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Ausgabe:

Mai/2012

Spalte:

546–548

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jahrbuch für Biblische Theologie. Bd. 24 (2009)

Titel/Untertitel:

Heiliger Geist. Hrsg. v. M. Ebner, I. Fischer, J. Frey, O. Fuchs, B. Hamm, B. Janowski, R. Koerrenz, G. Oberhänsli-Widmer, D. Sattler, S. Vollenweider, M. Welker, R. Weth, M. Wolter u. E. Zenger (†).

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2011. XVI, 435 S. 22,0 x 14,5 cm. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-7887-2376-7.

Rezensent:

Joachim Jeska

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Zeitschrift für Neues Testament. Heft 25 (2010): Geist. Hrsg. v. S. Alkier, K. Dronsch u. M. Vogel. Tübingen: Narr Francke Attempto 2010. 96 S. EUR 20,00. ISSN 1435-2249.


Der Heilige Geist rückt im Alltag von Kirchengemeinde und Schule nach wie vor nur selten in den Fokus, die wissenschaftliche Theologie aber hat sich seiner – nach vielen Jahren der Geistvergessenheit im 19./20. Jh. – endlich intensiver angenommen, die beiden vorliegenden Publikationen sind dafür beredtes Zeugnis.
Das »Jahrbuch für Biblische Theologie« ist ein umfangreicher interdisziplinärer und wahrhaft ökumenischer Sammelband zur Frage nach dem Heiligen Geist. Dabei kommen weniger Exegeten als Historische und Systematische Theologen zu Wort, doch wird in allen Beiträgen der Rückgriff auf die biblischen Grundlagen deutlich. Sieben evangelischen Forschern stehen sechs katholische gegenüber sowie eine Baptistin, zwei Pfingstler und ein Pädagoge. Schon diese Autorenauswahl ist bemerkenswert, die bewusste Aufnahme der pfingstlerischen Perspektive weitet den Horizont und zeigt zugleich die Unterschiedlichkeit des wissenschaftlichen Arbeitens. Die Sprache der Beiträge ist durchgängig Deutsch, sie schließen allerdings jeweils mit instruktiven englischen Abstracts. Im Rahmen dieser Rezension können nicht alle Beiträge erörtert oder auch nur vorgestellt werden, dennoch soll auf einige Ausführungen hingewiesen werden, damit die Spannweite des Sammelbandes deutlich wird.
Bernd Janowski und Annette Krüger (3–29) arbeiten heraus, dass die Ruach Elohim in Gen 1,2 nicht mit »starker Wind« oder »Geist Gottes« zu übersetzen sei, sondern mit »Wind/Sturm Gottes«, dessen vitale Kraft allererst das schöpferische Sprechen Gottes ermögliche. Unter Verweis auf altorientalische Parallelen habe die göttliche Ruach als »Lebensatem Gottes« in Ps 104,29 f. teil an der Schöpfungsvorstellung von Gen 2,7, so dass hinter dem Zurückziehen der Ruach der Prozess der erneuerten Schöpfung erscheine. Wie viele verschiedene Konzeptionen von Ruach im Endtext von Ez 36–37 erkennbar seien, versucht Johannes Schnocks mithilfe eines detaillierten Ganges durch die Geschichte der Textentstehung zu zeigen (31–52). Eine Brücke zwischen Altem und Neuem Testament schlagen Irmtraud Fischer und Christoph Heil, indem sie die Frage nach der Geistbegabung als Grundlage für Amtsträger aufwerfen (53–92). Während der Geist im Alten Testament für Amtsinhaber nicht grundlegend sei, sondern nur als Legitimationserweis für besondere Taten fungiere, werde die Aufgabe des Geistes im Neuen Testament demokratisiert, wenngleich durchaus Anklänge an Hierarchisierungen – vor allem bei Lukas – erkennbar seien. Mit 1Kor 12 und dem Rückgriff auf Joel 3 aber sei der Geist keinesfalls auf Amtsträger zu beschränken, was konkrete Auswirkungen auf die Gestalt christlicher Gemeinden und Kirchen in der Gegenwart haben sollte. Daran schließen sich Michael Wolters Überlegungen zur Rolle des Heiligen Geistes bei Paulus sehr gut an (93–119), da auch er resümiert, dass der Apostel einer Elitebildung in der frühen Christenheit dadurch eine Absage erteilt, dass er alle Christusgläubigen als »Pneumatiker« bezeichne. Den im engeren Sinne biblischen Teil schließt Jörg Frey mit dem sehr anregenden und intensiv zu diskutierenden Versuch ab, eine »Biografie« des Geistes im Neuen Testament und in der frühen Christenheit zu verfassen (121–154), die darauf beruht, dass sich nicht nur unser Bild von Gott entwickele, sondern Gott selbst.
Was geistliche Schriftauslegung in der Theologiegeschichte bedeute, eru­iert Sven Grosse (157–178) anhand von instruktiven Gegenüberstellungen (Origenes/Augustinus, Joachim von Fiore/Thomas von Aquin, Martin Luther/ Se­bastian Franck). Daran schließt Hildegund Keul an, indem sie die Lesenden auf ein weitgehend unbeackertes Terrain führt (179–202). Es sei die Pneumatologie, welche die mittelalterlichen Mystikerinnen Mechthild von Magdeburg und Gertrud von Helfta zu diakonischem Engagement anleite. Von hier aus entwickelt Keul neue Impulse für die gegenwärtige Kirche: Der Heilige Geist schwebe nicht über den Dingen, sondern verorte sich in sozialen, kulturellen und politischen Bezügen. Für eine christologische Entfaltung der Pneumatologie plädiert Michael Welker (235–244), da sich s. E. der Geist Gottes als Geist Jesu Christi offenbare.
Die baptistische Theologin Andrea Strübind eröffnet den spannenden Dis­kurs über die pfingstlerische Perspektive, indem sie die pneumatologischen Vorstellungen von Baptisten, Methodisten und freien evangelischen Gemeinden darstellt (203–231), um zu schlussfolgern, dass das Leitbild einer covenanted church durchaus in der Lage sei, eine geistliche Ökumene anzubahnen. Damit könnten frühere Distanzierungen zwischen Freikirchlern und Pfingstlern überwunden werden. Der Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen Reinhard Hempelmann hingegen vermisst innerhalb der pfingstlich-charismatischen Be­wegung – deren Genese er eingangs beschreibt – die ökumenische Solidarität, da die Auffassung von der Geistausgießung zu einem elitären Selbstverständnis führe (271–293). Mit John Christopher Thomas, einem biblischen Theologen am Pentecostal Theological Seminary in Cleveland (USA), kommt nun ein Pfingstler zu Wort. Seine Überlegungen, in deren Folge Apg 15 zu einem hermeneu­tischen Modell avanciert, führen ihn letztlich zur deutlichen Kritik an der historisch-kritischen Methodik (295–309). Diese große Distanz zur kritisch-exegetischen Wissenschaft wird auch bei Paul Schmidgall aus Freudenstadt überdeutlich, der eine europäische pfingstlerische Stimme einbringt. In seinem Beitrag zur Geisttaufe arbeitet er die hohe Bedeutung der lukanischen Theologie für das pfingstlerische Selbstverständnis heraus (311–337).
Der Jenaer Pädagoge Ralf Koerrenz zeigt, dass auch außerhalb der Theologie und sogar jenseits des Christentums sinnvoll vom Geist gesprochen werden kann, nämlich dort, wo es um die Differenz zwischen Lehrendem und Lernendem gehe. Unter Rückbezug auf die Turmbaugeschichte in Gen 11 und das Pfingstgeschehen in Apg 2 entwirft er das zu weiterführenden Diskussionen anregende Programm einer kommunikativ-advokatorischen Pneumatologie (369–397). Den sehr voluminösen Band beschließt der impulsgebende Beitrag von Dorothea Sattler, die das Profil einer pneumatisch bewegten Ökumene skizziert, deren Eckpfeiler die Universalität, die Diakonie und die Mission darstellten (401–428).
Das »Jahrbuch für Biblische Theologie«, das nur mit einem äußerst knappen Register versehen ist, vermag »die unübersichtliche Rede vom ›Geist‹« (Welker, 235) auf erkennbare Grundlinien zurückzuführen. Zwar bleibt die Vielfalt der Geistvorstellungen deutlich, aber ebenso klar kommt das dynamische Potential eines relationalen Geistbegriffs zutage.
Diese Pluriformität und ihre Strahlkraft leiten über zum Jubiläumsheft der »Zeitschrift für Neues Testament«, in dem ebenfalls diese Aspekte des Geistes im Mittelpunkt stehen. Neben arrivierten Exegeten aus dem In- und Ausland kommen in den acht Beiträgen auch Nachwuchswissenschaftler zu Wort. Darüber hinaus gibt es – den Usancen der »Zeitschrift für Neues Testament« entsprechend – eine »Kontroverse«, in der aus zwei Perspektiven auf eine Fragestellung geblickt wird. Das 25. Heft der seit 1998 erscheinenden Zeitschrift geht zurück auf eine Tagung in Frankfurt am Main 2009, versammelt aber auch weitere Beiträge und ist zugleich das erste, das unter der Redaktionsverantwortung von Manuel Vogel in Jena herausgegeben wird.
Einen sehr instruktiven Forschungsbericht zum Geist im Neuen Testament legt Christian Strecker vor (3–20), der durch ein Abschreiten der griechisch-römischen sowie jüdisch-hellenistischen Umwelt im Aufsatz von Volker Rabens (46–55) ergänzt wird. Strecker versucht zu zeigen, dass Paulus der relationalen Konzeption des Geistwirkens bei Philo sehr viel näher steht als der Vorstellung der Stoa. Mithilfe einer intertextuellen Perspektive auf Röm 8 und deren Angelpunkt in der Exodustradition entfaltet Richard B. Hays die paulinische Rede vom Heiligen Geist (30–37). Darüber hinaus werden aus dem Bereich der Evangelien Lukas und Johannes untersucht: Dem Johannesevangelium und seiner Konzeption vom »Raum des Geistes« wendet sich Kristina Dronsch zu (38–45). Ihr zufolge diene die Rede vom Geist nicht dazu, die Sphäre Gottes und der Welt zu trennen, sondern den Geistbegabten das Bleiben in der Welt zu ermöglichen. Die Kontroverse zwischen Odette Mainville und François Vouga fokussiert die lukanische Pneumatologie (66–77). Während Mainville resümiert, dass die Pneumatologie bei Lukas im Dienst der Christologie stehe, schlussfolgert Vouga, dass die Theologie die Grundlage der lukanischen Pneumatologie sei, deren implizites Fundament allerdings im Bekenntnis zu Jesus als Messias bestehe.
Neben einem philosophischen Diskurs zum Geistbegriff des deutschen Idealismus (Vittorio Hösle) und einem semiotischen Impuls zur Geistesgegenwart in der Emmaus-Perikope (Hermann Deuser) wendet sich auch die »Zeitschrift für Neues Testament« wie schon das »Jahrbuch für Biblische Theologie« der Pfingstbewegung zu, und zwar in seiner afrikanischen Gestalt: Werner Kahl, der mehrere Jahre in Ghana gelebt und geforscht hat, legt dar, dass Westafrika in besonderem Maße von einem unsichtbaren Wirkfeld spiritueller Mächte bestimmt sei. In einem derartigen Kontext könne der Heilige Geist als eine Macht verstanden werden, die göttliche Kraft verleihe, was letztlich die hohe Attraktivität der Pfingstbewegung ausmache (21–29). Werden in diesem Beitrag konkrete Anfragen an gemeindliches Leben erkennbar, so geht auch Stefan Alkier in seinen Überlegungen zur heilsamen Kraft des Unverfügbaren auf die Zukunft der Kirche ein (86–94). Der kreative Geist der Jesus-Christus-Geschichte ergreife die am Abendmahl Teilnehmenden und konstituiere eine Gemeinschaft, die letztlich mit allen Opfern von Unrecht und Gewalt solidarisch sei. Von der Profilierung der »Zeitschrift für Neues Testament« her sind mehr derartige Impulse für die Diskussion in Kirche, Schule und Gesellschaft zu erwarten, insbesondere für den Bereich der schulischen Bildung wünscht man sich darüber hinaus praxisorientierte Beiträge.
Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Frage nach dem Heiligen Geist, die das »Jahrbuch für Biblische Theologie« und die »Zeitschrift für Neues Testament« der Leserschaft vorlegen, sind es nicht zuletzt wegen der aktuellen Diskurse um Spiritualität und Esoterik wert, das universitäre Umfeld zu verlassen und Früchte zu tragen in Gemeinde und Schule, damit auch dort zukünftig nicht mehr eine Geistvergessenheit konstatiert werden muss.