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Ausgabe:

Mai/2012

Spalte:

537–539

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Alkier, Stefan

Titel/Untertitel:

Neues Testament.

Verlag:

Tübingen/Basel: Francke 2010. XI, 313 S. m. zahlr. Tab. 21,4 x 14,8 cm = UTB basics. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7720-8367-9 (Francke); 978-3-8252-3404-1 (UTB).

Rezensent:

Peter Wick

Stefan Alkier bietet eine übersichtliche Einführung in das Fach. Die zentralen wissenschaftlichen Zugänge, die grundlegenden Arbeitsfelder und die wichtigsten Kontexte werden dargestellt. Bereits in der Einleitung macht A. deutlich, dass er unser Fach nicht auf einen historischen Zugang zum Neuen Testament beschränkt, sondern hermeneutische und rezeptionsorientierte Fragestellungen nicht nur als wesentlichen Beitrag für eine zeitgemäße Theologie, sondern auch für eine plurale Weltdeutung versteht.
Der erste Teil (Die Bibel – Wissenswertes über einen Bestseller) eröffnet einen kritischen Zugang zur Bibel vor allem über die Kanonfrage. Die Entstehung des Kanons der hebräischen und der christlichen Bibel wird spannend dargestellt. Es wird herausgearbeitet, weshalb sich der hebräische und der evangelische Kanon des Alten Testaments von ihrer Anordnung her und der katholische auch von seinem Umfang her unterscheiden und in welch großer Heterogenität der Kanon insgesamt gewachsen ist, obwohl die verschiedenen Varianten sich heute sehr ähnlich sind. Wichtige Schriften, die nicht in den Kanon aufgenommen worden sind, werden ebenfalls kurz erörtert. Der Zugang über die Kanonfrage zeigt, wie menschlich, gefährdet und vielstimmig die Bibel ist und wie gerade auch ihre Entstehungsgeschichte und Rezeptionsgeschichte etwa in der Reformations- oder der Aufklärungszeit von einer schon immer vielstimmigen Auslegung zeugt und auch nach einer solchen verlangt.
Gerade weil die Bibel als vielstimmig gewachsen verstanden wird, verlangt sie nach einer intertextuellen Auslegung. »Die christliche Bibel ist ein intertextueller Verweisapparat« (41). Dem unendliche Auslegungspluralität produzierenden intertextuellen Zugriff stellt A. gewissermaßen als Gegenpol eine Skizze der christlichen Bibel als einer großen Erzählung – wenigstens in ihren Grundzügen – entgegen (2.4). Die große Erzählung des Alten Testaments erfährt im Neuen Testament durch das Wort vom Kreuz ihre Interpretation und Fortsetzung.
Der dritte Hauptteil ist der Rezeption der Bibel heute gewidmet. Wer wissenschaftliche Exegese betreibt, befindet sich immer auch in einem Bezug zu seiner eigenen Welt und fördert gewisse Interessen. Befreiungstheologische, feministische und postkoloniale Interpretationsansätze werden kurz dargestellt, grundsätzliche Überlegungen und Kriterien zu einer Ethik der Auslegung geboten und die Bedeutung der Bibel für die evangelische Kirche aufgezeigt. Hilfreiche Kriterien zum Umgang mit der Bibel im interreligiösen Dialog werden erörtert. Besonderes Gewicht liegt auf der Befähigung, wissenschaftlich die Rezeption und Interpretation der Bibel in den Medien zu analysieren und zu würdigen. A. demonstriert die Relevanz einer neutestamentlichen, wissenschaftlichen Rezeptionsanalyse im Hinblick auf die Interpretation von Wundern Jesu im Film. Zu Recht bespricht er im Zusammenhang von Rezeption die Gefahr der Vereinnahmung der Bibel dadurch, dass ihre Inhalte und Botschaft bereits vor dem Lesen jeweils als bekannt vorausgesetzt werden. So können gerade fremde, künstlerische oder interreligiös bestimmte Bibellektüren helfen, das Auge für die bleibende Fremdheit des Textes zu schärfen.
Der vierte Teil ist den Methoden der Bibelauslegung gewidmet. Was bedeutet es, die Bibel mit Methoden auszulegen? Wird ein methodischer Zugang ihr und auch anderer Literatur überhaupt gerecht? Nach einer kurzen Einführung in diese Debatte bespricht A. zuerst die Ziele und den Kanon der historisch-kritischen Methode. Er stellt die Relevanz der verschiedenen Methoden an interessanten Beispielen (wie dem Markusschluss) dar und flicht zentrale Ergebnisse und Themen wie z. B. die Entstehung und Grenzen der Zwei-Quellenhypothese ein.
Unter dem Punkt »semiotisch-kritische Exegese« wird eine hilfreiche Auswahl an Methoden präsentiert, die unter anderem aus der Literaturwissenschaft stammen und nicht wie die historisch-kritische Methode hinter den Text zurückgehen, sondern ihn als textliches Zeichensystem verstehen wollen, das auch mit außertextlichen Zeichen interagiert (dazu das interessante Beispiel zum Denar und die Frage nach der kaiserlichen Steuer in Mk 12; 176–183). Syntagmatische, semantische und pragmatische Zeichenbeziehungen werden thematisiert, gewisse methodische Schritte werden soweit erörtert, dass sie auch von Studierenden wenigstens versuchsweise ausprobiert werden können (z. B. die Motifemliste, 153 f. oder die Prüfkriterien von Intertextualität, 165).
Im fünften Hauptteil werden die wichtigsten »historischen Kontexte der neutestamentlichen Schriften« übersichtlich dargestellt. Von Alexander dem Großen über die jüdische Geschichte und Religiosität bis zu den Mysterienkulten wird eine knappe Einführung in »Zeit und Umwelt« des Neuen Testaments geboten. Wirtschaftliche und sozialgeschichtliche Aspekte werden nicht vernachlässigt.
Der letzte Hauptteil bietet eine Annäherung an eine neutestamentliche Theologie. Das Neue Testament und die Bibel wird als »Grundschrift des Glaubens« verstanden (261). Unter dem Punkt »historische Verortung der neutestamentlichen Schriften« werden einzelne Schriften und Schriftgruppen wie Briefe und Evangelien nicht nur knapp historisch eingeordnet und ihre Kommunikationssituation kurz dargestellt, sondern auch ihre Inhalte hinsichtlich ihres thematisch-theologischen Aussagegehalts skizziert. Das Wort vom Kreuz und die Botschaft von der Auferweckung des Gekreuzigten ist für A. die sachliche Mitte des Neuen Testaments. Von dort her streift er weitere theologische Themen des Neuen Testaments, um seine Einführung mit dem Abendmahl und dessen theologischem Gehalt abzuschließen.
Wer es wagt, auf so knappem Raum einen Überblick über das ganze Fach zu bieten, kann dies nur mit »Mut zur Lücke« tun und bietet so viel Raum für kritische Rückfragen. Theologisch bleibt der Zusammenhang von theologischer Mitte des Neuen Testaments, die A. besonders herausarbeitet, und der postulierten Vielstim-migkeit der Bibel und ihrer Interpretation unklar. Wer sozialgeschichtlich zu Recht der Verbreitung des Münzwesens besonderes Gewicht zumisst, könnte auch thematisieren, dass sich die Geldwirtschaft zur Zeit Jesu in Galiläa wahrscheinlich noch nicht voll durchgesetzt hat, um das »ganze Bild« zu zeigen. Sicher aber müss­te die Synagogeninstitution im Rahmen einer für das Neue Testament relevanten Religionsgeschichte ihr eigenes Gewicht erhalten. Die Einführung in die semiotische Methode ist für die Zielgruppe von UTB basics zum Teil sehr anspruchsvoll.
Aber von solchen Möglichkeiten der Kritik am Detail abgesehen füllt dieses Buch eine Lücke. Endlich steht eine Arbeit zur Verfügung, die in das wissenschaftliche Fach Neues Testament umfassend, übersichtlich und doch knapp einführt. Leider war kein Raum, jede neutestamentliche Schrift eingehend zu würdigen und die Forschung dazu zusammenzufassen. Deshalb wird dieses Buch in einer Einführungsveranstaltung Neues Testament um eine Einleitung ergänzt werden müssen. Doch es wird für mich in Zukunft in der Lehre unverzichtbar sein. Gerade weil A. so konsequent von der Rezeption und dem Gebrauch des Neuen Testaments heute ausgeht und die Wege kritisch darstellt, wie diese Rezeption von der Wissenschaft des Neuen Testaments und ihren bewährten und neuen Methoden bearbeitet werden kann, erschließt er den Studierenden dieses Fach als unverzichtbaren Teil moderner Theologie, der zum gesellschaftlichen Dialog befähigt.
Die didaktisch hohen Ansprüche der UTB basics-Reihe sind erfüllt. Zahlreiche Infoboxen, die wichtige Inhalte gekonnt zusam­menfassen und gut ausgewählte Übersichten (z. B. Infobox: Eck­-daten zur Geschichte des antiken Judentums, 218) oder auch handhabbare methodische Anleitungen bieten (z. B. Infobox: Synop­tischer Vergleich praktisch, 127), erleichtern Studierenden den wissenschaftlichen Einstieg in das Fach und machen das Buch zu einem guten Werkzeug neutestamentlicher Arbeit.