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Ausgabe:

Mai/2012

Spalte:

534–536

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Nõmmik, Urmas

Titel/Untertitel:

Die Freundesreden des ursprünglichen Hiobdialogs. Eine form- und traditionsgeschichtliche Studie.

Verlag:

Berlin/New York: de Gruyter 2010. XIII, 350 S. 23,0 x 15,5 cm = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 410. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-022435-1.

Rezensent:

Tanja Pilger

Bei diesem Werk handelt es sich um die geringfügig überarbeitete Druckfassung der im Wintersemester 2008/09 am Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg eingereichten Dissertation des Esten Urmas Nõmmik, die Otto Kaiser betreute. Unter Voraussetzung der redaktionskritischen Arbeiten zum Hiobbuch, vorgelegt von M. Witte, W.-D. Syring, O. Kaiser und J. van Oorschot, untersucht N. die Reden des Elifas, Bildad und Zofar mithilfe der text-, literar-, form- und redaktionskritischen sowie der poetologischen und rhetorisch-kritischen Methoden.
Die Arbeit ist in sechs Teile gegliedert. An eine Einleitung (Kapitel I) schließen text- und literarkritische sowie kolometrische Analysen an (Kapitel II). Sie legen die Annahme zugrunde, dass die ursprüngliche Dichtung durchgängig aus Bikola bestand, und setzen die von M. Witte (1994) und modifiziert von O. Kaiser (2006) vertretene These einer Niedrigkeits-, Gerechtigkeits- und Majestätsredaktion voraus. Die Analysen zeigen sieben Freundesreden als deren ursprüngliche Gestalt an: Hi 4,2–11; 5,1.2.6–8.18–21.23–27 als erste, Hi 15,2–10.17.20–24bα.25–28bα.29.30b.32–35 als zweite und Hi 22,2–11.13–16.19–23.26–30 als dritte Elifasrede. Bildad spricht zuerst in Hi 8,2–6aα.b–8.10–14.16–22 und ein weiteres Mal in Hi 18,2–3.4b.5–21, Zofar kommt in Hi 11,2–5.7.10–18.19b–20 und in Hi 20,2–9.12–15.18–22.23b–26bα.27–29 zu Wort. Ergänzungen und Glossen sind für die weitere Arbeit nicht von Interesse.
Aufbau und Stilistik der ursprünglichen Freundesreden werden anschließend untersucht (Kapitel III). Dabei scheinen die je zwei, verhältnismäßig kürzeren Reden Bildads und Zofars gegenüber den drei Elifasreden weniger Bedeutung zu haben. Die kolometrische Analyse gelangt zu dem Ergebnis, dass »die kolometrische und poetische Struktur der Freundesreden sich als in hohem Maße durchdacht erweist« (91). Es folgen detaillierte Beobachtungen zur Poetologie und Rhetorik der einzelnen Redner unter Berücksichtigung insbesondere des synonymen, antithetischen und synthetischen Parallelismus membrorum, der Anakrusis als Stilmittel in den Elifasreden, der Kausal-, Konditional-, Konsekutiv-, Relativ-, Temporal- und Adversativsätze, wobei sich allein die Elifasreden durch eine Vielzahl verschiedener Satztypen auszeichnen, der No­minal- und Verbalsätze, der zahlreichen rhetorischen Fragen, weiterer Merkmale wie deiktische und enklitische Elemente oder Präpositionen sowie der Schlüsselwörter und Stichwortverbindungen zwischen den drei Rednern. Eine Analyse der Klangfiguren (Alliteration, Assonanz, Reim), die die inhaltlichen Einheiten der Reden zusammenbinden und ihre Strophengliederung mitbestimmen, schließt an. Die Ausführungen münden in den Aufbau der Reden und zeigen auf, dass die Elifasreden mehr mahnende als lehrende Teile beinhalten, während Bildad und Zofar in ihren je zweiten Reden vornehmlich Lehren vermitteln und sich in ihren ersten Reden Mahnung und Lehre abwechseln. Dieser Befund lässt Elifas als Seelsorger, Bildad und Zofar dagegen als Lehrer erscheinen. Eine tabellarische Übersicht zum Aufbau der sieben Reden beschließt das Kapitel.
Es folgt die theologische Profilierung der ursprünglichen Freun­desreden vor ihrem form- und traditionsgeschichtlichen Hin­tergrund im Kontext der alttestamentlichen Überlieferung (Kapitel IV). Dabei werden 1. die theologisierte Vergeltungslehre unter Berücksichtigung der Gerechtigkeit Gottes, der Lehre vom Untergang der Gottlosen und der Metaphorik erwähnt (u. a. Lö­wen-, Vegetationsmetaphorik, Feuer, Flut und Finsternis), 2. die Darstellung von Gottlosen, Frommen und Gott als Hauptdarsteller der Lehre und ihre Verhältnisbestimmung zueinander, 3. die Frage nach dem Menschen und seinem Schicksal und 4. die Legitimation der Lehren der Freunde. Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der drei Freunde werden herausgearbeitet und ausgewählte Verse der Redner traditionsgeschichtlich insbesondere in den Psalmen, den Proverbien, der prophetischen Literatur, der deuteronomistischen Überlieferung und der Rechtssprache eingebettet, so dass »eine unmittelbare Verbindung mit der alttestamentlichen Tradition« veranschaulicht wird (236). Die weisheitlich theologisierte Vergeltungslehre und der Untergang der Frevler zählen zu den zentralen, gemeinsamen Themen der Redner. Elifas, der mit seelsorgerlichem Charakter und legitimiert durch die eigene Er­fahrung auftritt, vertritt ein harmonisches Verhältnis zu Gott, erachtet den Menschen für sein Tun verantwortlich und stellt eine Hoffnung auf Rettung in Aussicht. Bildad, mit scharfem Ton auftretend, nimmt Gottes Gerechtigkeit zum Ausgangspunkt seiner Lehre, nennt Gott den Garanten der gerechten Ordnung und bezieht sich auf die Weisheit der Väter als Quelle wahren Wissens. Zofar bietet als guter Weisheitsschüler und Lehrer, bezogen auf eine überzeitlich gültige Weisheit, mit Lüge und Spott sowie Be­-gierde und Maßlosigkeit zwei Vorwürfe gegen den Gottlosen und formuliert die Vorstellung von Gottes »Allgegenwart, Allwissenheit und Allmächtigkeit« (278).
Mithilfe der Parallelen in den altorientalischen und ägyptischen Literaturen wird die unterschiedliche Herkunft der Freunde in ihren Reden herausgearbeitet (Kapitel V.). Insbesondere in den Zofarreden können Parallelen zu den aramäischen Aḥiqarsprüchen aus dem 8./7. Jh. v. Chr. aufgrund von inhaltlichen Motiven (selbstsüchtige Lüge, Weisheit als heilig, Betrügerei) sowie eines gemeinsamen Wortschatzes (Mund, Lippen, Metaphern) aufgezeigt werden. Die Zofarreden seien daher durch Anspielungen absichtlich an die aramäische Tradition der Aḥiqarsprüche angelehnt. Die in den Bildadreden belegte Lichtmetaphorik, die Weisheit der Väter und die Vorstellung von Gottes Recht hätten ihre Parallele in der mesopotamischen Weisheitsliteratur, u. a. in babylonischen Sentenzen oder der altbabylonischen Šamaš-Hymne, und deuteten auf Bildads Herkunft »vom oberen Euphrat« hin (260). Ein »Niederschlag der südöstlichen Herkunft in den Reden des Elifas« könne nicht ausgeschlossen werden (268), allerdings lägen keine diese Annahme stützenden edomitischen Weisheitstexte vor.
Die Studie endet mit Ergebnissen aus den Kapiteln III bis V und einem traditionsgeschichtlichen Ausblick (Kapitel VI). Zusammenfassend sind die ursprünglichen Freundesreden als Mahn- und Streitreden in weisheitlicher Poesie in Bikola mit regelmäßiger Strophengliederung, rhetorischen Aufbauelementen und Schlüsselwörtern zu verstehen. In Ausblicken formuliert N. den Ertrag der Freundesreden im Blick auf die Dialogdichtung unter Einbeziehung der Hiob- und Gottesreden: Das Gespräch zwischen Hiob und seinen Freunden münde ins Nichts und es bleibe die Situation der Klage und Gottes Herausforderung bestehen. Nicht die Themen des Dialogs mit den Freunden bildeten das Problem Hiobs, sondern »das Handeln des verborgenen und fernen Gottes« angesichts unverschuldeten Leidens (283). Abschließend werden Jerusalem und seine Umgebung sowie die (späte) persische Zeit als Entstehungsort und -zeit der ursprünglichen Freundesreden genannt (301). Ein detailliertes Register ist der Studie beigegeben. Die Arbeit leistet einen exegetisch ertragreichen Beitrag zu den ursprünglichen Freundesreden.