Gottesdienstbesuch in St. Peter an Allerheiligen/Allerseelen: "Mich ergriff ein wunderbar Verlangen, das Oberhaupt der Kirche möge den goldenen Mund auftun und, von dem unaussprechlichen Heil der seligen Seelen mit Entzücken sprechend, uns in Entzücken versetzen. Da ich ihn aber vor dem Altare sich nur hin und her bewegen sah, bald nach dieser bald nach jener Seite sich wendend, sich wie ein gemeiner Pfaffe gebärdend und murmelnd, da regte sich die protestantische Erbsünde, und mir wollte das bekannte und gewohnte Meßopfer hier keineswegs gefallen. Hat doch Christus schon als Knabe durch mündliche Auslegung der Schrift und in seinem Jünglingsleben gewiß nicht schweigend gelehrt und gewirkt, denn er sprach gern, geistreich und gut, wie wir aus den Evangelien wissen. Was würde der sagen, dacht’ ich, wenn er hereinträte und sein Ebenbild auf Erden summend und hin und wider wankend anträfe?"

Angesichts dieser Frage wäre die Debatte um C.s im Anschluß namentlich an L. Scheffczyk und W. Kasper formulierte These noch einmal zu eröffnen, beim gemeinschaftlichen Glaubensvollzug des Sakraments sei "der Feiernde engagierter einbezogen als beim Hören des Wortes" (40), so daß dem Sakrament eine komparativische Wirkung gegenüber dem Wort, dessen Verdichtung es sei, zuerkannt werden müsse.